Die Union liegt in allen Umfragen seit Monaten klar vor der SPD. Würde der Bundestag jetzt gewählt, bekämen CDU/CSU rund 30 Prozent der Stimmen, die jetzige Kanzlerpartei SPD stürzte auf 15 Prozent ab. Die Frage, mit welchem Spitzenkandidaten die Union in den Bundestagswahlkampf zieht, ist also eminent wichtig, könnte doch der Kanzlerkandidat der stärksten Oppositionspartei nach der Wahl Bundeskanzler werden und damit Nachfolger von Olaf Scholz. Und wenn eine graue Eminenz wie Bernhard Vogel(91) jetzt erklärt, die drei Ministerpräsidenten von NRW, Hendrik Wüst, Schleswig-Holstein, Daniel Günther, und Hessen, Boris Rhein, hätten das, was Friedrich Merz nicht habe, nämlich Regierungserfahrung, dann ist das ein schwergewichtiger Hinweis auf den Konkurrenzkampf, der der CDU noch bevorsteht. Heißt auch, Merz, obwohl Partei- und Fraktionschef der Union, ist nicht gesetzt. Er muss, will er es werden, kämpfen.
Vogels Einwurf wird Merz nicht gerade freuen, es ist eine Einmischung, die mehr als pikant ist, zwar nicht entscheidend, weil auch ein Vogel nur eine Stimme hat, aber der alte Mann aus Speyer ist nicht irgendwer. Und wenn er sich räuspert, ist das nicht einfach so dahingesagt, der Mann kennt seine CDU und er weiß, bei aller Bescheidenheit, die Bernhard Vogel immer auszeichnete, um seine eigene Bedeutung. Vogel steht nicht für einen Flügel oder die Wirtschaft, er spricht für die ganze CDU. Das macht sein Wort so wichtig. Zumal Bernhard Vogel kein ausgesprochener Merz-Gegner ist.
Zunächst mal ein paar Daten zu Bernhard Vogel. Er war Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, sein Abgang dort nicht unbedingt lorbeerumkränzt. Die älteren Beobachter werden sich erinnern an den Landesparteitag der CDU in Koblenz, als ein frustrierter Vogel sich mit den Worten verabschiedete: „Gott schütze Rheinland-Pfalz.“ Aber Bernhard Vogel, das war die Kohl-CDU, einst super-mächtig, dominierend im Bund. Dann passierte der Mauer-Fall, die deutsche Einheit und Bernhard Vogel war erneut gefragt, er wurde Ministerpräsident, aber dieses Mal auf der einst anderen deutschen Seite: in Thüringen. Auch dort war er anerkannt, beliebt, errang die absolute Mehrheit in Erfurt. Wer kann das schon vorweisen, Regierungschef in zwei Ländern?! Der Mann ist Ehrenvorsitzender der CDU und er wird auch auf dem nächsten Parteitag der Christdemokraten nicht fehlen. Man mag ihn, schätzt seine Meinung. Seine Autobiographie trägt den Namen: „Erst das Land- Mein Leben als Politiker in Ost und West„.
Erst Paschas, dann Zahnärzte
Der jüngste von den erwähnten CDU-Politikern ist Hendrik Wüst mit 49 Jahren. Da könnte man sagen, der Mann habe noch Zeit, er könnte einem Friedrich Merz den Platz überlassen, der die Macht im Bund verspricht. Merz wäre fast 70, wenn die Bundestagswahl im Herbst 2025 stattfindet. Für Vogel wäre das Alter aber kein Hinderungsgrund. Die Frage wird eher sein, wie überlegt führt ein Friedrich Merz einen Wahlkampf, lässt er sich zu Äußerungen hinreißen, wegen der er heftig kritisiert wurde? Gemeint das mit den kleinen Paschas für arabisch-stämmige Kinder oder das mit den Terminen beim Zahnarzt, die der gemeine Deutsche wegen der vielen Ausländer angeblich nicht bekommt, weil die sich die Z:ähne neu machen lassen. So ist er der Friedrich Merz, der gern provoziert und dabei Ressentiments gegen Ausländer schürt. Was die Integrationsdebatte befeuert. Auch seine Einlassungen zu den Grünen sind nicht von politischer Überlegenheit geprägt. Erst erklärt er die Grünen für den Hauptgegner der CDU, fast im Stil von Söder, dann kann er sich eine Koalition mit ihnen durchaus vorstellen. Glaubwürdigkeit erzielt er dadurch nicht. Eher hinterlässt er bei den eigenen Anhängern die Sorge, ein Unions-Kanzlerkandidat Merz könnte politisch am Wahlabend so enden wie sein Amtsvorgänger Armin Laschet.
Da ist Hendrik Wüst aus anderem Holz geschnitzt. Der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes regiert unauffällig mit den Grünen, kein Krach, kaum ein Streit, das läuft geräuschlos. Wüst ist anders als Merz nicht nur beim Wirtschaftsflügel der Union heimisch, er kümmert sich um die Jugend der Partei, um die Frauen, die Merkel-CDU wird eher einem Wüst zuneigen als einem Merz, der einst als Fraktionschef Platz machen musste vor der Parteichefin Angela Merkel und für Jahre sich von der Politik verabschiedete. Merz und Merkel, das passte nicht zusammen, höflich formuliert. Anders Hendrik Wüst, der mit dem neuen CDU-Partei- und Fraktionschef in Baden-Württemberg, Manuel Hagel, gut kann, der aber auch Freundschaften pflegt mit der CDU in Brandenburg. Und man darf davon ausgehen, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, nicht gerade zum Freundeskreis von Friedrich Merz gehört. Dafür hat Merz mit einigen Aussagen gesorgt, so als er auf dem legendären bayerischen Volksfest Gillamoos erklärte, Gillamoos sei Deutschland und nicht das berühmt-berüchtigte Kreuzberg. Zudem hat Merz kürzlich im Bundestag bei der Debatte über die Schuldenbremse klargemacht, dass die Entscheidungen im Bundestag getroffen würden und nicht im Rathaus von Berlin. Ein Schlag gegen Wegner, der kurz zuvor für ein Aufweichen der Schuldenbremse plädiert hatte.
Gewiss wird Hendrik Wüst nicht gegen Merz antreten. Dazu ist er zu clever. Sie kommen beide aus dem Landesverband NRW, eine Macht auch auf CDU-Parteitagen. Wüst wird nicht mit den Füßen trampeln, er wird abwarten, dass er gerufen wird als Kanzlerkandidat. Und einem solchen Ruf wird er sich nicht verweigern. Seine öffentliche Zurückhaltung darf man nicht mit fehlendem Ehrgeiz verwechseln. Tobias Blasius, NRW-Landeskorrespondent der WAZ in Düsseldorf, hat seine Biografie (gemeinsam mit Moritz Küpper vom Deutschlandradio) mit „Hendrik Wüst- der Machtwandler“ überschrieben. ein Titel, der vieles besagt, eben auch die Tatsache, dass der Kandidat abwartet und nicht nervös in den Medien seinen Machtanspruch vor der Zeit formuliert. „Er startete als schneidiger Jungunionist, machte Karriere als rechter Hardliner, erfand sich als Mann des CDU-Wirtschaftsflügels neu und erklomm die Spitze schließlich im Gewand des sanften Konservativen mit schwarz-grüner Agenda.“ Ein Buch, das man lesen sollte und das Einblicke gewährt in die Gedankenwelt eines Mannes, „der nie Parteidarling war“, der aber „zur smarten Führungsreserve der Union zählt“ und dem „man die Kanzlerkandidatur zutraut.“
Überschaubare Hausmacht
Zurück zu Vogels Personaltableau. Daniel Günther, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, wird im Juli 51 Jahre alt. Ein Mann, der damals plötzlich aufstieg, fast aus dem politischen Nichts, er kandidierte für die CDU und gewann, er regierte erst mit Grünen und FDP zusammen, dann nur noch mit den Grünen. Daniel Günther ist beliebt in der Partei, er ist nicht ein Typ wie Söder, eher etwas leiser, freundlicher, zurückhaltender. Er ist kein Merz-Freund. Seine Hausmacht auf einem CDU-Parteitag ist überschaubar. Schleswig-Holstein ist ein kleines Land. Unterschätzen darf man ihn nicht.
Dass Vogel Boris Rhein(52) genannt hat, überrascht. Hessen ist kein großes Land, der CDU-Landesverband spielt auf Parteikongressen entsprechend keine dominierende Rolle wie der von NRW oder Baden-Württemberg. Boris Rhein hat die letzte Landtagswahl in Hessen überragend gewonnen. Und danach hat er die durchaus erfolgreiche Allianz der CDU mit den Grünen aufgekündigt und stattdessen mit der eigentlichen Wahlverliererin, der SPD, eine Koalition geschmiedet.
Die Gründe mögen darin liegen, dass die geschwächte SPD eher zu Kompromissen zu Gunsten der CDU bereit war, weil die Sozialdemokraten lieber regieren statt opponieren wollen. Hessen, das war mal SPD-Land. Lange her. Jetzt ist Boris Rhein schon der dritte CDU-Ministerpräsident von Hessen in Folge. Er war zwar stets gegen eine Reform der Schuldenbremse, hat sich aber offen gezeigt für eine Aufweichung. Damit steht er nicht allein. Könnte sein, dass eine CDU-geführte Bundesregierung eine solche Reform eines nicht zu fernen Tages noch gut gebrauchen könnte.
Einer ist nicht genannt worden von Bernhard Vogel, den man aber immer auf dem Schirm haben muss: Bayerns CSU-Parteichef und Ministerpräsident Markus Söder(57). Zwar weiß der Franke, dass er nur dann die Kanzlerkandidatur erringen kann, wenn die weitaus mitgliederstärkere CDU ihm den Vortritt lässt. Sollte ihn sein Gedächtnis nicht im Stich lassen, wird Söder sich noch gut an die Kandidatur von Armin Laschet erinnern, dem er jede Menge Steine in den Weg gelegt und letztendlich mit dafür gesorgt hatte, dass der CDU-Mann aus Aachen scheiterte. Auch wenn Söder seine Ambitionen öffentlich nicht zum Ausdruck bringt, auch wenn er öffentlich erklärt, sein Platz sei in Bayern, in München, all das stimmt, muss aber nicht von längerer Dauer sein. Kürzlich erklärte er in der Sendung „Maischberger“, als die Moderatorin darauf hinwies, dass er, Markus Söder ja nicht der Kanzler sei, zumindest noch nicht: „Schade eigentlich.“ Etwas zum Schmunzeln, zum Lachen? Einerseits ja und andererseits nein. Der Ehrgeiz von Söder ist bekannt. Sein großes Vorbild Franz-Josef Strauß scheiterte 1980 an Helmut Schmidt, Edmund Stoiber verlor ganz knapp gegen Gerhard Schröder 2002, und 2025 könnte Markus Söder gegen Olaf Scholz antreten. Dass er sich zutraut, den SPD-Kanzler in der Wahl zu besiegen, darf man hundertprozentig annehme. Söder ist von sich überzeugt, aber das ist Scholz von sich im übrigen auch.
US-Reise mit größerem Gefolge
Zurück zu Hendrik Wüst, der in der nächsten Woche zu einer USA-Reise aufbricht mit größerem Gefolge, es handelt sich um eine Wirtschafts-Reise, High-Tech-Firmen in Kalifornien werden besucht. Mit an Bord sind auch viele Journalisten aus Düsseldorf und Berlin. Ja, die Hauptstadt-Korrespondenten wollen den Ministerpräsidenten beobachten, wie er sich in der großen Welt bewegt. Die Journalisten werden ihn auf Schritt und Tritt beäugen, seine Kanzlertauglichkeit bewerten, was er sagt, wen er trifft, wie er sich bewegt. Ob er Zeichen gibt Richtung Berlin. Und die in der Hauptstadt werden das genau verfolgen, jedes Wort. Auch der in Bayern wird sich das anschauen, denn es könnte ja sein, dass ein Markus Söder erkennt, dass die CDU ihm die Kanzlerkandidatur nicht anträgt. Für den Fall muss er dafür sorgen, dass ein starker Kanzlerkandidat ins Rennen geht, damit die CDU/CSU stärkste Fraktion wird. Was auch für Söders CSU wichtig ist. Wenn das Bundesverfassungsgericht die Wahlrechts-Reform nicht noch kippt, müssen die Christsozialen bundesweit mehr als fünf Prozent der Stimmen holen, das mit den direkt gewonnenen drei Wahlreisen reicht nicht mehr für die Fraktionsstärke.
Ob Söder dann für Wüst wäre? Und diesen stützen und nicht stürzen würde? Ein Söder als Wahlhelfer? Wenn ich Wüst wäre, würde ich darauf achten, dass Markus Söder vor mir steht und nicht hinter mir.
Bildquelle: A.Savin, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons