Man hätte ihm ein Denkmal gesetzt, dem Jogi Löw, wenn er nach dem Gewinn der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien 2014 gegangen wäre. Er hatte alles erreicht, war 2006 zusammen mit dem Einpeitscher Jürgen Klinsmann Dritter bei der Heim-WM in Deutschland geworden, bei einer WM, die viel Jubel und Anerkennung auslöste in aller Welt. (Dass Geld geflossen war, um die WM ins Land zu holen, war damals noch kein Thema.)Und zwar nicht wegen der allseits bekannten deutschen Tugenden wie Disziplin, Ordnung, Pünktlichkeit und Organisation, sondern ob der Stimmung im Lande, der Herzlichkeit und Fröhlichkeit auch den Gästen aus allen Ländern gegenüber. Dass er den dritten Platz bei der WM in Südafrika vier Jahre später verteidigte, festigte seinen Platz als Trainer des größten Fußball-Verbandes der Welt. Und vier Jahre danach kam der Triumph ausgerechnet im Land des Fußball-Rekordweltmeisters. Die Fans werden weder das 7:1 gegen Brasilien vergessen und schon gar nicht den Sieg über Argentinien mit dem Tor von Mario Götze, den Löw mit den Worten eingewechselt hatte: Du bist besser als Messi.
Ich habe nie verstanden, warum Löw damals weitergemacht hat. Was wollte er noch gewinnen? Wichtige Spieler, die wichtigsten meiner Meinung nach, Bastian Schweinsteiger und der Kapitän Philipp Lahm beendeten ihre international einmalige Karriere im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Aber er ließ sich nicht beirren, schlug manchen Rat aus und machte weiter. Doch die Hoffnungen auf den Gewinn der EM 2016 erfüllten sich nicht, man verlor im Halbfinale gegen Frankreich. Nun war das nicht weiter schlimm, Frankreichs Mannschaft war super. Aber dann kam die WM in Russland, das alles enttäuschende Ausscheiden in der Vorrunde gegen Mannschaften wie Mexiko und Südkorea. Bitter, peinlich. Eigentlich erneut ein Grund für den Trainer´zu gehen.
Aber Löw machte weiter und versuchte die Mannschaft zu verjüngen, indem er Spieler wie Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng ausmusterte. Der Erfolg blieb aus, die spielerische Klasse fehlte der neuen Truppe, sie war keine Mannschaft, kickte einfallslos und müde.t Peinlich vor kurzem die Klatsche gegen Spanien mit 0:6. Chancenlos und zum Glück mit einem überragenden Manuel Neuer im Tor, sonst hätte es zweistellig ausgehen können. Wieder ein Grund zum Abschied. Nicht für Löw, nicht für den DFB. Die Herren Funktionäre in Frankfurt wollten nicht wahrhaben, dass der Trainer ausgebrannt ist, keinen Zugang mehr hat zu den Spielern, keine Emotionen entfaltet und diese folgerichtig auch nicht mehr auf den Rasen und die Mannschaft übertragen kann. Dabei konnte man fast Mitleid haben mit Löw, wie er auf der Bank saß, konsterniert verfolgte, wie die spanischen Kicker ihren deutschen Kollegen den Ball durch die Nase spielten und ins Netz droschen. Toll für Spanien, erbärmlich für Deutschland.
Mich erinnert das Festhalten an Löw, sein Kleben auf dem Stuhl an ruhmreiche Vorgänger im Amt des Bundestrainers. Sepp Herberger gewann 1954 sensationell gegen Ungarn in Bern mit 3:2. Ich höre heute noch die Rundfunkstimme von Herbert Zimmermann, die auch im Fernsehen zu hören war: Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt: Tor, Tor. Und später : Das Spiel ist aus. Deutschland ist Weltmeister. Dazwischen die völlig überzogenen Jubelschreie des Reporters, der den Düsseldorfer Torwart Toni Turek ob seiner Paraden in den Fußball-Himmel gehoben und ihn zum Fußball-Gott ausgerufen hatte. Undenkbar heute diese Sprache. Herberger und seine Spieler wurden in der Heimat leidenschaftlich gefeiert, der Fritz Walter, der Boss Helmut Rahn aus Essen, der Kölner Schäfer, der Nürnberger Max Morlock und wie sie alle hießen. Deutschland war wieder wer, hieß es, 9 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und dem Ende der Nazi-Diktatur. Wie selbstverständlich blieb Herberger Bundestrainer, seine Mannschaft erreichte bei der nächsten WM in Schweden das Halbfinale. Dramatisch die Niederlage gegen den Gastgeber, der Düsseldorfer Verteidiger Juskowiak lieferte sich harte Zweikämpfe gegen den schwedischen Stürmer Hamrin. Die schwedischen Zuschauer feuerten ihre Mannschaft mit Heja-Heja-Rufen an.
Es machte sich Enttäuschung breit, aber sie hielt sich in Grenzen, auch weil ein neuer Held die Fußball-Welt überstrahlte: Pele, der Jahrhundert-Kicker aus Brasilien. Sepp Herberger blieb weiter im Amt. Aber als er bei der WM in Chile 1962 an Jugoslawien scheiterte, war auch seine Zeit gekommen. Sein Nachfolger wurde ein Mann aus Dresden, Helmut Schön, der schon als Spieler eine Persönlichkeit gewesen und mit dem Dresdner SC Deutscher Meister geworden war, dann einige Auswahlmannschaften betreut hatte, darunter die sächsische Auswahl, die Auswahl der Sowjetzone(so sagte man damals), die des Saarlandes, ehe er Co-Trainer und schließlich 1964 Bundestrainer wurde. Helmut Schön, der Mann mit der Mütze, wie er später besungen wurde, feierte große Erfolge: Vize-Weltmeister in England, unvergessen das Wembley-Tor, das eigentlich keines war, der Aufstieg eines Franz Beckenbauer, Uwe Seeler war dabei, Helmut Haller, Wolfgang Overath. In Mexiko wurde Deutschland Dritter der WM, der Fan wird sich an die dramatischen Spiele gegen Englandd(3:2 gewonnen) wie gegen Italien(4:3 verloren) erinnern. 1972 wurde Deutschland Europameister mit einer der besten Mannschaften, die jemals das deutsche Trikot getragen hatten. Die spielerische Klasse mit Beckenbauer und Netzer, dem Torschützen Gerd Müller, ließ die Zuschauer ins Schwärmen geraten. Beinahe folgerichtig gewann Deutschland unter Helmut Schön die WM im eigenen Land 1974, als man zwar in der Vorrunde gegen die DDR mit 0.1 verlor-Torschütze Sparwasser-, aber Holland im Endspiel in München mit 2:1 besiegte. Warum Helmut Schön damals weitermachte, weiß wohl niemand. Er hatte alles, wirklich alles erreicht. Und hörte dennoch nicht auf. Und prompt scheiterte Schön bei der WM in Argentinien an Österreich. Hans Krankl wurde mit seinem Siegtor für die Alpenrepublik zum Nationalhelden. Eddi Finger, der österreichische Reporter, konnte sich gar nicht mehr einkriegen und wollte sich ein Viertel einschenken.
Helmut Schön gilt noch heute als der erfolgreichste Bundestrainer. Will Löw ihn einholen, gar überholen? Er hätte sich ein Beispiel an Franz Beckenbauer nehmen sollen, der nach dem Endspiel 1990 in Rom und dem Gewinn der WM als Teamchef aufhörte. Erinnern Sie sich an die Bilder, wie der Teamchef, der ja selber als Spieler Weltmeister geworden war, nach dem Spiel in den Abendhimmel schaute, ganz allein mitten auf dem Platz? Als hätte er es gerochen, ging er freiwillig, übergab an seinen Nachfolger Berti Vogts, der aber nicht an die Erfolge anknüpfen konnte. Bei der WM in den USA gingen die deutschen Fußballer baden. Einer der deutschen Kicker zeigte den Zuschauern den Mittelfinger, den Namen kenne ich, nenne ihn aber nicht, weil das Verhalten irgendwie typisch war für diese Mannschaft, die keine war und ohne Kampf verlor.
Man wird über die Gründe rätseln, die den DFB dazu verleitet hat, Löw das Vertrauen(so heißt das wohl) auszusprechen. Oder haben sich die Herren in Frankfurt hinter den Trainer gestellt? Das wäre gefährlich für Löw, weil sie ihm dann die Beine wegziehen können. Also mit Löw, weil keiner der potentiellen Nachfolger frei war? Klopp zum Beispiel hat noch Vertrag in Liverpool. Aber ob der wirklich Lust hätte, jetzt die Nationalmannschaft zu übernehmen? Andere Kandidaten fallen mir gerade nicht ein, es sei denn Thomas Tuchel vielleicht?Kann auch sein, dass einer wie Oliver Bierhoff an Löw festhält, weil er im anderen Falle Sorgen haben müsste, mit abgeräumt zu werden. Man möge mir den folgenden Vergleich verzeihen, aber er bietet sich an: Helmut Kohl kandidierte entgegen dem Rat seiner engsten Berater 1998 erneut als Kanzlerkandidat der Union. Wer weiß, wie die Wahl ausgegangen wäre, hätte Kohl nach 1994 verzichtet und an Wolfgang Schäuble übergeben? Gut, er hätte keinen Rekord aufgestellt, hätte Adenauer nicht überholt. Aber war, ist das wichtig? Ob Gerhard Schröder gewonnen hätte? Ich weiß, hätte, hätte oder frei nach Lothar Matthäus, dem wortgewaltigen Fußballer früherer Tage: Wäre, wäre, Fahrradkette. Manche Leute können nicht aufhören, können nicht genug kriegen. Sie warten, bis sie vom Hof gejagt werden.
Eigentlich schade.
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