Nachdem Jan Böhmermann Ende März 2016 sein „Schmähgedicht“ gegen den türkischen Präsidenten Erdogan veröffentlichte, schrieb unsere Autorin Marianne Bäumler hier im Blog am 12. April 2016 einen kritischen Kommentar dazu.
Erdogan erreichte über mehrere Gerichtsinstanzen, dass Böhmermann 18 der 24 Zeilen seines „Schmähgedichts“ nicht wiederholen darf. Nun scheiterte der Satiriker final mit einem Klageversuch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Aus diesem aktuellen Anlass „holen“ wir den fast 6 Jahre alten Text von Marianne Bäumler noch einmal in den aktuellen Bereich.
Wenn Du mich fragst:
Es gibt Tabus, und die sind sinnvoll!
Dummdreist und obszön
Ich finde das „Gedicht“ des ZDF-Moderators dummdreist, obszön und unsagbar verächtlich.
Und: weder komisch noch politisch aufklärend.
Da äußert Herr Böhmermann über Herrn Erdogan,
ich zitiere:
„Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann der Mädchen schlägt,
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebsten mag er Ziegen ficken,
und Minderheiten unterdrücken,
Kurden treten, Christen hauen,
und dabei Kinderpornos schauen.
Ja, Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.“
Das ist keine Satire
Wirklich, so ein Text ist KEINE SATIRE. Lustig ist auch nicht der so genannte juristische Trick. Und nur, weil jemand verbal genüsslich die Sau raus lässt, und pubertär sich was möglichst Schockierendes rausnimmt – es ist NICHT KOMISCH, es ist, als wolle da einer den Lehrer ärgern, ihn vor Scham rotwerden lassen, vor dem Publikum ansonsten gelangweilter Mitschüler ganz tief in der Schweinkram-Kiste kramen, selber hechelnd in seiner Ich-Besoffenheit. „Euch zeig ich’s mal. Ich bin schonungslos, ich nehme keinerlei Blatt vor den Mund, ich bin der Größte…ich trau mich was.“
Trotz meiner Kritik an Erdogan
Nein, Herr Böhmermann, trotz aller meiner Kritik am politischen Gegner Erdogan – und ich muss zu meiner Verteidigung jetzt nicht all das aufzählen, was diesem totalitären Mann an schlimmen Taten, brutalen Entscheidungen, und einem inzwischen äußerst undemokratischen Menschenbild konkret vorzuwerfen ist.
Mit Ihrem ekligen Text – er erinnert mich übrigens an die antisemitische Diktion unseres baldigen Jubilars Martin Luther – haben Sie sich ermächtigt, selber nur noch zynisch und würdelos rum zu spucken. In welcher Rolle sehen Sie sich? Finden Sie sich kein bisschen peinlich?
Üble Schmäh-Performance
Es war unbedingt absehbar, was Sie mit Ihrer abgrundtiefen Verachtung diesem anmaßenden Staats-Mann gegenüber bei ihm und seiner gläubigen Entourage auslösen! Und genau damit gefährden Sie uns! Der globale Schlamassel ist doch unübersichtlich genug mit all den Irrationalitäten von individueller „Beweisnot“ der Scharfmacher und deren fatalen Entschädigungs-Aktionen, weltweit. Und die gesamte Verrohung ist vor allem – aber nicht nur! – mit dem Kapitalismus zu erklären. Und wenn Sie mich fragen: mit Ihrer üblen Schmäh-Performance machen Sie ungeheuer selbstsüchtig mit bei den destruktiven Spiralen medialer Eigendynamik, und so toppen Sie und toppen Sie, und fühlen sich wohl unentbehrlich, ach Gottchen.
Ich bin weder konfliktvermeidend noch um Polemik verlegen, aber Sie sind zu weit gegangen, in Ihrer fäkalen Hass-Tirade, und es wäre gut, wenn Sie das begreifen könnten. Nach der „Projektionstheorie“ von Sigmund Freud leiden auch Sie möglichweise unter einer „Grandiositäts-Problematik“. Ihre Selbstüberschätzung jedoch offenbart einen bedauerlichen Mangel an authentischer Ich-Stärke; und da gäbe es denn allerhand Parallelen…think about it.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gilt auch für die Person Erdogan, imagine.
Am besten, Sie bitten jetzt den verleumderisch Angegriffenen um Verzeihung, zeigen Reue über Ihren Tabubruch, damit der Gesichtsverlust, den Sie kontraproduktiv verursacht haben, nicht weitere Revanche-Gelüste nach sich zieht.
Also machen Sie sich gefälligst die Mühe, und kritisieren Sie ihn mit humanistischen Kriterien. Dafür werden Sie doch schließlich sehr gut bezahlt, von uns Allen.
Stellen wir uns der Debatte
Liebe MitstreiterInnen vom Blog der Republik!
Wir sollten uns der Diskussion stellen, sie bleibt uns erhalten; mir scheint es sinnvoll, wenn wir uns an der Debatte beteiligen, ich fürchte nicht den Beifall von der falschen Seite, ich genieße den wohl durchdachten politisch kundigen Sarkasmus von Georg Schramm, Arnulf Rating, Hagen Rether, Matthias Deutschmann. Aber Zynismus von bodenlosen Scharfmachern liegt mir fern. Und: Herr Döpfner von Springers Gnaden ist keineswegs ein gerechter Partner.
Die juristischen Aspekte können gerne andere unserer Autoren kommentieren. Merkels vorauseilendes Verhalten ist unbedingt kritikwürdig!
Kränkend unter der Gürtellinie
Grundsätzlich: Wer möchte denn als Person so kränkend unter der Gürtellinie attackiert werden? Kein Mensch!!!
Was sollte man dazu noch kommentieren? Böhmermann ist wahrlich kein Dummkopf, nimmt man seine Intelligenz als Maßstab. Also ist es ihm nicht passiert, sondern alles ist Absicht. Du hast alles dazu gesagt, Marianne, treffend!
Ein Punkt allerdings macht mich stutzig, nämlich der Hinweis/Vergleich auf/mit Luther.
Luther lebte wahrlich in einer ganz anderen Zeit als Böhmermann, quasi am Ende des Mittelalters. Man sprach anders, man hatte ganz andere, uns heute, gelinde gesagt, erstaunende Gewohnheiten und auf die Juden zu schimpfen oder sie als ausgegrenzte Menschen zu betrachten, war gang und gäbe.
Und um mir die Aufzählung weiterer Weisheiten zu ersparen, möchte ich auf diese Website hier verweisen, auf der so manches erklärt wird, was ich meine.
https://www.luther.de/kontext/juden.html
Man muss ja nicht mit allem einverstanden sein, aber Luther mit Böhmermann zu vergleichen käme mir nicht in den Sinn.
Böhmermann deutlich und ohne Ausflüchte zu kritisieren, schon.