Eine Idee macht Karriere. Plötzlich redet alle Welt vom Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Vom ehemaligen Fußballprofi Ewald Lienen bis zur UN ist der Vorschlag zu hören. Immer mehr Regierungen planen direkte Geldzahlungen, sogar die USA – das Land mit der wohl stärksten Abneigung gegen staatliche Eingriffe – erwägen „Helikoptergeld“, ausgeschüttete Geldbeträge an die Bevölkerung. Als sei dieses bedingungslose Geldgeschenk an alle eine naheliegende Lösung. Als hätte es nicht jahrelang Vorbehalte gegen „leistungsloses Einkommen“ gegeben, gegen fehlende Gerechtigkeit. Keine Bedenken wegen seiner Finanzierbarkeit, wegen der stillschweigenden Aufforderung, sich auf die faule Haut zu legen.
Die Krise als Auslöser
Was ist geschehen? Eine neuartige Herausforderung stellt das bestehende soziale Sicherungssystem und manche unhinterfragte wirtschaftliche Überzeugung auf den Prüfstand. Die Corona-Krise verlangt nicht nur medizinische Lösungen zum Schutz der Bevölkerung, sondern sie legt gewohnte und eingespielte Kreisläufe lahm: Weniger Angebot, weniger Nachfrage, fehlende Umsätze für eine Reihe von Branchen. Gedrosselte Produktion in Industrie- und Handwerksbetrieben, untersagte Dienstleistungen im Bereich der Klein- und Kleinstbetriebe. Der Friseur hat ebenso seine Ladentür verriegelt wie das Reisebüro, dem Musiker sind die Konzerte abgesagt wie dem Semiprofi seine Ligaspiele.
Darauf haben Bundes- und Landesregierungen entschlossen und weitgehend einmütig reagiert. Mit dem Shutdown wurde zeitgleich an Hilfsprogramme gedacht. Der Staat zahlt Kurzarbeitergeld, er gewährt durch Sofortprogramme Einmalzahlungen für Freiberufler und Selbstständige, er lockert die Zugangsbedingungen zum Arbeitslosengeld II, er haftet für Notfall-Kredite an Betriebe. Neue Hilfen erreichen die Bürger beinahe im Wochentakt.
All diese Maßnahmen versorgen Menschen in finanzieller Not mit Ersatzeinkommen und versuchen, die Unternehmen vor einer Insolvenz zu schützen. Die Wirtschaft und das Leben sollen weitergehen durch die Krise hindurch. Sie sollen nach der Krise nicht auf Trümmern neu begonnen werden. Immense Arbeitslosenzahlen und hohe Pleitewellen sollen verhindert werden.
Das BGE als Hoffnungsträger in der Not
So gut diese Hilfen in der Not sind, gehen sie doch vielen nicht weit genug. Es sind Einzellösungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, oft nicht gut durchschaubar und nicht leicht zu beantragen. Sie werden nicht bedingungslos gewährt, sondern folgen vorgegebenen Kriterien. Und hinter den Maßnahmen steht die bange Frage: Wie lange darf man sich darauf verlassen? Reichen die Mittel auch noch in zwei oder drei Monaten, um die Miete zu bezahlen und sich den Kühlschrank zu füllen, das angeschlagene Unternehmen durch die Krise zu bringen?
Das BGE wird gefordert nicht mehr nur von den Überzeugten und Aktivisten, die seit zwei Jahrzehnten verstärkt die Idee bewerben und die öffentliche Debatte befeuern. Angesichts der akuten Situation mit ihren neuartigen Herausforderungen lockern sich plötzlich starre Haltungen, öffnen sich Denkmuster. Es steigt die Bereitschaft, Neues nicht nur für möglich zu halten, sondern zu wagen. Weil etwas geschehen muss. Klarer als in ruhigeren, stabileren Zeiten wird ersichtlich, dass alte Maßnahmen keine neuen Probleme lösen.
In der Tat, das BGE drängt sich hier auf. Wenn ein jeder, eine jede einen Betrag vom Staat erhielte, unbürokratisch, bedingungslos, ohne Prüfung von Voraussetzungen aller Art, dann wäre sie weg, die große Angst vor dem Verlust der Existenz. Dann wäre die Fallhöhe für manche zwar hoch, denn ein BGE ist ein Pauschalbetrag, den alle erhalten unabhängig vom bisherigen Lebensstandard, Vermögen und Verdienst. Aber das Netz wäre stabil, es schützte alle vor dem Aufprall. Es wäre eine unkomplizierte und schnelle Lösung, die jeden erreicht. Sie würde dauern, solange es notwendig erscheint.
Es wäre eine einfache Lösung, die in der Krise gepaart werden müsste mit weiteren gruppenspezifischen Konjunkturprogrammen, um die Fallhöhe zu begrenzen. Es wäre besser als der jetzige Flickenteppich. Aber… ein Not-BGE, ein Corona-Grundeinkommen oder ein Basis-Einkommen, wie es hier und da heißt, entspricht nicht der ursprünglichen Idee, es bleibt ein Ersatz-Einkommen für entgangene Einnahmen in der Krise. Es bleibt gebunden an die Vorstellung, ein anerkennungswürdiges Leben sei an Erwerbsarbeit gekoppelt. Die Not-Lösungen beziehen sich immer noch auf den Werktätigen und nicht auf den Bürger und die Bürgerin.
Für die Zukunft gewappnet sein
Natürlich sind Befürworter eines BGE begeistert vom Aufschwung der Idee, von der gestiegenen Wahrnehmung. Haben sie doch lange daran gearbeitet, dass sie bekannt und akzeptabel wird. Doch Vorsicht vor Verwechslung! Die eigentliche Idee ist nicht eine Nothilfe, nicht einmal eine Nothilfe für alle. Es soll gerade losgelöst vom Erwerbseinkommen eine stabile Existenzgrundlage schaffen, auf der sich Potentiale entfalten können. Es soll Gleichheit stiften in der Abwesenheit von existenzieller Not. Das BGE soll die Freiheit des Einzelnen erhöhen, sein Leben so zu führen, wie es ihm entspricht. Es soll Solidarität stärken durch eine festere Verbundenheit zu einem Gemeinwesen, das seine Bürger bedingungslos wertschätzt.
Es wirkt damit auch krisenfest. Denn nach der sozialen und wirtschaftlichen Krise lauert die politische Krise. Wohlhabende können sich vor den Folgen der Produktionseinbrüche und Einkommensausfälle besser schützen als Geringverdienende. Die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern der Krise geht auseinander. Trotz vieler Beispiele spontaner Solidarität wird Ungleichheit verstärkt und mit ihr der Missmut darüber. Unzufriedenheit aber gefährdet den sozialen Zusammenhalt.
Auch dieser Zusammenhang spricht für eine langfristige Veränderung unseres Sozialen Sicherungssystems. Genau hier setzt das BGE an. Es setzt ein doppeltes Signal: Es zeigt Vertrauen in seine Bürger, indem es bedingungslos jedem gewährt wird. Und die Bürger können in den Staat vertrauen, der sie in der Existenz sichert und sie bedingungslos anerkennt – ohne Vorleistung.
Und schließlich wird deutlich: Eine Gesellschaft, die sich in die Zukunft hinein Handlungsoptionen eröffnen will, die aktiv gestalten und auf gute Weise – nachhaltig, gerecht, freiheitlich und solidarisch – bereit machen will für erwartbare neue Krisen, eine solche Gesellschaft ist mit einem BGE gut gewappnet, von Anfang an und vornherein. Dauerhaft und nicht nur in der akuten Krise. Warum nicht jetzt damit beginnen?!
Ute Fischer ist Professorin für Politik- und Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund. Sie zählt zu den prominentesten und entschiedensten Befürwortern des Bedingungslosen Grundeinkommens
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