Die italienische Regierung strebt eine Stärkung der Exekutive gegenüber Legislative, Judikative und der Präsidentschaft an, bei gleichzeitiger Dominanz in den Medien und Einschränkungen der journalistischen Arbeit. Dies ist ein Muster, das in Ungarn weit vorangetrieben ist und in Polen gerade zurückgedrängt wird. Damit kommen autoritäre Bestrebungen ans Licht, die mit der Machtübernahme des „Mitte-Rechts-Bündnisses“ befürchtet wurden. Allerdings stehen den zentralen verfassungsrechtlichen Elementen dieser Reformen noch hohe Hürden im Wege, sodass ungewiss ist, ob diese Pläne Wirklichkeit werden.
Ministerpräsident Giorgia Meloni (sie selbst benutzt für sich das generische Maskulinum) ist es gelungen, durch Wohlverhalten nach Außen, in der Westeinbindung und im Rahmen der EU, die anfänglichen Befürchtungen eines wiederkehrenden Neo-Faschismus abzubauen. Jetzt zeigt sich jedoch mehr und mehr die autoritäre Grundhaltung ihrer Partei Fratelli d’Italia mit den meisten Sitzen und stabil hohen Werten in den Wahlumfragen nach Innen. Schon jetzt lässt sich beobachten, wie Regierung und Parlamentsmehrheit der Legislative den Einfluss entziehen, wie die Möglichkeiten der Judikative eingeschränkt und die kritischen Medien zunehmend verdrängt werden. Dieses Verhalten könnte zur Norm werden und würde auch die Bedeutung der Staats-Präsidentschaft herabmindern, wenn es den Mehrheitsparteien gelingt, ihre tiefgreifenden Reformvorschläge durchzusetzen.
Seit die Regierung mit einer komfortablen Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments an der Macht ist, formuliert der Justizminister von Melonis Fratelli d‘Ìtalia (FdI) unablässig Gesetzes- und Regeländerungen für Staatsanwaltschaften und Richter (vgl. auch BdR). Einige Maßnahmen zielen offensichtlich darauf ab, die als „zu politisch“ bezeichnete Magistratur (des Gerichtswesens) in ihren Handlungsmöglichkeiten einzuschränken. Die Standesorganisationen der Magistrate wehren sich, prominente Anti-Mafia Staatsanwälte warnen vor dem Verlust von Strafverfolgungsinstrumente. Hingegen gefällt dies besonders den Berlusconi-Epigonen in der Forza Italia (FI) ebenso wie dem Ex-Premier Matteo Renzi, der sich und seine Familie als von der Justiz ungerechtfertigt Verfolgte sieht. Überdies greifen Politiker, auch des dritten Koalitionspartners, der Lega Salvini Premier, Richter für missliebige Entscheidungen an. Sie lassen in deren Vergangenheit suchen, um private politische Aktivitäten anzuprangern, was zu disziplinarischen Maßnahmen führen kann. Kürzlich trat dann auch der FdI-Verteidigungsminister, der bisher nicht mit leichtfertigen Äußerungen aufgefallen ist, in einem Interview mit der kryptischen Aussage hervor, dass nur Kreise der Justiz das Durchhalten der Regierung über die ganze Legislaturperiode verhindern könnten. Im Senat zur Rede gestellt ruderte er nicht vollständig zurück, und erhielt Unterstützung aus dem Kabinett.
Dazu passt die soeben vorgeschlagene Gesetzesänderung, dass die richterliche Anordnung einer Untersuchungshaft nicht mehr veröffentlicht werden darf. Dies wurde mitten per Gesetzesentwurf von einem langjährigen Mitstreiter Berlusconis eingebracht, mit den Stimmen der Abgeordneten der mitte-rechts-Mehrheit sowie Parteigängern von Renzi und Calenda angenommen und muss nun umgesetzt werden. Auch diese Änderung wird von hochrangigen Staatsanwälten kritisiert, vehement bekämpft von Journalisten, die darin (wie schon in früheren Vorschlägen dieses Abgeordneten) einen Knebel sehen. Ein weiterer Gesetzesvorschlag sieht eine Strafverschärfung für Diffamierung durch Journalisten vor. Solches Vorgehen von Politikern der Mehrheitskoalition lässt darauf schließen, dass die Regierungsparteien neben der Justiz auch die Medien nicht länger als kritische Begleiter sehen wollen.
Wie in Italien üblich hat die Regierung nach der Machtübernahme die Leitungsfunktionen bei der Radiotelevisione Italiana (RAI) neu besetzt, womit eine Richtungs-Verschiebung besonders der Nachrichten und politischen Magazine in diesem öffentlich-rechtlichen Senderkomplex in ihrem Sinne bewirkt werden soll. Die RAI ist somit kein Gegengewicht mehr gegen die Kanäle des größten privaten TV-Konzerns Mediaset, der von der Berlusconi-Familie beherrscht wird, die weiter die Forza Italia unterstützt und die auch mit Giorgia Meloni eng verbunden ist. Daneben operieren nur wenige unabhängige private Sender. Allerdings haben nicht alle Magazine und Talkshows bei RAI aufgegeben oder den Sender gewechselt. Das investigativ-Magazin Report im dritten RAI-Kanal z.B. steht mit kritischen Beiträgen unter anderem über nicht-offengelegte Interessenkonflikte von führenden Politikern im Fokus. Der betroffene Berlusconi-Getreue Maurizio Gasparri, ein wichtiger FI-Politiker, hat versucht, über RAI-Vorgesetzte den kritischen Beitrag über sich zu verhindern.
In führenden Printmedien werden solche Skandale nach wie vor aufgegriffen, da hier die rechte Hegemonie nicht so ausgeprägt ist wie beim Funk. Neben den offen regierungsfreundlichen Blättern sind die Zeitungen mit den höchsten, aber rückläufigen Auflagen noch unabhängig und gemäßigt kritisch, neben dem Corriere della Sera auch die beiden zum Ex-Fiat Konzern gehörenden Blätter La Stampa und La Repubblica gilt. Scharfe Kritik an Regierung und an oberflächlichem Journalismus übt nur eine kleinere von Journalisten betriebene Tageszeitung, Il Fatto Quotidiano. Bedenklich für die verbleibende Unabhängigkeit der Printmedien ist das Bestreben branchenfremder Unternehmer, z.B. Betreiber von Privatkliniken, Zeitungen zu übernehmen und selbst bei wirtschaftlichem Defizit weiter zu betreiben, um ihre private Agenda voranzutreiben. Übrigens gibt es in Italien kein Boulevard-Blatt wie in Deutschland oder England. Die sozialen Medien werden von den meisten Politikern, Parteien und Ministerien mehr oder weniger intensiv bespielt. Bei der Zahl der Follower hat sich Meloni an die Spitze gesetzt. Bei der Häufigkeit der Einträge führt Vizepremier Matteo Salvini, der täglich zigfach sendet, auch mit aufstachelnden Kommentaren etwa anlässlich von Verbrechen oder Unfällen.
Im Verhältnis Exekutive – Legislative ist in der aktuellen Praxis eine systematisch betriebene Geringschätzung des Parlaments durch die Regierungsparteien zu beobachten. Die Regierung greift häufig zu der Möglichkeit über Kabinetts-Erlasse am Parlament vorbei die gesetzlichen Regeln zu ändern. Außerdem nutzt die Regierung ihre Mehrheit im Parlament dazu, mit sachfremden Last-Minute Anhängen an die Gesetzesvorlagen neue Regeln zu schaffen, und so die parlamentarische Diskussionszeit zu verknappen.
Soeben hat sie den Haushalt 2024 sehr spät in die beiden Häuser eingebracht. Verzögerungen gab es durch interne Änderungswünsche der Koalitionspartner, obwohl die Linie ausgegeben war, dass es nach dem ersten internen Entwurf gar keine Änderungen mit zusätzlichen Ausgaben im Haushalt 2024 geben sollte. In Ausschüssen gab es weitere Diskussionen, auch hier allerdings ohne dass irgendwelche Wünsche der Oppositionsvertreter angenommen wurden. In den Kammern selbst gab es nur eine kurze Debatte unter Zeitdruck am Jahresende. So musste der Senat dem Haushalt kurz vor Weihnachten zustimmen und das Abgeordnetenhaus den Haushalt erst am 29. Dezember 2023 annehmen, um eine vorläufige Haushaltsführung zu vermeiden, die bei Nichtverabschiedung vor dem neuen Jahr in Kraft getreten wäre.
Die umwälzende Maßnahme zur Stärkung der Exekutive auf Kosten der Legislative wäre allerdings die Systemreform zur Direktwahl des Premierministers, das sogenannten „Premierato“. Meloni hat die dafür erforderliche Verfassungsänderung ominös als „Mutter aller Reformen“ bezeichnet.
Die Mehrheits-Partei FdI betreibt die Direktwahl-Reform mit dem Argument, dass dies die politische Stabilität Italiens befördern würde. Dazu schlägt sie eine weitere Verfassungsänderung vor, gemäß der nach der Wahl die Mehrheitskoalition die Zahl ihrer Sitze auf mindestens 55% aufgestockt sehen würde, und der Ministerpräsident sich so auf eine gesicherte Mehrheit im Parlament stützen könnte.
In Italien wird der Ministerpräsident ähnlich wie in den meisten EU-Ländern vom Parlament gewählt, und ist auf dessen Vertrauen angewiesen. Für das geplante Hybrid-Konzept gibt es weltweit kein Vorbild. Es würde eine Direktwahl des Führers der Exekutive (wie in den Präsidential-Demokratien in Frankreich und den USA) mit der Stützung durch eine willfährige Legislative verbinden. So würden die „checks-and-balances“ noch schwächer als in USA oder Frankreich.
Ein wichtiger Punkt der Diskussion über das Premierato ist die verbleibende Rolle des Staatspräsidenten. Der italienische Staatspräsident hat eine stärkere Rolle als der Bundespräsident. Zudem füllt sie der Amtsinhaber Matarella mit breiter Zustimmung der Bevölkerung aus, da er mit seinen klaren Äußerungen zu aktuellen Themen über dem politischen Spektakel schwebt. Meloni und ihre zuständige Ministerin von den FdI behaupteten, dass Rolle und Macht des Staatspräsidenten nicht geändert und eingeschränkt würde, da die ihn betreffenden Paragraphen nicht angetastet würden. Diese Einschränkung würde jedoch offensichtlich effektiv eintreten, schon da der Staatspräsident nicht wie bisher eine aussichtsreiche Person mit der Regierungsbildung beauftragen würde. Mittlerweile hat der Senatspräsident La Russa aus dem traditionellen Mussolini-freundlichen Kreis der FdI dies auch zugegeben und damit seine Parteivorsitzende verleugnet. Nach seiner Meinung ist die derzeit mächtige Rolle des Staatspräsidenten in der Verfassung Italiens gar nicht gedacht.
Die Ministerin für institutionelle Reformen hat bereits Entwürfe vorgelegt, die in der Änderung von nur wenigen Paragrafen bestehen. Verfassungsrechtler äußern sich dazu sehr kritisch, vor allem wegen der Instrumentalisierung des Parlaments, auch wegen Unklarheiten der gedachten Praxis z.B. bei Tod, Amtsverzicht oder Untragbarkeit des Amtsinhabers und mehr. Sogar aus den Kreisen des Koalitionspartners FI kommen ernste Zweifel, sodass offensichtlich ist, dass die für Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament in weite Ferne rückt. Ob dann eine heilende Volksbefragung die notwendige Zustimmung ergeben würde, bleibt ebenso zweifelhaft. Bisherige Referenden wie die zu Renzis Verfassungsvorschlag, der wesentlich weniger tiefgreifend war, waren erfolglos.
Es wird vermutet, dass der Koalitionspartner Lega der Reform zustimmen würde, wenn die Lega gleichzeitig ihr Lieblingsprojekt der „differenzierten Autonomie“ mit den Stimmen der Koalition verwirklichen könnte. Die Vorschläge des zuständigen Ministers für regionale Angelegenheiten und Autonomie (gestellt von der Lega) sehen vor, dass die Regionen einen gleichen Mindeststandard (in den staatlichen Einrichtungen des Gesundheits- und Erziehungswesens und anderen) sichern und vom italienischen Staat finanziert erhalten. Darüberhinausgehende Qualität würde dann von den Regionen selbst bzw. privatwirtschaftlich ergänzten Systemen erreicht werden. Dies würde die aus Sicht der Lega ungeliebte Subvention der Regionen des Südens durch den Norden limitieren. Befürchtet wird jedoch, dass dies effektiv die bestehenden Unterschiede zwischen Nord und Süditalien verfestigen oder noch vertiefen würde. Auch hier ist die Zustimmung der Forza Italia nicht gesichert, da sie ihre starke Stellung besonders in Sizilien in der Nachfolge der Democrazia Cristiana nicht verlieren will.
Zusammengesehen werden im aktuellen Verhalten und kleinen gesetzlichen Schritten sowie in den diversen großen Reformprojekten der Regierungsparteien Konturen eines angestrebten autoritären Systems erkennbar, das an Ungarn und Polen erinnert:
- Dominanz des Premierministers und der Exekutive
- Aushöhlen der Funktionen des Staatspräsidenten
- Schwächung und sogar Subordination der Legislative
- Schwächung der Judikative, wenn auch keine Unterordnung, wie der Justizminister beteuert
- Einschränkung und unter Druck setzen von Journalisten und Dominanz über die Hauptmedien
- Differenzierte Autonomie der Regionen mit einer Schwächung des Südens
Angeblich wünschen Italiener eine starke Führung. Ob sie aber einem entsprechenden Verfassungsplebiszit zustimmen würden, scheint angesichts der Erfahrung mit Referenden wenig wahrscheinlich. Der Teil dieser autoritären Tendenzen ohne Verfassungsreform bleibt aber wirksam.