Vor wenigen Wochen hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk Flüchtlinge gewarnt: „Kommen Sie nicht nach Europa“. Wer damals, Anfang März, die Warnung des Polen als Einzelmeinung abgetan hat, sieht durch den EU-Gipfel mit der Türkei in Brüssel im Grunde die Warnung von Tusk bestätigt: Aus der Willkommenskultur wird nun eine Politik der Abschreckung. So unmissverständlich hatte es der Brüsseler WDR-Korrespondent Ralph Sina in einem Kommentar für WDR2 ausgedrückt: Es sei „kein Flüchtlingsgipfel“ in der
belgischen Metropole, sondern ein „Gipfel der Abschreckung“.
Die Abmachungen mit der Türkei tragen diese Hauptbotschaft als Überschrift: Bleibt bloß zu Hause, kommt ja nicht nach Europa. So der Kommentar von Sina. Tusk hatte Recht. Egal, wo Ihr seid, bleibt in Afghanistan, bleibt im Irak, in Eritrea und am besten bleiben die wenigen noch im Land verbliebenen Syrer auch in ihrer Heimat. Gleich ob Bürgerkrieg, egal ob sie bedroht werden von den Taliban am Hindukusch, ob eine üble Diktatur den Menschen nach dem Leben trachtet, sie sollen bleiben, wo sie sind. Und es passt dazu, was der Bundesinnenminister, der CDU-Politiker Thomas de Maiziere, zu Afghanistan gesagt hat. Kein Witz, er meinte wirklich, es gebe genügend sichere Gebiete in Afghanistan, in die abgelehnte Asylbewerber zurückgeschickt werden könnten. Dass es in diesem von Kriegen verwüsteten Land immer wieder schlimme Anschläge passieren, bestreitet selbst der CDU-Politiker nicht. Aber nebenan, da, wo es nicht knallt, kann man leben. So einfach ist das, wenn man nach Mitteln sucht, um die Flüchtlingskrise zu lösen.
Der Irak, seit dem Krieg, den US-Präsident George W. Bush damals über das Land verhängte und an dem Deutschland nicht teilnahm-Schröder sei Dank!- ein Unruheherd erster Klasse. Beinahe jede Woche macht es durch Terror auf sich aufmerksam, durch Selbstmordattentate, bei denen 30, 40 oder 50 Menschen ihr Leben verlieren. Keine Frage, dort kann man leben.
Cameron für Einsatz von Kriegsschiffen
Großbritanniens Premier David Cameron, der kürzlich der EU abtrotzte, dass man Flüchtlingen erst ab einer gewissen Zeit im Lande Sozialleistunten gewähren wird, will sogar Kriegsschiffe vor die Küste Libyens schicken, um Flüchtlingsboote an ihrer Fahrt übers Mittelmeer nach Europa zu hindern. Libyen, seit dem Ende der Gaddafi-Herrschaft ein Land ohne Regierung, ohne Struktur, ohne Sicherheit, in Teilen des reichen Öllandes hat sich die Terrororganisation Islamischer Staat breit gemacht. Europa macht mobil gegen Flüchtlinge.
Die Türkei des Präsidenten Erdogan, gerade von Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung über den grünen Klee gelobt, will Visa-Freiheit für ihre Landsleute, die Europa besuchen, die nach Deutschland kommen wollen. Zwar hört man aus Brüssel, dafür erfülle Ankara die meisten der geforderten Bedingungen nicht. Warten mir mal ab, ob man das nicht passend kriegt. Erdogan, der starke Mann am Bosporus, glaubt Europa erpressen zu können, er meint, er habe Deutschland in der Hand, weil er Flüchtlinge aus Griechenland zurücknehmen soll und will und dann den Laden dichtmachen wird, damit der Flüchtlingsstrom über die Balkan-Route nicht mehr ins Rollen kommt.
Die Türkei will mehr Tempo in den Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union. Ausgerechnet Erdogans Türkei, die gerade die Pressefreiheit mit Füßen tritt und kritische Zeitungen mal eben so nebenbei besetzen lässt, die die kurdische Opposition verfolgt und Kurden-Viertel bombardiert, was einem Krieg gleichkommt, fordert den schnellen Beitritt zur EU und damit zur europäischen Wertegemeinschaft. Hat Merkel früher nicht immer von der privilegierten Partnerschaft gesprochen, die man Ankara gewähren wolle? Und dann kommt noch das Geld dazu, die Türkei will sechs Milliarden Euro von der EU haben als Gegenleistung für die Übernahme so genannter illegaler Flüchtlinge. Wer die bezahlen wird? Brüssel oder doch Berlin? Raten Sie mal, wer da wohl in Frage kommt.
Bildquelle: An-d – Erstaufnahmelager Jenfelder Moorpark, CC BY-SA 3.0
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat diese Politik gegenüber Ankara eine „moralische Bankrotterklärung“ genannt. Falsch liegt sie mit ihrer scharfen Kritik nicht. Menschenrechte, Willkommenskultur? Wie sagte Bert Brecht: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“