„Beben bei Bild“, so beginnt die „Süddeutsche Zeitung“ vor Tagen ihre Seite 2 zum Thema des Tages: die Entlassung von Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Als Hintergründe werden in vielen Medien Machtmissbrauch, Fehlverhalten gegenüber Frauen, angeblich Drogen genannt. Merkwürdig für Beobachter: der Vorstandsvorsitzende der Axel-Springer AG, Mathias Döpfner, der vor Monaten noch die Hand schützend über den Chefredakteur gehalten und der ihn ja auch eingestellt hatte, fliegt mal eben nach Washington, als wäre nichts gewesen. Und natürlich, darf man hinzufügen, bleibt Döpfner im Amt. Und er bleibt auch Vorsitzender des Verbandes der deutschen Zeitungsverleger. Der Mann wirkt halt seriös, war früher, wie es der ehemalige Politik-Chef von Bild, Georg Streiter beschrieben hat, ein „begnadeter Musikkritiker“. Und er ist, das macht ihn vielleicht unkündbar, der „geistige Erbe“ des Gründers Axel Springer. Ein Mann, der in der feinen Gesellschaft stets in der ersten Reihe Platz nimmt, weil er eben dazu gehört. Mathias Döpfner spricht mit den Großen der Welt. Wenn hier einer einen entlässt, dann ist er es.
Die „Bild“-Zeitung war und ist immer umstritten gewesen. Sie ist krawallig, teilt aus in alle Richtungen. Und sie war und ist immer noch eine Macht in Deutschland. Zwar ist die Auflage von einst fünf Millionen, die sie unter ihrem früheren Chef Peter Bönisch erzielte, rapide gesunken, aber diesen Verlust kann das Blatt digital ausgleichen. Die Rede ist von 5,6 Millionen Nutzern. Journalistisch war „Bild“ nie im herkömmlichen Sinne seriös. Folgt man dem früheren Bild-Mann Streiter, darf es das auch nicht sein. Was aber nicht heißt, dass eine Boulevard-Zeitung keinerlei Verantwortung habe.
Bild, BamS und Glotze
Die Fakten müssen auch hier stimmen, es komme, so Streiter, auf die „richtige Mischung aus Fakten, Fiktion, Tatsachen und Träumereien „an. Aber eines sollte auch „Bild“ sein: anständig. So haben wir zu meinen aktiven Zeiten über diese Zeitung diskutiert, die man schon wegen ihrer riesigen Auflage lesen musste. Ich habe sie als Redakteur früher täglich gelesen, erst die WAZ, dann die „Bild“, dann die „SZ“, die „FAZ“, die „taz“ und einmal die Woche den „Spiegel“. Ich erinnere mich, dass Volontäre gelegentlich mit Abscheu reagierten, wenn über die Bild-Zeitung gesprochen wurde. „Aber lesen müssen Sie sie“, habe ich immer wieder betont. Denn auch wichtige Politiker benutzten den Boulevard, um ihre politischen Botschaften unters Volk zu bringen. Und da war eben Bild passend mit ihrer Auflage, ihren großen Überschriften und den kurzen Texten. Der frühere Kanzler Gerhard Schröder(SPD) äußerte mal: er brauche nur Bild, BamS und Glotze, um seine Politik richtig zu verkaufen. Natürlich brauchte er auch andere Medien, aber das Beispiel zeigte und zeigt noch heute die Bedeutung dieser hoch umstrittenen Zeitung.
Kohl als Umfaller
Denn „Bild“ war auch gefürchtet, weil es Fakten verknappt, weglässt, im Grunde auch Jagd macht auf Menschen. Man denke an die üblen Bild-Schlagzeilen, als Hans-Hermann Tiedje Chef von „Bild“ war. Tiedje hat sich den Beinamen „Rambo“ richtiggehend verdient. Rücksichtslos ließ er hin und wieder gegen Asylanten trommeln oder besser hetzen, ohne über die Folgen nachzudenken. Einmal ließ er ein großes Porträt-Foto des Kanzlers Helmut Kohl um 90 Grad drehen, sodaß Kohl auf dem Rücken lag. Der Titel dazu lautete: Der Umfaller. Weil der CDU-Kanzler entgegen seiner Versprechen Steuererhöhungen vorgenommen hatte. Kohl soll damals bei Axel Springer vorstellig geworden sein, um die Entlassung von Tiedje zu fordern. Jahre später holte Kohl in der Not Tiedje als Wahlkampf-Berater nach Bonn, damit der retten sollte, was nicht mehr zu retten war. Denn Gerhard Schröder wurde Kanzler. Aber dieser Tiedje war ein unangenehmer Zeitgenosse, der am Telefon schon mal einen Korrespondenten ziemlich herrisch anging, wenn dieser eine andere Meinung vertreten hatte. Peter Boenisch, Chef von Bild in den 60er Jahren und später Regierungssprecher Kohls, war im Kampf gegen die aufmüpfigen Studenten in den 60er Jahren(Spruch der Studenten. Enteignet Springer) auch nicht zimperlich: „Bild“ machte sie zu „Linksfaschisten“ . Später entschuldigte sich derselbe Boenisch für Entgleisungen. Heinrich Böll nannte Boenisch den „Plattitüdenkrieger“.
Georg Streiter stellt in seinem Stück „Kein Spaß mehr“, das ich in der SZ gelesen habe, die Frage, ob man „Bild“ lesen dürfe oder nicht. Dieselbe Frage haben mir vor Jahren Volontäre gestellt. Natürlich darf man die Bild-Zeitung lesen, sie sogar kaufen, man darf aber nicht alles glauben, was dort erzählt wird. Und man sollte auch nicht jede Kampagne des Blattes gutheißen oder gar nachmachen. Manches war nicht anständig und das ist eher höflich ausgedrückt. Aber wenn ich über die Blattmache unter Julian Reichelt lese: „Fakten verschweigen, verzerren, hinzudichten, Krawall machen, nach unten treten, Frauen zum Objekt machen, Privatsphären verletzen, Existenzen zerstören“( so ein Gastbeitrag in der SZ), dann geht das über das Erträgliche hinaus.
Fortgesetzer Machtmissbrauch
Und wenn ich dazu lese, was dieser Herr Reichelt so alles mit seinen Mitarbeiterinnen gemacht haben soll- fortgesetzter Machtmissbrauch gegenüber jungen Mitarbeiterinnen- dann kann man das wie Streiter nur „widerlich“ nennen. Und dann ist das, was Mathias Döpfner dazu gesagt hat, dass das alles „sehr schlimm“ sei, eben zu wenig und viel zu spät. Und dann ist ein Lob Döpfners für Reichelt wirklich etwas, was ich dann auch nur noch „widerlich“ finde. Dazu die von Reichelt verwendete Sprache, wie Streiter zitiert. Eine unanständige Sprache, wenn Reichelt via Bild einen Empfang des türkischen Präsidenten beim deutschen Bundespräsidenten einen „Staatsbesuch der Schande“ tituliert oder die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF „gebührenfinanzierte Staatspresse“ nennt, dann bewegen sich die Herren Reichelt und der oberste Springer-Chef Döpfner im Sprach-Gewässer der AfD-Wähler und der Querdenker.
Mathias Döpfner hat Reichelt zum Abschied bescheinigt, dass er „Bild“ journalistisch hervorragend entwickelt“ habe. Georg Streiter beendet sein Stück in der SZ mit den Worten: „Reichelt ist weg. Döpfner bleibt. Ob er etwas dazugelernt hat?“ Das wage ich zu bezweifeln. Allein der Vergleich mit der DDR, den Döpfner gezogen hat, um Reichelt zu würdigen und die übrige Presse im Lande bloßzustellen, ist gelinde gesagt, Herr Döpfer, eine Unverschämtheit.(„Er ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR-Obrigkeitsstaat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda-Assistenten geworden. Da macht sich einer jeden Tag mächtige Feinde“) Das beste Rezept gegen die Lügenpresse, hat Döpfner mal betont, seien die Worte von Rudolf Augstein, dem Spiegel-Gründer: „Sagen, was ist! “ Ich empfinde es als pure Heuchelei, wenn sich Döpfner dieser Worte bedient. Dass er sich nicht schämt.
Quellen: Süddeutsche Zeitung. Thema des Tages. Georg Streiter in der SZ auf der Seite „Meinung“. Titel: Kein Spaß mehr. Mats Schönauer und Moritz Tschermak, Verfasser des Buchs „Ohne Rücksicht auf Verluste. Wie Bild mit Angst und Hass die Gesellschaft spaltet.“ Der Gastbeitrag der beiden Autoren in der SZ auf der Medien-Seite heißt: „Helene und Hindukusch.“
Bildquelle: Screenshot von „Der Postillion“ vom 9.März 2021