Es war ein „Fest der Demokratie“ im ehemaligen Regierungsviertel der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn, aus dessen Anlass Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier wieder mal in seinem zweiten Dienstsitz in der Villa Hammerschmidt weilte und zu einem Tag der offenen Tür Tausende Bürgerinnen und Bürger begrüßte. 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Fall der Mauer sind wahrlich Gründe genug, um Geschichte vorbeiziehen zu lassen. Der Bundespräsident tat es in seiner Rede und erinnerte an Herrenchiemsee, wo die Beratungen 1948 begonnen und ein Jahr später ihr gutes Ende fanden im sogenannten Grundgesetz, das seitdem deutsche Verfassung ist. Aber halt, es war nur für den westlichen Teil bestimmt, der andere, der Osten der Republik, musste noch warten, bis 1989 die Mauer fiel und ein Jahr später die deutsche Einheit vollzogen wurde.
Man darf stolz sein auf das Erreichte, darf zurückblicken und sich erinnern, wie alles begann, klein, bescheiden, provisorisch. Das Land lag ja in Trümmern, auch moralisch. Und Deutschland steht heute gut da, anerkannt in der Welt, eine der größten Volkswirtschaften auf dem Globus, eine erfolgreiche Demokratie, die von ihren Feinden zu Unrecht angegriffen, ja in Zweifel gezogen wird, man will sie zerstören die Demokratie, völkische, nationalistische Kräfte, Ewiggestrige darunter, die die Erinnerung an schlimme Zeiten nicht wahrhaben, sie schönreden wollen. Die wehrhafte Demokratie steht auf dem Spiel, sie ist, wir sind gefordert. Denn der Staat sind wir. Und Demonstrationen der letzten Monate haben gezeigt, dass die Demokraten in der Mehrheit und nicht bereit sind, den Undemokraten das Feld zu überlassen.
Die Stimmung im Park der Villa Hammerschmidt oberhalb des Rheins war gut, das Wetter günstig, die Sonne schien, als Tausende aus allen Ecken der Republik in das einstige Regierungsviertel pilgerten, Hunderte Meter von Schlangen bildeten sich, darunter Familien mit vier Generationen, die Kleinsten oft noch im Kinderwagen, auf dem Weg zum Präsidenten. Locker war es trotz aller Enge und Kontrollen. Fröhlich, irgendwo spielte die Musik in diesem Park, der aussah wie eine Zeltstadt, die Institutionen des Staates gaben einen Einblick in ihre Arbeitsweisen, verteilten Heftchen und Broschüren und gaben Auskünfte. Da war der Stand des Verfassungsschutzes-Gullykucker haben wir sie einst genannt, weil ihre Leute die Gullys verschlossen, wenn hoher Besuch aus allen Ländern der Welt ins kleine Bonn kam. Oder der des Bundesrechnungshofs, der Jahr für Jahr die Bausünden und andere finanzielle Missgeschicke der öffentlichen Hand dem erstaunten Publikum präsentiert. Das rote Kreuz stand parat, eine wirklich hilfreiche Einrichtung, ohne die mancher Verletzte nicht so schnell ärztliche Hilfe bekäme. Und doch werden ihre Leute immer wieder von Krawall suchenden Zeitgenossen tätlich attackiert, beleidigt, angespuckt. Warum nur? Die Bundeswehr sucht Nachwuchs, man liest es in den Medien, hier warb sie um Vertrauen. Die Stadt Bonn war zugegen, die Stiftungen der Parteien, der WDR und vieles andere. Dazwischen der eine oder andere Stand, an dem man ein Kölsch für drei Euro erwerben konnte oder gegen Bares eine Kleinigkeit zu essen.
Frank-Walter Steinmeier(68) kennt Bonn seit langem. Er arbeitete schon für Gerhard Schröder, den SPD-Politiker, als dieser noch in der Opposition in Niedersachsen war, dann aufstieg zum Ministerpräsidenten des Landes, ehe Schröder Bundeskanzler wurde in Bonn 1998. Steinmeier, ein Einserjurist, war der Mann, der alles wusste, was Schröder wissen wollte und sollte. Erst als Schröder 2005 die Wahl gegen Angela Merkel knapp verlor, rückte Steinmeier überraschend in die erste Reihe vor, wurde Außenminister und seit 2017 ist der gebürtige Detmolder Staatsoberhaupt.
Demokratie schützen
Ein solches Fest, betonte er in seiner Rede, sei „Verpflichtung für uns alle, diese Demokratie gemeinsam zu schützen und zu bewahren.“ Das hat er seit Monaten immer mal wieder gesagt und gemahnt „gerade in schweren und härter werdenden Zeiten“ sei das angebracht. Die Zeiten sind härter geworden seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine, ein Krieg, der auch das übrige Europa bedroht, weil man den russischen Präsidenten Putin fürchten muss ober seiner imperatorischen Gelüste. Er will Europa spalten, sich notfalls auch mit Gewalt zurückholen, was einst die UdSSR ausgemacht hat, was aber nicht im Sinne der früheren Satelliten ist. Deutschland liefert Kiew viel Rüstung, Panzer, Luftabwehr-Systeme, der Krieg hat Tausenden schon das Leben gekostet, er verschlingt Milliarden an Euros und Dollar, er zerstört in der Ukraine täglich Häuser, Straßen, Industrieanlagen, Krankenhäuer. Die Zeiten sind härter, weil es eine Partei wie die AfD gibt, die längst in allen Parlamenten sitzt und in weiten Teilen vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft wird und die in Björn Höcke einen Anführer hat, der sich anschickt, in Thüringen Ministerpräsident zu werden. Höcke ist nach dem Urteil eines Gerichts Faschist. Die AfD liegt in Thüringen in Umfragen bei über 30 Prozent.
75 Jahre Grundgesetz, Jahre der Freiheit und des Rechtes, Jahre des Friedens und des Wohlstands, darf man heute in der Rückschau sagen. Und sollte nicht vergessen, wie behelfsmäßig vieles in den ersten Jahren nach Kriegsende war. Man traf sich im Museum König, weil das eines der wenigen repräsentativen Gebäude war in Bonn, das zudem unzerstört war vom Bombenkrieg, die ausgestopften Tiere in dem Museum wurden mit weißen Tüchern abgehängt. Es war schwierig für die Abgeordneten, in der kleinen Stadt am Rhein ein Zimmer zu finden. Die Fahrt nach Bonn erfolgte im Zug, wer hatte schon ein Auto? Der CSU-Abgeordnete Richard Stücklen erzählte in seinen Memoiren, wie man ihm am 7. September 1949 auf der Fahrt im Nachtzug zur ersten konstituierenden Sitzung des Bundestages die Schuhe gestohlen hatte. Er musste in Bonn in Socken aussteigen und sich als erstes ein paar Schuhen kaufen.
Steinmeier erinnerte an die erste Wahl von Prof. Theodor Heuss zum Bundespräsidenten. Als Heuss am Abend des Tages sich auf dem Bonner Marktplatz vor dem alten Rathaus zeigte, sangen die Menschen „Großer Gott, wir loben dich.“ Es gab zu dem Zeitpunkt keine Nationalhymne. Ein Umstand, der dazu führte, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer bei seinem ersten USA-Besuch in Chicago von der Kapelle mit dem Karnevalslied: „Heidewitzka, Herr Kapitän“ begrüßt wurde.
Die Baracke der SPD
75 Jahre. Der Bundestag fand seinen ersten Plenarsaal in der alten Pädagogischen Akademie. Die SPD tagte ab 1951 in einem barackenähnlichen Gebäude, ein Begriff, der sich im Grunde fast bis heute gehalten hat, wenn man vom Sitz der SPD redete. Man wollte mit einem solchen Bau das Provisorium Bonns deutlich machen und den Willen, möglichst bald nach Berlin umzuziehen. Die frühe Bundesrepublik wurde zudem geprägt durch das uralte Bonn, das es ja schon in der Römerzeit gab. Und die Politik, die dort am Rhein gemacht wurde, blieb nicht unbeeinflusst von „der unaufgeregten Gelassenheit“, die diese Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger auszeichnet, betonte Frank-Walter Steinmeier. Hier standen sich zwar politische Gegner gegenüber, nicht aber Feinde. Man trug die unterschiedlichen Auffassungen teils heftig in Rededuellen aus, verlor dabei aber selten den Respekt vor einander. Es waren Demokraten, die das Grundgesetz achteten, für die Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ im Grunde heilig war. Das Land war geteilt, aber die junge Demokratie in Bonn war sich einig, dass es gelte, diese Demokratie zu bewahren und zu schützen. Dieser Geist der Gemeinsamkeit der Demokraten, so mahnte Steinmeier, „muss uns eine bleibende, ja immer neue Verpflichtung sein.“
75 Jahre Grundgesetz. Wenn man durch den Park der Villa Hammerschmidt schlendert, hinübergeht durch das Tor in den Park des alten Kanzleramtes, in dem die Kanzler Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder saßen und regierten, zieht ein Teil der Geschichte dieser Republik an einem vorbei. Man erinnert sich an das damalige Presseviertel, den Saal der Bundespressekonferenz, es fällt einem ein, wie die Stimmung war, als Erich Honecker hier empfangen wurde, der SED-Generalsekretär, Staatsratsvorsitzende, der den Satz prägte: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Und der am 19. Januar 1989 sagte: „die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen.“ Sie stand dann noch bis zum 9. November desselben Jahres. Damals in Bonn 1987 herrschte eine beklemmende Stimmung, die auch uns Journalisten umfasste. Der SED-Chef, Diktator, im Kanzleramt von Kohl empfangen mit militärischen Ehren, quasi als hätte Bonn Osterberlin über Nacht als eigenen Staat anerkannt. Doch bald begann in Moskau das neue Denken, Michail Gorbatschow war auf den Plan getreten mit Perestroika und Glasnost. Im Juni besuchte er die Bundesrepublik, wurde mit Gorbi, Gorbi-Rufen wie ein Popstar von Tausenden Bonner Bürgerinnen und Bürgern vor dem alten Rathaus der Stadt gefeiert. Seine Reise durch die Republik, sein Besuch bei Hösch in Dortmund oder in Stuttgart, war von Beifallsstürmen begleitet.
Frank-Walter Steinmeier erinnerte an weitere Staatsbesuche, die ich nur aus den Fernseh-Übertragungen kenne, so an den Besuch der britischen Königin Elizabeth II und den des USA-Präsidenten John F. Kennedy 1963. Auf der Treppe des Bonner Rathauses waren sie von Tausenden Bonnern auf dem Marktplatz begeistert begrüßt worden. Und Kennedy habe einen Satz gesagt, der durch seine berühmte Berlin-Rede-Ich bin ein Berliner- wenig später in Vergessenheit geriet, aber der nicht minder berühmt ist. „The city of Bonn is the capital of the free world.“ Was für ein Satz?!
Friedliche Revolution
35 Jahre friedliche Revolution, die aber nicht hier am Rhein begann, sondern eher in Leipzig, Dresden und anderswo, eine Revolution, ohne dass ein Schuss fiel. Die Menschen in der DDR gingen auf die Straße, demonstrierten mit Kerzen gegen die bewaffnete Übermacht der Stasi. Der Anfang vom Ende der DDR. Gorbatschow verdanken wir diesen Weg, der zur Einheit führte, er ließ die Panzer in den Kasernen, die SED war am Ende mit ihrer Stasi. Niemand hatte den Mauerfall auf dem Schirm. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Wird Gorbatschow später zitiert, er soll den Satz an Honecker gerichtet gesagt haben. Und wenn wir heute darüber diskutieren, ob es besser gewesen wäre, wenn die Bevölkerung im Osten über das Grundgesetz diskutiert und Veränderungen beschlossen hätte, als einfach nach Artikel 23 Grundgesetz der Bundesrepublik beizutreten, ignoriert man die Zwänge der Zeit damals. Es waren die Menschen im Osten, die Richtung Westen drängten, die die D-Mark wollten. Und wer weiß denn, wie lange man Zeit gehabt hätte, um diese deutsche Einheit zu vollenden? Hätte sich das Fenster nicht plötzlich wieder schließen können?
Geschichte, Erinnerung, die nicht vergessen werden soll und darf. Die Politik mit Kanzleramt, Präsidialamt, den Ministerien, dem Bundestag im alten Reichstagsgebäude, ist durch einen Beschluss des Bonner Bundestages nach langer Debatte nach Berlin umgesiedelt. Bonn ist nicht tot, Bonn heißt Bundesstadt, ist eine moderne Stadt mit vielen internationalen Einrichtungen und Dienstleistungen, Bonn ist UNO-Stadt, eine Stadt mit großer Universität, Kongressstadt. Und: „Das Rheinische hat immer eine besondere Fähigkeit zur Integration und zum Miteinander der Verschiedenen gehabt. Und auch, in allen Entwicklungen erst einmal das Gute und die Chancen zu sehen. Deswegen glaube ich: Es ist immer noch ein Glück, Bonner zu sein.“ Lobte der Bundespräsident. Dass das Fest der Demokratie im Park und in der Villa Hammerschmidt, auf dem Gelände des Bundesministeriums für Zusammenarbeit und Entwicklung(früher Bundeskanzleramt) und rund um den Platz der Vereinten Nationen stattfand, belegt, dass Bonn der Zukunft zugewandt ist.