Vor wenigen Wochen haben wir als Zuschauer der Olympischen Spiele die französische Metropole Paris bewundern können. Die Wettkämpfe fanden mitten in der Stadt statt, rund um den Eiffelturm, die Schwimmer schwammen in der Seine, die Fernsehbilder ließen uns einen Blick auf all die Brücken und Sehenswürdigkeiten dieser einmaligen Stadt werfen, wie in einer Stadtrundfahrt sahen wir den Triumphbogen, Notre Dame, den Louvre, das geschäftige Quartier de Montparnasse, das Schloss Versailles, die Champs-Elysées, und all das wurde uns via Fernsehen fast täglich ins Wohnzimmer geliefert, selbst der Nicht-Sportler kam aus dem Staunen nicht heraus. Und diese Stadt wäre vor 80 Jahren vernichtet, in ein Trümmerfeld verwandelt worden, hätte sich der deutsche General und Kommandant der Stadt, Dietrich von Choltitz nicht dem Führerbefehl Adolf Hitlers widersetzt. In einem Telefonat hatte Hitler Choltitz noch gefragt: „Brennt Paris?“ So wollte es der Diktator. Choltitz übergab die Stadt, die er durch Bombenangriffe dem Erdboden gleichmachen sollte, nahezu unzerstört an die Franzosen. Am 25. August 1944.
Paris hätte so enden sollen wie Warschau, das wollte Hitler. Und dazu hatte er Dietrich von Choltitz Anfang 1944 nach Paris entsandt, weil er glaubte, dieser als „harter Hund“ bekannte Offizier werde kurzen Prozess mit der Stadt der Liebe und der Kunst machen. Doch der deutsche Stadtkommandant hatte schon bei der Eroberung von Sewastopol 1942, der stärksten Festung der Welt, unter Leitung von General von Manstein menschliche Führungsqualitäten gezeigt, indem er untersagte, gefangene Sowjet-Kommissare zu liquidieren, und dafür sorgte, dass verwundete Sowjet-Soldaten human behandelt wurden.
Choltitz hatte Hitler längst durchschaut, sein unmenschliches Regime, das nur zerstören, töten, kaputt machen wollte. So beschreibt Choltitz seinen Besuch im Führerhauptquartier Wolfsschanze Anfang August 1944. „Nun stand ich also vor ihm und sah einen alten, gebeugten, aufgeschwemmten Mann mit grauem, schütterem nach oben stehendem Haar, einen zitternden, körperlich erledigten Menschen.“ Hitler habe auf ihn eingeredet, so Choltitz, eine militärische Lage geschildert, die überhaupt nicht der Realität entsprochen habe. So habe er von der Lage in der Normandie gesprochen, von einer Gegenoffensive, die den Gegner ins Mark treffen werde. Dabei, so Choltitz, sei alles hoffnungslos gewesen für die Wehrmacht, er, Choltitz, sei doch gerade von der Front in der Normandie gekommen, habe alles gesehen, die totale Überlegenheit der Alliierten allein an Flugzeugen.
Ein verrückt Gewordener
Dann habe Hitler über den 20. Juli geredet. „Ich erlebte den furchtbaren Ausbruch einer hasserfüllten Seele. Er schrie mir zu, dass er froh sei, nun die gesamte Opposition mit einem Schlage gefasst zu haben, und dass er sie zertreten würde“. Hitler habe in blutrünstigen Ausdrücken geredet, bei denen ihm buchstäblich der Geifer aus dem Mund lief und bei denen er am ganzen Körper so zitterte, dass der Schreibtisch, an den er sich klammerte, in ebenfalls zitternde Bewegung geriet. Der Schweiß lief ihm am Gesicht herunter, in ungeheuerlicher Erregung sprach er vom Baumeln der Generale.“ Choltitz kam es so vor, als habe er einen „wahnsinnig Gewordenen“ vor sich, einen „verrückt Gewordenen“. Am Ende sei Hitler etwas sachlich geworden. „General, Sie gehen nun nach Paris. Halten Sie diese Stadt in Ordnung. Ich ernenne Sie zum Kommandierenden General und Wehrmachtsbefehlshaber…Sie erhalten die Rechte eines Kommandanten einer angegriffenen Festung.“ Merkwürdige Verdrehung. Die Deutschen waren doch die Besatzer, Paris war die Heimat der Franzosen.
Und dieser Hitler wollte nun Paris zerstören, mit seiner, Choltitz-Hilfe. Hitlers Wut richtete sich gegen die Franzosen. Wenn schon seine Soldaten nicht in der Lage waren, sich gegen die völlig überlegenen Streitkräfte der Alliierten zu behaupten, dann sollten die dafür büßen, die ihm den Sieg verwehrten und die unbedingt ihr eigenes Land und ihre wunderschöne Hauptstadt von den Nazis befreien wollten: die Franzosen. Doch Choltitz, ein Soldat und Offizier, der den gesamten 2. Weltkrieg mitgemacht hatte, auch die Zerstörung von Rotterdam, war anders als sein oberster Vorgesetzter, wie man später nachlesen konnte, er teilte nicht den Hass, den der Führer auf die Franzosen hatte. Choltitz sah sie als Nachbarn der Deutschen, mit denen man friedlich zusammenleben müsste.
„Brennt Paris?“ So der zynische Anruf Hitlers aus dem Führerhauptquartier Wolfsschanze in Rastenburg (Ostpreußen). Am 22. August 1944 schickte das Oberkommando der Wehrmacht einen langen Führerbefehl, von Hitler unterzeichnet an Dietrich von Choltitz, den Kommandierenden General von Groß-Paris. Darin stand sein Einsatzplan und die besondere Bedeutung von Paris für die Westfront, die Soldaten wurden zum härtesten Widerstand aufgerufen, den Vorgesetzten eingeschärft, nicht nachzulassen, sondern eher ihren Einsatz zu erhöhen. „Paris ist in ein Trümmerfeld zu verwandeln. Der Kommandierende General hat es bis zum letzten Mann zu verteidigen und geht, wenn nötig, unter den Trümmern unter.“ Choltitz schämte sich, wie er selber in seinem Tatsachenbericht (Dietrich von Choltitz: ..brennt Paris? Adolf Hitler) geschildert hat. Der militärische Gegner befand sich schon kurz vor Paris, die deutschen Besatzer hatten nur noch „Resttruppen von ganz geringer Stärke“ zur Verfügung, wie Choltitz schreibt. „Der ganze Befehl stand nur auf dem Papier und hatte keinerlei militärischen Wert.“
Trümmerfeld-Befehl
Choltitz rief den Chef des Stabes der Heeresgruppe, Generalleutnant Speidel an, den Choltitz schätzte, weil er „militärisch sehr gut und menschlich“ seine Arbeit geleistet habe. Und diesem Speidel schilderte Choltitz den Inhalt des Trümmerfeld-Befehls und was er angeordnet habe. „Ich habe drei Tonnen Sprengstoff in die Notre Dame bringen lassen, zwei Tonnen in den Invalidendom, eine Tonne in die Deputiertenkammer. Ich bin gerade dabei, den Arc de Triomphe zu sprengen wegen des Schussfeldes.“ Speidel habe zugehört und er, Choltitz habe dem zögernden Speidel zugerufen: „Sie haben es doch aber befohlen!“ Darauf Speidel: „Das haben wir nicht befohlen, das hat der Führer befohlen.“ Aber Choltitz legte nach: „Sie haben den Befehl weitergegeben und vor der Geschichte tragen Sie die Verantwortung.“ Und setzt dann fort, was er weiter laut Führerbefehl zu zerstören gedenke: „Die Madeleine und die Oper nehmen wir zusammen dran. Und den Eiffelturm sprenge ich so, dass er als Drahthindernis vor den zerstörten Brücken liegt.“ Speidel begriff, so heißt es im Tatsachenbericht weiter, dass Choltitz diesen schlimmen O/Plan nicht ganz ernst gemeint hatte, sondern nur ihm, Speidel, den ganzen „Wahnsinn“ schildern wollte, in die ein untergebener Soldat durch derartige Befehle gebracht werde. Und Speidel antwortete sichtlich erlöst: „Ach, Herr General, wie sind wir dankbar, dass wir Sie in Paris haben“.
Sprengladungen waren unter den Brücken der Seine angebracht ebenso wie im Louvre und der Universität, am Eiffelturm, auf dessen Spitze noch die Nazi-Fahne wehte, am Palais Royal. Aber Choltitz hatte ausdrücklich den Befehl erteilt, dass nur er selber den Befehl zur Zündung der Sprengladungen geben dürfe. Und so geschah es und Paris brannte nicht, weil Choltitz den Wahnsinn eines solchen Befehls erkannt hatte und längst gedanklich auf der Seite des Widerstands gegen Hitlers mörderisches Regime gelandet war. Insgeheim verhandelte Choltitz mit Leuten der Resistance, der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling war der Vermittler. Choltitz stand zwischen der Pflicht des Offiziers, der einen Eid auf den Führer geschworen hatte, und der Vorstellung, dann verantwortlich zu sein für die Zerstörung eines architektonischen und kulturellen Erbes von kaum zu beschreibender Größe. Also organisierte er mit Hilfe von Nordling bei den Gegnern, also den früheren Feinden, darunter die Resistance, eine Art Ultimatum, bis zu dem er als Symbol der Übergabe die weiße Fahne zu hissen habe. So formuliert, dass es nicht so aussah, als habe er den Eid auf den Führer gebrochen, sondern um das Leben der Soldaten zu retten. Er musste vorsichtig umgehen, denn noch waren SS-Leute in der Stadt und in seiner Nähe und die hätten ihn sicherlich erschossen, hätten sie gemerkt, dass Choltitz quasi von der Fahne gehen wollte.
Zum Wohle der Nation
So übergab er am 25. August 1944 das fast unzerstörte Paris. Er hatte noch erleben müssen, dass in den Wochen zuvor Tausende bei Straßenkämpfen ums Leben gekommen waren. Er selber begab sich in englische Kriegsgefangenschaft, 1947 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft in Clinton/USA entlassen. 1966 starb er in Baden-Baden. An der Beerdigung nahmen hohe französische Offiziere teil und erwiesen dem „Retter von Paris“ die letzte Ehre. Auch die Bundeswehr verneigte sich am Grab vor dem General, indem sie ihn mit militärischen Ehren verabschiedete.
Dietrich von Choltitz sah sich selber nicht als Retter von Paris. „Kein anderer deutscher General hätte letzten Ende an meiner Stelle anders gehandelt, keiner von ihnen hätte die Zerstörung von Paris gebilligt. “ Zum „Wohle meiner eigenen Nation“ habe er handeln wollen, schreibt er in seinem selbst verfassten Tatsachenbericht, und für das Verhältnis der beiden Völker, die dieser unselige Krieg als Gegner einander gegenübergestellt hatte.“
Im Grunde war er ein Held, der General, durch dessen Mut eine Stadt wie Paris gerettet wurde und die somit der Welt heute Bilder und Eindrücke liefern kann von einmaliger Schönheit.