Sie kandidiert nicht in Sachsen, Thüringen und auch nicht in Brandenburg. Und doch ist Sahra Wagenknecht(55) die Politikerin, um die sich in diesen Wochen alles dreht. Ihre neue Partei, nach der Gründerin BSW genannt, könnte aus dem Stand in eine Landesregierung in Erfurt gelangen. Und auch in Sachsen könnte sie auf ein zweistelliges Ergebnis kommen, was die Regierungsbildung unter dem CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer(49) nicht leichter machen wird. Sahra Wagenknecht hat überragende Zustimmungswerte, sie ist präsent auf allen Kanälen, setzt die Themen, sie redet mal links, mal rechts, greift hier an und da, nennt die Ampel die dümmste Regierung aller Zeiten, lobt die Fleißigen, kritisiert die Eliten, dabei ist sie selbst eine von ihnen. Sie hat klar gemacht, dass sie mitreden werde im Falle von Koalitionsverhandlungen, obwohl sie selbst nicht zur Debatte steht. Und sie hat Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung des BSW genannt, die gar nicht Sache der Länder sind. So fordert sie ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, diplomatische Aktivitäten für Waffenstillstandsverhandlungen mit Russland.
Wählerinnen und Wähler wissen nicht genau, was sie erhalten, wenn sie das BSW wählen. Aber diese Unberechenbarkeit gehört wohl zum Konzept dieser schillernden Politikerin, die in Jena geboren wurde, Kommunistin war, führendes Mitglied der Linken, diese verlies und vor Monaten das BSW gründete. Sie lebt im Saarland und ist mit Oskar Lafontaine verheiratet, dem ehemaligen SPD-Chef. Nun steht ihre BSW vor den Toren der Macht. Und in gut einem Jahr finden die Bundestagswahlen statt, mit Sahra Wagenknecht und dem BSW. Und diese Sahra Wagenknecht kann Politik- zumindest sich und ihren Populismus verkaufen. So redet sie gern davon, die Reichen stärker zu belasten, kritisiert die Vorstände der Deutschen Bahn, die sich trotz aller Mali neben ihren Top-Gehältern noch Boni genehmigten. Dabei gehört sie selber zu den Top-Verdienern, die Rede ist wohl von 700.000 Euro im Jahr. Aber der Reichtum, nach dem in der Talk-Show gefragt wurde, bezog sich eher auf Millionäre und Milliardäre.
Bodo Ramelow ohne Chance
Verrückte Zeiten sind das. Man weiß nicht, was kommt, nicht mal, ob des Kanzlers Ampel das eine Jahr noch durchhält. Allein der Aufstieg des BSW scheint vorgezeichnet, vor allem im Osten der Bundesrepublik macht sich diese Partei breit, obwohl sie kaum nennenswerte Mitgliederzahlen aufweist. 650 Mitglieder soll laut Google das BSW haben. Das ist wenig, aber wohl nicht entscheidend für den rasanten Weg nach oben. In Sachsen soll das BSW gerade mal 70 Köpfe zählen, mit denen man 60 Wahlkreise bedienen will.
Verrückte Zeiten. Nach allen Umfragen kommt das BSW in Thüringen auf 17 Prozentpunkte, die Linke des amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow erreicht nur noch 13 Prozent, was ihr sicherer Weg in die Opposition bedeutet. Dabei ist Ramelow weiter der beliebteste Politiker im Lande, was ihm aber nicht helfen wird, weil die CDU ein Bündnis mit der Linken wie der AfD ausschließt, sich aber die Türen zum BSW offenhält. Die CDU mit ihrem nicht gerade berauschenden Spitzenkandidaten Mario Voigt kann mit 23 Prozent rechnen. Somit wäre eine Koalition aus CDU, der SPD (laut Umfrage bei 7 Prozent) und dem BSW möglich. Klar an der Spitze mit über 30 Prozent ist die rechtsextreme AfD unter ihrem Vorsitzenden Björn Höcke, den man laut Gericht einen Faschisten nennen darf. Mario Voigt könnte aber auch scheitern, wenn das BSW sich von der AfD tolerieren lässt und eine Minderheitsregierung bildet. Unmöglich? Die erste Minderheitsregierung bildete in Sachsen-Anhalt der SPD- Politiker Reinhard Höppner, indem er eine Koalition schloss mit Bündnis 90/Die Grünen, die von der PDS toleriert wurde. Man regierte von 1994 bis 1998. Die PDS war die Nachfolgepartei der SED und der Vorgänger der heutigen Linken. Und Bodo Ramelow konnte auch nur mit der SPD und den Grünen in Erfurt regieren, weil die CDU seine Minderheitsregierung tolerierte.
Gerade las ich, dass Sahra Wagenknecht betont hat, „dass wir mit Höcke selbstverständlich nicht koalieren. Dieser Mann vertritt eine rechtsextreme Auffassung und das ist nicht, wofür wir antreten.“ Aber sie fordert auch, mit der AfD müsse man sich sachlich auseinandersetzen, inhaltlich also. „Das, was die anderen Parteien in den letzten Jahren gemacht haben, hat ja offensichtlich die AfD nicht geschwächt, sondern gestärkt.“ Ihre Spitzenkandidatin für Thüringen, Katja Wolf, sprach davon, man werde ohne Scheuklappen mit der AfD reden. Herauszuhören war, dass eine Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen werden soll. Ob diese punktuell ausfallen wird, oder mehr daraus werden kann?
Katja Wolf(48) war wie Frau Wagenknecht zuvor Mitglied der Linken, vor kurzem noch Oberbürgermeisterin in Eisenach. Die gebürtige Erfurterin verweigerte 2019 einem NPD-Mann den Handschlag, als dieser wie andere als Stadträte vereidigt wurden. In der Ukraine-Kriegs-Frage hält sie es wie ihre Chefin: „Das Thema Ukraine bewegt die Menschen so tief, dass man es auch im Land behandeln muss“, sagt Katja Wolf. „Da muss es ein Entgegenkommen geben.“ Zur Frage der Koalition stellt sie klar: „Wir sprechen mit allen demokratischen Parteien. Die AfD ist keine demokratische Partei.“ Das scheint eine Klarstellung zu sein, aber: „Eine Brandmauer der Ignoranz gegenüber der AfD finde ich allerdings falsch.“ Und: Dass man Anträgen der AfD im Einzelfall zustimmen werde, sei möglich. Für sich persönlich stellt sie fest: „Ich bin gern nah bei den Leuten.“
Schwierige Zeiten für die CDU
Auf die CDU, will sie mit dem BSW koalieren, kommen schwierige Zeiten zu. Wagenknecht würde sich freuen, sagte sie im ZDF, „wenn die CDU auch Friedenspolitik machen will. Zurzeit ist Herr Merz da doch noch auf einer anderen Spur. Er befürwortet die Raketen-Stationierung. Er will sogar noch mehr Waffen in die Ukraine liefern, am liebsten noch Taurus-Raketen“. Aber Frau Wagenknecht räumt auch ein, dass es in der CDU auch andere Stimmen gebe. „Und wir wünschen uns, dass eine Landesregierung, das ist unsere Bedingung für eine Koalition, dann bundespolitisch ihr Gewicht in die Waagschale wirft, sich gegen die Stationierung amerikanischer Raketen und auch gegen die weitere Politik von Waffenlieferungen an die Ukraine einzusetzen und stattdessen diplomatische Initiativen zu starten“. Wagenknecht will das zum Wahlkampf machen. Wörtlich erklärte sie: „Jede Stimme für die CDU ist auch Rückenwind für Merz und Kiesewetter und damit für Positionen, die tatsächlich uns noch stärker in Kriege hineinziehen würden. Das wäre mir schon wichtig, dass der Wähler das bedenkt.“ Nützliche Idioten der Waffenindustrie hat sie an die Adresse von Merz gesagt. Schrecklich nennt sie in einer Talkshow den Krieg mit all seiner Gewalt, seinen Zerstörungen, Vergewaltigungen, den Namen Putin habe ich bei ihr nicht gehört, nur die Anmerkung, die Angst, Deutschland könne durch die Stationierung ins „Zielrohr“ russischer Raketen geraten. Früher haben diese Leute Russland zumindest für den Krieg verantwortlich gemacht, das wird heute relativiert, nachzulesen beim Angriff auf das Kinderkrankenhaus in Kiew. Es scheint, als wolle man sich bei Putin andienen. Der Ukraine-Krieg wird als Stellvertreter-Krieg zwischen der NATO und Russland angesehen, der vom Westen hätte verhindert werden können.
Auf Plakaten wird polemisiert: „Krieg oder Frieden. Sie haben jetzt die Wahl“. Das ist nicht nur übertrieben oder zugespitzt, das ist auch inhaltlich falsch. Weil suggeriert wird, eine diplomatische Lösung sei eigentlich möglich, wenn sie nicht vom Westen verhindert werde. Eine andere Wahlkämpferin des BSW verstieg zu folgenden Bemerkungen: „Also wer wollen wir sein? Wollen wir Mörderinnen und Mörder sein? Oder uns doch für den Frieden einsetzen? “ Dass solch Unsinn unters Volk gebracht und am Ende noch Beifall erhält, macht mich sprachlos und löst Empörung aus.
„Sahras Strahlkraft“ rühmen ihre Freunde beim BSW und müssen die Kampagnen mit dem Bild der Gründerin nicht weiter begründen. Allein in Sachsen werden mehr als die Hälfte der BSW-Plakate Wagenknecht zeigen. Den Regierenden sei das Volk verloren gegangen, hört man, beim BSW glaubten die Bürger wieder an etwas. „Sie trauen uns zu, ihre Probleme zu lösen“, betont Sabine Zimmermann, sächsische Spitzenkandidatin des BSW. Frau Zimmermann war eine Sozialdemokratin, saß dann für die PDS und die Linke viele Jahre im Deutschen Bundestag, gehörte zum Wagenknecht-Flügel.
Die Rolle von Lafontaine
Vergessen sollte man, wenn man über Sahra Wagenknecht redet, ihren Ehemann nicht. Oskar Lafontaine(80) hat eine Menge Erfahrung in der Politik gesammelt. Als Oberbürgermeister von Saarbrücken, als Ministerpräsident des Saarlandes, als Lieblingsenkel von Willy Brandt, der ihn als seinen Nachfolger sah, sich aber enttäuscht abwandte, als Oskar Lafontaine-und andere- Brandt wegen dessen Begeisterung ob der deutschen Einheit Deutschtümelei vorwarfen. Oskar Lafontaine, das muss hier auch erwähnt werden, hatte seine eigenen Erfahrungen als Kanzlerkandidat der SPD im Wahlkampf 1990 gemacht und gegen Helmut Kohl verloren. Er war geschwächt in das Rennen eingestiegen, weil er durch einen Anschlag lebensgefährlich verletzt worden war. Mit dem Thema Fall der Mauer, deutsche Einheit, die Willy Brandt die Tränen in die Augen schießen ließen, konnte Lafontaine nicht viel anfangen. Er sah die finanziellen Probleme der DDR auf die Deutschen zukommen, sprach von 100 Milliarden DM, die die Einheit kosten würde, erklärte den Deutschen in Jena und Dresden und Magdeburg das Ehegatten-Splitting, das die SPD abschaffen wollte, nur die Ostdeutschen hatten davon keine Ahnung. Lafontaine erholte sich von der Schlappe auch politisch, wurde SPD-Vorsitzender auf dem Parteitag in Mannheim und ebnete seinem einstigen Freund und späteren Widersacher Gerhard Schröder den Weg zur Kanzlerkandidatur und zum Bundeskanzler. Enttäuscht über die mangelnde Mannschaftsarbeit der Regierung Schröder, der er als Finanzminister angehörte, warf er nach wenigen Monaten die Brocken hin, als Bundesfinanzminister, als Bundestagsabgeordneter, als Vorsitzender SPD, die er später verließ, um die Linke zu gründen, der er aber auch den Rücken kehrte und der heute Mitglied des BSW ist.
Dieser Oskar Lafontaine, den man immer wieder an der Seite seiner Frau Sahra Wagenknecht sehen konnte, erklärte gerade: Die gegenwärtige Politik in Deutschland und insbesondere der Ampelkoalition werde von vielen Menschen abgelehnt. Daher benötige das Land eine neue politische Kraft, zu der die Menschen Vertrauen fassen könnten. Dass er das BSW damit meint, ist klar. Und es wäre keine Überraschung, wenn der 80jährige Polit-Oldtimer gerade mit Blick auf die Bundestagswahlen im nächsten Jahr eine Rolle spielen würde, an der Seite seiner Frau, die hoch hinaus will. Das wollte Oskar Lafontaine auch mal. Und in Sachen Wahlkampf kennt er sich aus, 1998 ließ er zusammen mit Schröder und dem Wahlkampfmanager Franz Müntefering den Kanzler Kohl alt aussehen. Es könnte sein, dass der Oskar Lafontaine noch einige alte Rechnungen offen hat. Die SPD sollte gewarnt sein.
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