Es war eines der größten Menschheitsverbrechen, die Judenvernichtung durch den Nazi-Staat, und der Name Auschwitz war das Synonym für dieses Verbrechen. Im dortigen Konzentrationslager waren mehr als 1,1 Million Menschen, zumeist Juden, Polen, Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene vergast oder einfach tot geschlagen worden, sie verhungerten, kamen in der Kälte oder bei der Zwangsarbeit ums Leben, man warf sie in die elektrisch hochgeladenen Zäune oder knallte sie ab. Es dauerte Jahre, bis es dem hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gelang, gegen schwerste Widerstände in Frankfurt den ersten der insgesamt sechs Auschwitz Prozesse im alten Römer der heutigen Banken-Metropole zu eröffnen: Am 20. Dezember, vier Tage vor Heiligabend.
Fritz Bauer, Jude und Sozialdemokrat, war selbst Opfer der Nazi-Diktatur, früh wies man ihn als Juden bei einem studentischen Sportclub in Heidelberg ab, 1933, wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nazis, entließen ihn die braunen Machthaber im April als Richter. In den 1950er Jahren machte sich der „Jurist aus Freiheitssinn“ Bauer durch sein Engagement gegen die Täter der braunen Schreckensherrschaft viele Feinde im Land, indem er „der westdeutschen Wirtschaftswunder-Gesellschaft in der Ära Adenauer den Spiegel vorhielt, in den sie nicht gern schauten“(die Historikerin Irmtrud Wojak in ihrer Biographie über Bauer)- aus Angst, der eigenen braunen Fratze von einst zu begegnen. Robert Kempner, der Ankläger in den Nürnberger Prozessen gegen Nazi-Größen, rühmte dagegen den unerschrockenen Juristen als den „größten Botschafter, den die BRD hatte“. Bauer selber wurde so bedrohlich, dass er eingestand, bei Verlassen seines Hauses betrete er Feindesland. So war es, die alten Nazis waren nicht mehr an der Macht, aber sie waren noch da, saßen in Parlamenten, in der Regierung.
Wer je in Auschwitz-Birkenau war, durch das Eingangstor mit der höhnischen Schrift „Arbeit macht frei“ schritt, wer je die einstigen Lager gesehen hat, die Mauer, vor der die Opfer erschossen wurden, die Koffer, die Brillen, die Spielzeuge der Kinder, die Haare, die Gebisse der Getöteten, wer all die Schrecken nachgelesen hat, die in Auschwitz verübt wurden an Menschen, weil sie Juden waren, wird diese Bilder nicht vergessen. Und der kann auch nicht verstehen, dass es so viele Jahre dauerte, bis man sich dieses Verbrechens annahm, um aufzuklären und zu erklären, was dort in Südpolen, unweit der schönen Stadt Krakau geschehen war. Wo nur noch das Recht des Stärkeren geherrscht und das Recht des Einzelnen keine Rolle mehr gespielt hatte, Willkür herrschte der Männer in braunen Uniformen.
Und der Besucher der Ausstellungsstätte wird nicht begreifen, warum das Thema Auschwitz, der Terror der Nazi-Zeit in den Jahren nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg viele Jahre verdrängt worden war. Darüber wurde einfach nicht gesprochen in den Schulen. Es war ja auch viel bequemer, sich Jahre in der Römer-Zeit aufzuhalten, als sich unbequemen Fragen zur eigenen Vergangenheit zu stellen. Oder den Männern Filbinger, Kiesinger und Nannen und Höfer die Frage zu stellen: Warum wart ihr bei den Nazis, wo war euer Widerstand?
Nein, damit meine ich nicht aus purer Selbstgerechtigkeit, dass unsere Generation sich anders verhalten und Hitler und all den anderen Verbrechern nicht zugejubelt hätte wie viele der Älteren. Aber wir hätten zumindest Aufklärung erwarten dürfen, wie das geschehen konnte, wie quasi fast ein ganzes Volk sich Hitler zu Füßen warf. Oder wie es der Autor, Zeitzeuge und damalige Häftling Primo Levi in seinen Erinnerungen aufgeschrieben hat, als er als Häftling einem Aufseher die Frage gestellt hatte: „Warum?“
An der Rampe des KZ
Zurück zum Auschwitz-Prozess, der im Juristen-Deutsch schlicht hieß: „Strafsache gegen Mulka und andere“. Mulka war der ranghöchste SS-Mann, der an der Rampe im KZ gestanden hatte, (wie der Arzt Mengele, der nach Argentinien entkommen war), für die Transporte mitverantwortlich war wie für das Beschaffen des tödlichen Zyankali. 360 Zeugen sollten aussagen im Verfahren gegen 22 Angeklagte, über unfassbare Verbrechen wurde Tage und Wochen geredet. Und um das klarzustellen: Die auf der Anklagebank saßen, hielten sich alle für unschuldig, sie hatten nie etwas gehört oder gesehen oder sie waren gar nicht am Ort oder in der Nähe der Verbrechen. Ungeheuerlich. Nie habe ich in der Lektüre über den Auschwitz-Prozess den kleinen Satz gelesen: Es tut mir Leid. Nie. Devin O. Pendas, Professor für Geschichte am Boston-College, hat ein umfangreiches Wert „Der Auschwitz-Prozess“ geschrieben, 2013 im Siedler-Verlag, München erschienen, 432 Seiten. Keine Silbe der Entschuldigung der Täter findet sich dort. Nichts davon, kein Wort der Scham, der Reue. Denn sie hatten ja alle irgendwie auf Befehl von oben gehandelt, obwohl vieles, was man ihnen vorwarf, nicht ausdrücklich befohlen worden war. Auch wurden sie nicht auf Befehl von Hitler, Goebbels, Himmler, Heydrich, Göring, um nur diese zu nennen, nach Auschwitz geschickt, sie gingen oft freiwillig dahin, auch um dem Krieg zu entgehen.
Schuld oder Nicht-Schuld, juristisch und/oder moralisch. Der Philosoph Karl Jaspers schrieb dazu in seinem Werk „Die Schuldfrage“ 1946: Ein Verbrechen bleibe ein Verbrechen, auch wenn es befohlen wurde. Und zur Moral: Jaspers verurteilte alle Täter, gleich ob Mittäter, Mitläufer und selbst diejenigen, die sich vom Regime innerlich distanzierten, aber schwiegen- mithin fast alle Deutschen. Jaspers war überzeugt, dass sich das deutsche Volk als Gemeinschaft der moralischen Schuld stellen müsse. Das geschah in den Nachkriegsjahren nur sehr unvollständig, weshalb der Philosoph darin eine schwere Hypothek für den Wiederaufbau der deutschen Gesellschaft sah. Zitiert nach Deutschlandfunk.
Der Angeklagte Mulka sagte auf Anschuldigungen eines Zeugen: „Ich fühle mich.. nicht betroffen und habe dazu nichts zu sagen“. Zusatzfrage: „Wollen Sie sagen, dass während Ihrer Zeit keine öffentlichen Erhängungen stattfanden?“ Mulka: „Ich habe keine gesehen.“ Zur Verprügelung von Frauen. Mulka: „Das ist mir nicht erinnerlich.“ Oder Mulka: „Ich habe mit Himmler nie ein Schutzhaftlager besucht.“ Zur Zahl der Toten. Mulka: „Davon weiß ich nichts.“ Immerhin war Robert Mulka Adjutant des damaligen Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, der 1947 als Kriegsverbrecher vom höchsten polnischen Gericht hingerichtet wurde- an einem Galgen im früheren KZ Auschwitz. Und dennoch zeigte sich Mulka als nichtwissend und unschuldig. Als er im Prozess nach den Gaskammern von Auschwitz gefragt wurde, antwortete er nach langem Zögern. „Habe darüber gehört, aber ich habe es selber nie gesehen.“ Um dann, als Unruhe aufkam im Gerichtssaal, fortzufahren: „Man konnte nachts sehen, dass etwas Furchtbares geschah. Ich sah die Scheiterhaufen brennen.“ Und als der Landgerichtsdirektor Hofmeyer, Vorsitzender Richter des Prozesses, Mulka darauf ansprach, was er sich bei der Einlieferung von Juden in das Lager gedacht habe, antwortete Mulka, man habe im Dritten Reich die Juden als Staatsfeinde angesehen, daher seien sie ins KZ gekommen. „Man wollte das Deutsche Reich von den Juden befreien.“
Die rechte Hand von Höß
Robert Mulka war SS-Hauptsturmführer, die rechte Hand von Höß. Nach dem Krieg baute er seine Import-Export-Firma in Hamburg wieder auf. Die Staatsanwaltschaft suchte lange nach ihm, bis sein Sohn bei der Olympiade in Rom 1960 im Segeln eine Bronzemedaille gewann und der Name durch die Presse ging. Daraufhin suchte und fand die Staatsanwaltschaft ihn in der Hansestadt. Er wurde zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er für schuldig befunden wurde, „der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in mindestens vier Fällen-er hatte die Häftlinge erschossen- und an je 750 Menschen“. Sie waren die Herren über Leben und Tod, eine Handbewegung von ihnen, und sie marschierten ins Gas. In den Tod.
Der Wiener Arzt Dr. Otto Wolken, 1943 nach Auschwitz deportiert, war der erste Zeuge Ende Februar 1964. Er äußerte sich zur Vernichtung der ungarischen Juden. „Es kamen Tag für Tag vier, fünf, an manchen Tagen sogar zehn Züge nach Auschwitz. Auf der Rampe war großer Betrieb. Es wurden Tausende und Abertausende Menschen täglich vergast. Die Krematorien reichten nicht mehr aus, das anfallende Leichenmaterial aufzuarbeiten. Es wurden riesige Gräben gegraben und zusätzlich zu der Arbeit im Krematorium wurden noch Tausende von Leichen in offenen Gruben verbrannt. Tag und Nacht loderte das Feuer, nachts war der Himmel weithin blutrot gefärbt. Und wenn der Wind schlecht stand, hatten wir im Lager den Gestank des verbrannten Fleisches.“
Persönliche Gier war nach Meinung des Anwalts Ormond ein Hauptmotiv für viele Auschwitz-Täter. Schließlich hätten die Erschießungskommandos Sonderrationen erhalten und Aufseher, die Häftlinge auf der „Flucht“ erschossen, hätten freie Tage bekommen. Manche konnten sich in Auschwitz bereichern an den Wertsachen, die man den Häftlingen abnahm. So las ich von dem SS-Mann, der einem Häftling die Goldzähne rausreißen, das Gold einschmelzen ließ und sich später von dem Wert eine Apotheke aufbaute.
Richter konnte Tränen nicht zurückhalten
17 Angeklagte wurden schließlich verurteilt, sechs von ihnen erhielten lebenslänglich, drei wurden mangels Beweisen freigesprochen. Das würde heute nicht mehr passieren, weil seit den Urteilen gegen John Demjanjuk und Oskar Gröning Täter auch wegen Beihilfe zum Mord jedweder Art verurteilt werden können. Demjanjuk war kleiner Aufseher im KZ Sobibor, aber er war Teil der Vernichtungsmaschinerie wie auch die Sekretärin Teil es gewesen war. Und ohne alle diese Teile hätte das Mord-System der Nazis nicht so reibungslos funktioniert, dass die Nazis die Opfer quasi wie am Band ermorden konnten. Der Vorsitzende Richter des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt, Hofmeyer, der in der Urteilsbegründung Einzelheiten der Morde an den Kindern in Auschwitz darlegen musste, konnte dabei Tränen nicht zurückhalten. Wie will man je wieder Kindern in die Augen schauen.,?Wenn man ein Gewissen hat, eine Art von Moral..
Man mag enttäuscht gewesen sein ob der teils viel zu milden Urteile, auch Fritz Bauer hatte sicher mehr erwartet, wenngleich sein Einsatz kaum richtig gewürdigt werden kann. Die Regisseurin des Films über Fritz Bauer, Ilona Ziok, rühmt den Generalstaatsanwalt mit den Worten: „Dass unser Deutschland ohne das Wirken Fritz Bauers heute ein anderes wäre. Denn er war ein engagierter Geburtshelfer der Demokratie, als sie sich aus den Abgründen der Diktatur erhob. Er war ein couragierter Aufklärer des nationalsozialistischen Unrechts, als Verdrängung und Beschweigung noch an der Tagesordnung waren. Und er war ein unbeirrbarer Mahner, der fest daran glaubte, dass die nachwachsende Generation in Deutschland zu Toleranz und Demokratie fähig ist.“
Was würde dieser Fritz Bauer zur heutigen Situation in Deutschland sagen, dazu, dass eine in weiten Teilen rechtsradikale Partei wie die AfD in fast allen Landtagen und im Bundestag sowie im Europa-Parlament sitzt und laut Umfragen auf dem Wege ist, stärkste Partei in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zu werden und nach einer neuesten Umfrage zweitstärkste Partei in Gesamt-Deutschland ist mit 25 Prozent, hinter der CDU und weit vor der SPD und den Grünen? Auf Betreiben von Bauer wurde an den Gebäuden der Landgerichte in Braunschweig und Frankfurt die Inschrift aus Artikel 1 Grundgesetz angebracht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Und wenn diese Würde des Menschen von der AfD verletzt wird, wenn diese Partei von Björn Höcke gegen unsere Grundrechte verstößt, ja gegen d a s Grundrecht, schauen wir dann tatenlos zu oder wehren wir uns? Ich bin für das Wehren. Jetzt. Weil „Nie wieder“ jetzt ist. Weil die Feinde dieser immer noch wunderbaren Republik diese abschaffen wollen. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen?
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Ein weiterer Fehler:
Der Wiener Arzt Dr. Otto Wolken, 1943 nach Auschwitz deportiert, war der erste Zeuge Ende Februar 2024
….Februar 2024 ist sicherlich nicht richtig??