Rund 120 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, die meisten von ihnen haben ihre Wohnung-das ist nicht das, was wir darunter verstehen- verlassen und halten sich irgendwo in einem anderen Teil ihres Landes auf. Sie sind geflohen, weil sie bedroht wurden, sie sich nicht mehr sicher fühlen konnten. Diktatoren sind so, auch Autokraten lassen nicht mit sich spaßen. Die Menschen sind geflohen, weil sie eh kaum etwas hatten also auch nichts zu verlieren, keinen Job, nichts zu essen, zu trinken, keine medizinische Versorgung. Schon wahr, wir können nicht alle Probleme dieser Welt in Deutschland lösen. Das verlangt auch niemand, um diese Sprüche vom Biertisch gleich in die Tonne zu hauen. Aber dass wir in Deutschland eine Diskussion darüber führen, ob wir unsere Flüchtlings-Probleme nicht auslagern in sogenannte Drittstaaten, das finde ich nun wirklich entsetzlich, abstoßend. Christlich? Wohl kaum? Human? Eher egoistisch.
Das erinnert mich an Debatten vor vielen Jahren, als es darum ging. den Atommüll zu entsorgen, eine Endlagerstätte zu finden, die wir hier im Land immer noch nicht haben. Auch damals wurde schwadroniert darüber, diesen Müll doch ins Ausland zu verkaufen, in die Wüste Gobi, auf den Mond oder wohin auch immer. Hauptsache weg von Deutschland. Nicht in der Nähe meines Grundstücks. Wir haben den Müll zwar produziert, haben mit dem Atom Geld verdient, aber den Dreck sollen andere für uns wegschaffen. Das nennt man dann eine Wertedebatte, oder wie nennen Sie das, Herr Söder? Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, so beschreiben das die Medien in Berlin, treibe in dieser Frage den Bundeskanzler vor sich her. Söder hat zwar auch keine Lösung, er fordert im Sinne des Stammtisches immer nur: Sofort müsse Scholz das tun und jenes, abschieben, einsperren, auch wenn das nicht geht. Das weiß er, aber die Lufthoheit über den Stammtischen, die beherrscht er. Dass die AfD davon profitiert ist ihm doch egal, Hauptsache die Ampel kriegt dafür die Prügel, der Kanzler muss weg, Neuwahlen her.
Hetze gegen Ausländer
Flucht vor der Flucht, nennt das Holger Möhle im „Bonner Generalanzeiger“. Recht hat er. Deutschland, die EU, im Grunde alle wollen ein Problem loswerden. Dies zu kritisieren, heißt nicht, der unkontrollierten Zuwanderung alle Türen zu öffnen. Wir sollten aber der in weiten Teilen rechtsextremen AfD nicht erlauben, mit dem Eindruck Punkte zu gewinnen, ein Problem von globalem Ausmaß ließe sich national lösen. Die Höckes und Weidels und all die anderen aus der ultrarechten Ecke wollen ja gar nicht das Problem lösen, dann stünden sie ja programmatisch fast nackt da. Sie betreiben böse Hetze gegen Ausländer und Geflüchtete, nichts anderes haben sie im Sinn. Und deswegen stacheln sie ihre Anhänger und solche, die empfänglich sind für dermaßen Argumentation, gegen Ausländer an. Sie gaukeln ihnen vor, dass die anderen Parteien, vor allem die, die gerade die Regierung stellen, also SPD, die Grünen und die FDP dafür verantwortlich seien, dass sie keine ordentliche Wohnung hätten, keinen Job mit Zukunft, dass Ausländer ihnen die Wohnung wegnähmen, ausländische Kinder ihnen die Plätze in der Kita streitig machten, dass Ausländer also die Schuld trügen für ihre missliche Lage.
Dass dies rundum gelogen ist, wissen die Höckes und die Weidels, aber sie wissen auch, wie leicht manche Zeitgenossen, die irgendwo am Rande der Gesellschaft leben, weil sie vielleicht Pech gehabt haben in ihrem Leben, für solche Kampagnen zu gewinnen sind. Es geht mir nicht so sehr um die wenigen Geflüchteten, die sich strafbar gemacht haben. Sie sind nur eine verschwindend kleine Zahl in diesem Millionen Heer. Straffällig gewordene Ausländer, Schwerstkriminelle, Extremisten, die den Staat, der ihnen Schutz und Freiheit gewährt, bekämpfen und verachten, haben ihr Bleiberecht in Deutschland verwirkt. Sie sollten abgeschoben werden, auch dann, wenn ihr Herkunftsland Afghanistan heißt. Dass dort die Steinzeit-Taliban herrschen, wussten die Ausländer, ehe sie sich strafbar machten. Und doch ist das mit Sofort-Raus sehr schwer.
Dass wir aber darüber reden, wie das die Briten mit Ruanda vorhaben und deswegen in Erwägung ziehen, etwa mit Bosnien-Herzegowina zu verhandeln, damit sie die ausgelagerten Verfahren übernehmen, ist doch keine ernstzunehmende Lösung. Das klingt doch sehr kolonial. Auch die italienische Idee, einen Teil der im Mittelmeer geretteten Bootsflüchtlinge zur Asylprüfung nach Albanien zu bringen und dort zugleich die Verfahren abwickeln zu lassen, ist eher menschenfeindlich. Abschieben, loswerden. Meilensteine sind das nicht. Was wollen wir dafür bezahlen? Wie hoch soll das Kopfgeld sein? Menschenrechte, so argumentiert Möhle weiter, gelten doch jeden Tag und an jedem Punkt in der Welt. Die von vielen Politikern während der Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag gepriesene Würde des Menschen darf nicht zu einem minderen Wert einer Sonntagsrede degradiert werden. Zudem würden Ruanda- und Albanien-Lösungen nur eine Abhilfe für wenige Tausend schaffen. Großbritannien rechnet mit 6000 Flüchtlingen, Italien will in Albanien eine Infrastruktur für 3000 Geflüchtete aufbauen. Die EU registrierte aber im letzten Jahr eine Million Asylanträge. Kriege, Konflikte, Gewalt, Verfolgung, der Klimawandel, all dies treibt Millionen Menschen in die Flucht, so viele wie nie zuvor. Ruanda oder Albanien, das sind eher Scheinlösungen.
Keine Neiddebatte
Die Union, lese ich in der SZ vom Wochenende, treibe den Kanzler vor sich her. Wem ist damit gedient, Herr Söder, Herr Merz? Oder sind Sie schon im Wahlkampftunnel? Man kann davor nur warnen. Nach der Bundestagswahl, Herr Merz, Herr Söder, sind es Ihre Flüchtlinge, müssen Sie Lösungen beschaffen. Sofort! Mir erscheint die Lösung näher, Asylverfahren direkt an Europas Außengrenzen durchzuführen. Damit könnte das Ausmaß der illegalen Migration reduziert werden. Vielleicht! Wir brauchen mehr Wohnungen, mehr Sozialarbeiter, Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas, mehr Lehrerinnen und Lehrer. Ja, und wir dürfen von den Geflüchteten auch fordern, dass sie für das Bürgergeld etwas leisten, dass sie Arbeit annehmen, die deutsche Sprache lernen. Aber wir müssen natürlich auch Sprachkurse anbieten. Eine Neid-Debatte hilft nur der AfD.
Grundsätzlich sollten die Demokraten nicht vor der AfD in die Knie gehen, sich nicht wegducken. Es bedarf der Solidarität der Demokraten. Lassen Sie sich nicht auseinanderdividieren! Machen Sie Politik für Menschen! Sorgen Sie dafür, dass die Fluchtursachen in den Ländern Afrikas und Asiens bekämpft werden! Fluchtursachen sind die Folge der Kolonialzeit. Der Westen, der Norden, das sogenannte Abendland, sie alle, wir alle haben die Verantwortung für die Verschmutzung der Welt zu tragen. Durch die Industrialisierung, unsere Politik der Ausbeutung, der Sklaverei. Wir haben für die Schäden, die wir angerichtet haben durch die Kolonialzeit, wieder gutzumachen. Bekämpfen wir die Armut in den vom Klimawandel besonders betroffenen Ländern der Welt, helfen wir den Menschen dort, dass sie leben können, wohnen, arbeiten, dass sie zu essen haben, unter hygienischen Verhältnissen vor Krankheiten geschützt sind. Niemand flieht freiwillig.
Ein Hinweis an Amerika: die Folgen des Irak-Krieges, der vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush angezettelt worden war, sind im Mittleren Osten bis heute spürbar. Der Krieg, der Millionen Menschen das Leben gekostet hat, hat das Land nahezu unregierbar gemacht. Da sind die USA gefordert. Es war der SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der 2002 dem kriegslüsternen Bush die Stirn bot und Nein sagte zum Krieg, während die damalige Oppositionschefin, die spätere Kanzlerin Angela Merkel(CDU), in einem Gastbeitrag für die „Washington Post“ dem Kanzler mit den Worten in den Rücken fiel: „Herr Schröder spricht nicht für alle Deutschen“. Ich vergesse auch nicht die Kampagne, die Bush und andere gegen die Deutschen anzettelten. Die, die in den Krieg zogen, bildeten die Koalition der Willigen. Man stelle sich nur mal vor, man hätte diese Milliarden Dollar für den Klimawandel eingesetzt und nicht zum Töten von Menschen und dem Zerstören der Landschaft?! „Mission accomplished“. So triumphierte Bush, als er am 1. Mai 2003 im Pilotenoverall auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln gelandet war. Mission erfüllt, die Kämpfe sind beendet. Sein Außenminister Powell musste vor der UNO zugeben, dass die angegebenen Gründe für den Einmarsch der USA in den Irak, nämlich Massenvernichtungswaffen, erstunken und erlogen waren.
Politik für Menschen
Politik für Menschen. Das wäre die Lösung, Herr Bundeskanzler, Herr Oppositionsführer, Herr CSU-Chef. Bei der tödlichen Messerattacke eines Afghanen vor drei Wochen in Mannheim wurde der Polizeibeamte Rouven Laur tödlich verletzt. Die Proteste waren berechtigt, der Afghane wird hart bestraft. Ob er ausgewiesen werden kann? Mehr Schutz vor Messerattacken, wie das Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil gefordert hat. Das macht Sinn und bedeutet mehr Schutz für die Polizei, die täglich im Einsatz Gefahren ausgesetzt ist. Wie in Mannheim. Ein Trageverbot für Messer mit Klingen von mehr als sechs Zentimetern, in ganz Deutschland. Ja, man muss auch kontrollieren. Dabei können nicht alle Zeitgenossen angehalten und ein Blick in ihre Taschen geworfen werden. Nur die, die verdächtig erscheinen, was sofort den Verdacht aufkommen lässt, das könnte diskriminierend werden. Wer ist, wer sieht verdächtig aus, wie macht sich einer verdächtig? Migranten sind häufiger auffällig, so die Statistik(SZ), aber die Statistik besagt auch, dass mehr als die Hälfte der Attacken von Menschen ausgehen mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit. Also bitte umsichtig vorgehen, ohne Vorurteile. Es passieren täglich in Deutschland 24 Messerdelikte.
Und noch etwas gegen die Vorurteile gegen Flüchtlinge, Ausländer, Deutsche mit Migrationshintergrund. Nachzulesen im SZ-Magazin in der Kolumne von Axel Hacke unter dem Titel: Das Beste aus aller Welt. Da weist der Autor mit seiner gewohnt leichten Feder darauf hin, dass über kaum ein Thema so viel gestritten werde wie über Migration. „Und über kaum ein Thema kursieren ähnlich viele Lügen.“ Wie wäre es, schlägt Hacke vor, wenn nach der nächsten Champagner-Sause auf Sylt, bei der ein paar Salon-Nazis einen ihrer Remigrationsabende veranstalten oder Suffbrüder und -schwestern heitere Ausländer-raus–Choräle anstimmen, „auf der Stelle und ohne Vorwarnung alle deutschen Bürgerinnen und Bürger mit einem sogenannten Migrationshintergrund sowie sämtliche Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland die Arbeit für eine Woche niederlegen?“ Was dann geschehen werde? „Nichts“, so Hacke. „Krankenhäuser und Arztpraxen müssten schließen. Supermärkte wären dicht. Handwerker kämen nicht. Baustellen lägen still, Forschungsprojekte auch. Pflegefälle blieben ungepflegt, Haare ungeschnitten, Wohnungen ungeputzt, Wäsche ungewaschen, Gemüse ungeerntet, Taxis ungefahren, Straßen ungefegt, Tonnen voller Unrat ungeleert.“ Von wegen Ausländer nehmen uns Arbeit weg, Zuwanderung bringt Verbrechen. Unser Land bräche zusammen ohne die Ausländerinnen und Ausländer, sie werden gebraucht, es gibt Arbeit, die niemand sonst machen will, oft ist gar keiner mehr da. Politik als Lüge und Propaganda. Das ist es.
Machen wir Politik für Menschen. Erklären wir den Menschen diese Politik. Die Politiker müssen wieder näher ran an die Menschen. Nah bei de Leut, nannte das einst Kurt Beck, der langjährige Ministerpräsident. Johannes Rau war ein Menschenfischer. Es ist unser Land. Lassen wir es uns nicht nehmen von Menschen, die es zerstören wollen.