„Endlich Ruhe“! Lautet der Titel des Buches von Heiko Sakurai „Cartoons des Jahres 2023“. Aber natürlich wird Bundeskanzler Olaf Scholz, der Mann mit der Knollennase, der die Aufschlagseite des Buches ziert, diese Ruhe nicht finden. Er mag sie sich wünschen in den Tagen zwischen den Jahren, vor allem angesichts des Dauer-Theaters übers Jahr um seine Ampel-Koalition. Aber weder ist die Politik ein Wunschkonzert, noch liefert der Karikaturist ein solches. Wie immer steht der Kanzler selber im Mittelpunkt der Ereignisse, nahezu alles dreht sich um ihn. Wie eigentlich in jedem Jahr. Sakurai zeichnet Olaf Scholz am Schreibtisch, die Kopfhörer auf, vor sich das Telefon, leicht, fast verschmitzt lächelnd. Folgt man dem Karikaturisten, wirkt Scholz trotz allem wohlauf. Da mögen die Christdemokraten und Arbeitgeber noch so laut „Schluss mit den steigenden Sozialleistungen“ rufen und „Her mit dem Industriestrompreis“ fordern und den „Atomausstieg rückgängig machen!!!“ verlangen. Scholz bleibt gelassen und fröhlich, in sich ruhend. Alles wird gut.
Ruhe ist nicht angesagt, seit Scholz regiert, sondern Krise und Kriege. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der Hamas-Überfall auf Israel, das brutale Abschlachten von Kindern und Frauen durch die Terroristen, die Entführung von 1400 Israelis, Frauen, Kindern, Alten, die militärische Reaktion der Regierung Netanjahu, die Bombardierung von Gaza ohne Rücksicht auf Verluste in der Zivilbevölkerung. Für den Karikaturisten kein schönes Jahr. Er spießt gern die Politik auf, nimmt die Politikerinnen und Politiker gern aufs Korn, darf überziehen, ohne sie zu beleidigen. Das ist die große Kunst. Ich habe, als die Karikatur noch der vierte Leitartikel war in der WAZ, oft mit Sakurai die Themen der Karikatur entwickeln müssen, wir haben diskutiert und diskutiert, manchmal hat es gedauert, bis das Thema stand und die Zeichnung, die am nächsten Tag in der Zeitung leicht aussieht, gerade so, als sei sie dem Karikaturisten locker von der Hand gegangen. Soviel kann ich dazu sagen: Es ist harte Arbeit, die der Künstler leistet, täglich. Bewundernswert. Der Karikaturist muss ja nicht nur zeichnen können, er muss die Themen des Tages drauf haben, wissen, was los ist in der Welt. Und er muss auch ein Gespür für die Vorlieben der jeweiligen Zeitungen und deren Chefs haben. Hochachtung vor dieser Arbeit.
Nie gemeinsames Handeln
Sicher, an Themen war auch in 2023 kein Mangel, dafür sorgten schon die Streithähne in der Ampel Christian, Lindner(FDP) und Robert Habeck(Die Grünen), die einfach nicht zusammenpassen. Und dazu ein Scholz, der leise moderiert, kaum spürbar führt. Streit gehört zur Demokratie, der intellektuelle Streit um den richtigen Weg, aber in dieser Regierung sieht man nur das Gegeneinander, nie gemeinsames Handeln. Dass die Ampel so mies in den Umfragen liegt, hat sie sich selber zuzuschreiben. Die Wählerinnen und Wähler erkennen einfach das Regierungs-Handeln nicht mehr, weil Regierende wie Lindner und Habeck zugleich in Opposition stehen zur eigenen Politik. Und man kann fast immer sicher sein, kaum, dass die Ampel einen Beschluss gefasst und verkündet hat, kommt kurze Zeit später jemand von FDP oder den Grünen auf die Bühne und stellt das alles wieder infrage.
Krisengipfel und Streitschlichtung, so könnten wir die Wörter des Jahres nennen, sie sind auf der Agenda von Scholz und Co. Dass die Ampel das Land gut durch den Winter gebracht hat, kommt kaum zur Geltung, dabei war das nach dem Aus von russischem Gas für Deutschland und der Suche nach Alternativen schon fast eine Meisterleistung, dass sie das geschafft haben. Geschafft haben sie es, aber geblieben ist der Streit, nicht die Lösung. Der Karikaturist bringt es auf den Punkt: Er zeichnet im März die Ampel am Scheidewege, weil sie nicht mehr weiß, wohin die Reise gehen soll. Er zeichnet kurz danach den Beziehungsstress zwischen den Partnern der Regierung, die keine Partner sind, sondern Konkurrenten. Die SPD liegt im Doppelbett mit der FDP, während die Grünen außen vor sind, ein abgenagter Knochen, ein Schüsselchen Wasser.
Oder nehmen wir das wichtige Thema Kinder-Grundsicherung. Das sollte ein Markenzeichen der neuen Regierung werden, die FDP und der Bundesfinanzminister Lindner haben es verhindert. Der Zeichner bringt es ins Bild, wie sich Liberale und Grüne ineinander verkeilen, Staub aufwirbeln, während der Kanzler auf dem Balkon der Sheriff-Station im Stuhl sitzt und alle beobachtet und nicht eingreift, sondern sagt: „Sollen sie mal unter sich klären. Ich bin ja nicht John Wayne!“ Soviel zum Regierungsstil von Olaf Scholz, der nicht auf den Tisch hauen mag, vielleicht, weil er weiß, dass das nicht mal dem Tisch imponiert.(Ein Satz von Willy Brandt) Der aber auch nicht für Klarheit sorgt und so bleibt am Ende wieder nur das Bild von Chaos, Streit, Theater, das sich bisher durch die Kanzlerjahre zieht.
Im Blog-der-Republik habe ich mehrfach Scholz gegen voreilige Kritik in Schutz genommen, weil ich die überlegte, sachliche Form der Entscheidungsfindung bei ihm mehr schätzte als das hysterische Geschrei nach immer mehr Waffen für die Ukraine. Weil wir erstens gar nicht über diese Waffen verfügen und zweitens das Kriegsgeschrei uns dem Frieden nicht näher bringt. Dass Scholz auch das Gespräch mit Putin gesucht hat, war richtig, auch wenn er vom Kreml-Herrscher keinen Hinweis auf ein Entgegenkommen in Richtung eines Waffenstillstands bekommen hat. Dass er die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht schließlich ablöste und durch Boris Pistorius ersetzte, war überfällig. Diese Personalentscheidung von Scholz habe nicht nur ich nie verstanden, Frau Lambrecht machte nie den Eindruck, dieses nun wirklich wichtige, wenn nicht gar essentielle Ministerium mit aller Kraft und Kompetenz leiten zu wollen. Sakurai bringt Lambrecht und die Darts-WM in eine Zeichnung. Frau Lambrecht schießt sich dabei selber ab.
Im Osten nichts Neues
„Im Osten nichts Neues“, erfährt der Leser des Buches schon im gekonnten Vorwort von Ulrich Op de Hipt. Die Anlehnung an das Buch „Im Westen nichts Neues“ ist gewollt. Sakurai bringt die Brutalität des russischen Angriffskrieges im Fall Bachmut in eine einfache, aber krasse Zeichnung, die den Leser schockt. Der Tod dreht Menschen durch den Fleischwolf und macht aus ihnen Hackfleisch. Die Schrecken des Krieges kann man kaum brutaler ins Bild bringen. Zeichnungen an der Grenze des Erträglichen. Das muss man können und man muss es auch in der Zeitung bringen. Es wird nicht nur Beifall geben, wenn man sich solcher Themen annimmt und die Realität des Krieges zeigt, wie sie ist. Tödlich und furchtbar.
Die andere Seite der Medaille bekommt der Leser schon auf der nächsten Seite zu sehen. Da sieht er die Politik, wie sie ist, leibt und lebt. Die Ampel unter einem Baldachin und die Beobachter staunen, weil die Figuren außer Unterhosen nichts anhaben. „Heee! Die Typen sind ja nackt!!!“ Und direkt darunter streiten sich Grüne und Liberale wie die Kesselflicker über Wärmepumpen, Autobahnen-Maut, Kindersicherung, Atomkraft, die Zuschauer wundern sich, der Kanzler aber beruhigt alle: „Die? Toben nur ein bisschen.“
Ein Jahresrückblick in Form von Cartoons ist eine andere Art, die letzten 12 Monate Revue passieren zu lassen. Heiko Sakurai gelingt diese Art der feinsten Unterhaltung wie in jedem Jahr. Kontroversen, Kriege, Krisen jeder Art, Rechtspopulismus der AfD, der Klimawandel, die Migration, das Scheitern der deutschen Fußballer in Katar, das Thema Bestechung, all das bringt er spitz gezeichnet in die Karikatur und ergänzt die Zeichnung mit einer entsprechenden Sprechblase. Humorvoll wird mancher Nachrichtenstoff aufgearbeitet, lesbar gemacht, sodass man versteht, die Politik soll dabei möglichst nicht moralinsauer beleuchtet, Politiker von ihren Sockeln geholt werden. Das soll Karikatur im Idealfall leisten, hat Sakurai selber mal über die Aufgabe der Karikatur gesagt. Und das hat Heiko Sakurai(52), mehrfach ausgezeichneter Karikaturist, der in Recklinghausen geboren ist und in Köln lebt, wieder mal geschafft.