Die Versuche des Krawall-Blattes „Bild“ ein weitgehend genauso krawalliges Fernsehprogramm zu senden – normal und kostenlos empfangbar – durfte man nur kurz belächeln. Und tatsächlich gab es in den ersten Tagen Angebote, die mit seriösem und informativem Fernsehen wenig bis nichts zu tun hatten. Die wird es mit Sicherheit auch künftig geben. Also konnten sich die Macher und Programmverantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von ARD und ZDF erstmal beruhigt zurücklehnen. Ernst zu nehmen schien diese Konkurrenz der größten deutschen Zeitung nicht zu sein und noch lange nicht zu werden.
Damit ist Schluss seit dem 25. August 2021. Diesen Tag muss man als „Schwarzen Tag“ für das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Medien-Kalender markieren. „Bild“ mit seinem Kriegs- und Krisenreporter Paul Ronzheimer sendete direkt vom Flughafen Kabul, auf dem sich erschütternde Szenen der Verzweiflung ungezählter Afghanen abspielen. Ronzheimer hatte es irgendwie geschafft, mit einer Militärmaschine aus Doha, die Flüchtlinge aus Kabul abholen sollte, einzufliegen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist schon seit langem nicht mehr vor Ort, die ARD berichtet aus Neu Delhi über die dramatische Entwicklung in Afghanistan.
Als bis vor kurzem die bewundernswert mutige CNN-Reporterin Clarissa Ward vom Flughafen und sogar aus den Straßen Kabuls berichtete, konnten ARD und ZDF das vielleicht noch als „normal“ hinnehmen. Das war eben immer oder zumindest oft so, dass der legendäre amerikanische Nachrichtenkanal bei internationalen Konflikten dichter an die Ereignisse rankam und live schaltete, während das deutschen TV-Publikum mit second-hand-Reportagen – zusammengeschnitten weitab vom Geschehen – vorlieb nehmen musste. Dass aber jetzt der Fernseh-Neuling „Bild tv“ schon in der ersten Sendewoche die Platzhirsche ARD und ZDF mit der Kabul-Präsenz eines eigenen Live-Reporters Ronzheimer dermaßen vorführt, bedeutet eine Zäsur. Gewiss, was der Bild-Mann erzählte, war vom Nachrichtenwert nicht neu, ging nicht über das hinaus, was die anderen Fernsehprogramme auch hatten. Aber es waren unmittelbare, emotionale Augenzeugen-Berichte, die Ronzheimer in sein Handy – teilweise mit Kamera – sprach, Reportagen, die deshalb sehr viel authentischer wirkten.
Moderator der der ersten Sendung beim „Bild“-Fernsehen, in der Ronzheimer aus Kabul geschaltet wurde, war Thomas Kausch. Noch bis vor wenigen Wochen hatte er sein Geld bei der ARD verdient. Seinen Abgang brauchte man nicht als Verlust zu sehen. Nun aber durfte der Fronten-Wechsler mit spürbarer Genugtuung die Schalte zu dem Kollegen vor Ort mit der Bemerkung ankündigen, bei Bild würden die Zuschauer eben direkt und aus erster Hand informiert.
Zum Schluss eine persönliche Bemerkung: Ich durfte für die ARD aus vielen Ländern der Erde berichten. Manchmal war es auch gefährlich. Aber ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte, was Bild-Mann Ronzheimer riskiert. Deshalb will ich den zweifellosen Erfolg des neuen „Bild“-Fernsehens nicht mit Häme eine Blamage für das öffentlich-rechtliche System nennen. Aber es ist vielleicht ein Menetekel.
Nachtrag: Inzwischen wurden Bild-Reporter Ronzheimer und andere Journalisten wieder aus Kabul ausgeflogen. Die aufgeblasene Reaktion von Ronzheimer wiederum kann man nur als typisch für „Bild“ nehmen. Deshalb zitieren wir wörtlich:
„Schwerer Angriff auf die Pressefreiheit! Elf internationale Journalisten, darunter BILD-Vize-Chefredakteur Paul Ronzheimer, sind vom US-Militär aus Kabul rausgeworfen worden. Ronzheimer: „Wir werden wie Verbrecher von US-Soldaten festgehalten und jetzt zum Flieger nach Doha eskortiert.“