Wenn eine Regierung sich nach einer Nachtsitzung einigt, ohne die es offensichtlich im politischen Theater nicht mehr geht, reagieren die betroffenen Parteien und die Opposition sehr unterschiedlich. Entscheidend ist halt, wen man fragt. Dass einer wie Söder wie beim Tennis davon spricht, die Ampel habe den Matchball gerade noch abgewehrt- oder verwandelt?- ist normal. Dass er das schleichende Ende der Regierung Scholz vor sich sieht, entspricht seiner Ambition, möglichst bald selber in Berlin regieren zu wollen. Wenn man ihn ließe. Aber tatsächlich bietet die Koalition aus SPD, den Grünen und der FDP jedem politischen Beobachter der Szene ein Bild, das nun wirklich nicht dazu taugt, Zuversicht zu verbreiten, Hoffnung auf bessere Zeiten. Man hat sich geeinigt, gerade so, jeder Partner in der Regierung bekommt etwas ab, kann es als seinen Sieg verbreiten. Aber eine Lösung all der Probleme ist das doch nicht, eher die Einigung vor dem nächsten Streit. Denn jetzt geht es in die Verlängerung, das Kabinett kann den Haushalt beschließen, aber die Verabschiedung des Budgets erfolgt im Bundestag. Denn für das Parlament ist das nun mal die Königsdisziplin, das Parlament als Vertretung des Volkes steht über der Regierung und dem Kanzler. Man schaue in das Protokoll. Der Parlamentspräsident rangiert vor dem Regierungschef, was schon Helmut Kohl akzeptieren musste.
Mitten drin im Streit um den Haushalt, der ja nicht beendet ist, steht der Kanzler. Olaf Scholz feiert die Einigung als seinen Sieg. So ist er. Ist er doch der einzige in der SPD, der von sich und seiner Polit-Kunst überzeugt ist. Zweifel an seiner Arbeit? Scholz doch nicht. Zweifel am Zustandekommen des Haushalts? Da steht er drüber. Wie immer. Er weiß alles und er weiß vor allem alles besser. Dabei wirkt er ziemlich arrogant, weil er kritische Einwürfe nicht gelten lässt. Ja, er beantwortet sie oft gar nicht. Reagiert nicht selten mit einem schnöden: „Nö.“ Als wenn das eine Antwort wäre. Dass er damit Abgeordnete verärgert, vor den Kopf stößt, liegt auf der Hand. Die Mandatsträger der SPD-um nur diese zu erwähnen- müssen in ihren Wahlkreisen Rede und Antwort stehen und wollen sich auf den Kanzler berufen, auf seine Erklärungen stützen, wie das mit der Rente wird, dem Kindergeld, der Migration, dem Bürgergeld, dem Streit darüber, ob nicht der Arbeitende mehr Geld bekommen müsse als der, der vom Bürgergeld leben muss.
Zwischen Aufruhr und Resignation beschrieb ein Kenner des politischen Berlins die Stimmung in der SPD vor den entscheidenden Gesprächen zwischen Scholz, Habeck und Lindner. Wobei die Betonung eher auf Aufruhr lag und Zorn, auch Wut über Scholz, dass er dem Lindner alles durchgehen lässt. Das mit der Schuldenbremse zum Beispiel, die man doch mit der Notlage begründen oder umgehen könnte. Die SPD, so war zu vernehmen, so hatte sich vor Tagen NRW-SPD-Fraktionschef Jochen Ott in einem Gastbeitrag für den Blog-der-Republik geäußert, werde einen Sparhaushalt nicht mittragen. Was zeigt, dass die Stimmung gereizt ist, von guter Laune nicht die Rede sein kann Obwohl Olaf Scholz den Eindruck vermittelt, die Leute hätten keinen Grund für schlechte Laune. Allein daran sieht man, wie weit der Kanzler von seinen Genossen entfernt ist. Anscheinend kriegt er das alles nicht mit, was die Abgeordneten zu hören bekommen. Und sie geben sich nicht mehr zufrieden mit Sprüchen wie „Wachstumsturbo“, weil sie auch nicht sehen, wie dieser plötzlich entstehen sollte. Eine unglaubliche Belebung der Wirtschaft, die verspricht Scholz, aber kaum jemand folgt ihm noch.
Die wahre Größe überschätzt
Dass Scholz diese Stimmung falsch eingeschätzt oder seine wahre Größe überschätzt haben muss, zeigt die Reaktion von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der dem Kanzler bisher stets den Rücken freihielt. Der aber auch längst spürt, dass seine Abgeordneten mehr als verunsichert geworden sind ob der Präsentation von Politik durch Scholz, was ja mehr durch Schweigen geschieht als über den Kampf um Mehrheiten und Meinungen. Mützenich hat all die Monate still gehalten, wenn Scholz etwas machte oder nicht machte, aber jetzt, doch kurz vor den Parlamentsferien muss es ihm über die Hutschnur gegangen sein, dass die Fraktion immer noch nicht über informiert worden war über Eckpunkte des Haushalts, darüber wie es weitergehen soll mit der Ampel, dessen vorzeitiges Ende die Opposition fordert, eine Diskussion, die auch andere Teile der Gesellschaft erreicht hat. Also packte der Fraktionschef seinen Macht-Instrumentenkasten aus und lud zu einer Sondersitzung der Fraktion am heutigen Freitag früh um 7 Uhr ein. eine Einladung, die auch an den Kanzler ging, eine Videozuschaltung war nicht möglich. „Man kann das als Rapport verstehen“, schieb die SZ und zitierte einen Abgeordneten: „Das ist schon eine Ansage, den Kanzler für sieben Uhr einzubestellen“.“ Es sei etwas ins Rutschen gekommen zwischen dem Kanzler und dem SPD-Fraktionschef, der ihm bisher verlässlich und loyal die Mehrheiten organisiert hat.“ So Georg Ismar im Münchner Blatt. Und weiter weist er darauf hin, dass Abgeordnete erzählten, dass schon andere Kanzler an den eigenen Leuten gescheitert seien. Und wörtlich: „In der Fraktion wird der Koalitionsbruch jedenfalls bereits durchgespielt.“ Starker Tobak für Scholz.
Olaf Scholz ist in seiner dreijährigen Kanzlerschaft vieles schuldig geblieben. So besonnen der Kanzler auftrat und handelte in der Außen- und Sicherheitspolitik, wo er stets darauf bedacht war und ist, den Krieg nicht ausweiten zu lassen, damit die NATO nicht der Kriegsgegner Russlands werde, so klug es war, darauf hinzuweisen, dass er als Kanzler dafür stehe, dass deutsche Soldaten nicht in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineingezogen würden, so blass blieb er im Durchsetzen von sozialdemokratischen Forderungen und Wünschen. Gestern konnte er in einem SZ-Interview des Kölner Armutsforschers Christoph Butterwegge nachlesen, woran es fehlt in der Steuerpolitik zum Beispiel des SPD-Kanzlers. „Wo bitte ist die aktuelle SPD-Politik auf Umverteilung gerichtet? “ klagte der Kölner Professor. „Was ist daran sozial, dass die fünf reichsten Familien Deutschlands zusammen 250 Milliarden Euro an Vermögen besitzen, mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung, also über 40 Millionen Menschen?“ Recht hat Butterwegge. Und wenn ich daran denke, dass die Familie Quandt, deren Namen eng mit BMW verbunden ist, Milliarden verdiente auch mit Zwangsarbeitern im Dritten Reich, dieselbe Familie, die Hitlers NSDAP einst gemeinsam mit anderen Wirtschaftsführern Millionen spendete, damit die damals fast pleite Nazi-Partei erfolgreich ihre Politik gegen Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten fortsetzen konnte, eine Politik, die in den Krieg führte, von dem Teile der deutschen Wirtschaft profitierten. Butterwegge erwähnt die Vermögensteuer, die im Grundgesetz verankert, aber ausgesetzt ist und er fragt zu Recht, warum diese nicht aktiviert wird. Oder die Erbschaftssteuer reformiert wird? Es gäbe so vieles, was anzupacken gewesen wäre, aber der Kanzler Olaf Scholz beließ es bei Sprüchen, er werde die starken Schultern mehr belasten.
Parlamentarier fühlen sich allein gelassen mit der Riesen-Aufgabe der Migration, um die Integration von Millionen Geflüchteter. Was sollen sie ihren Wählerinnen und Wählern sagen? Städte und Gemeinden sind oft überfordert, es fehlt an Wohnraum, an Personal in den Ämtern, das die Ausländer entsprechend informiert. Dass Ausländer die deutsche Sprache lernen müssen, ist eine Selbstverständlichkeit, aber es muss praktikabel sein, der Unterricht muss angeboten werden, möglichst ortsnah, die Menschen brauchen Betreuung in der Fremde, eine berufliche Ausbildung, die es ihnen ermöglicht, hier Fuß zu fassen, finanziell unabhängig zu werden, damit sie hier leben können. Nur so kann man der AfD das Wasser abgraben.
Der schmale Grat an Zustimmung
Nein, mit dem Ende der Ampel rechnet kaum jemand, jetzt zumindest nicht. Auch schließen SPD-Experten aus, dass die Fraktion ein Jahr vor dem Ende der Legislaturperiode den Kanzler austauschen werde. Man werde versuchen, Scholz irgendwie hinzubiegen, wissend, dass das so gut wie unmöglich erscheint. Alle bisherigen Versuche scheiterten, entweder, weil Scholz nicht zu sprechen war, Briefe erst gar nicht beantwortete und von sich überhaupt keine Einsicht zeigte, etwas zu verändern. Er doch nicht, der große Scholz. Dabei müsste er doch wissen, wie schmal der Grat an Zustimmung in der eigenen Partei immer war für ihn, er kriegte bei Parteitagen immer die schlechtesten Werte bei Wahlen. Nicht vergessen ist auch seine Wahl-Niederlage im Rennen um den Parteivorsitz, als die Mehrheit der SPD-Mitglieder sich gegen ihn entschied und für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans votierte. Dass er dennoch Kanzlerkandidat der SPD wurde, verdankte er der neuen SPD-Spitze, der es gelang, die Partei geschlossen wie nie hinter ihrem Kanzlerkandidaten Scholz zu versammeln.
Die Grenzen der Geduld eines Rolf Mützenich sind offenbar erreicht. Das sollte der Kanzler nicht ignorieren. Und das mit der Geduld bezieht sich nicht nur auf den Kölner Sozialdemokraten, der die Breite der Koalition hinter sich weiß. Und Mützenich kennt die Sorgen seiner Kollegen aus den Wahlkreisen der Republik. Bleibt es bei den Umfragen, muss ungefähr die Hälfte der Genossen um den Verlust des Mandats bangen. Es sind auch Existenz-Fragen, die in Berlin gestellt werden. Es kann ungemütlicher werden für Scholz. Nach der Sommerpause geht es in die Einzelberatungen des Haushalts. Da gilt das Strucksche Gesetz: Kein Gesetzesvorhaben kommt so aus dem Parlament, wie es vom Kabinett eingebracht wurde. Streit ist da programmiert. Und bald nahen die Landtagswahlen im Osten Deutschlands mit der Gefahr, dass die in weiten Teilen rechtsextremistische AfD stärkste Partei werden könnte. Der Kanzler wird gefordert sein in Brandenburg, Sachsen, Thüringen. In Brandenburg könnte die SPD ihre einzige Regierung im Osten einbüßen. Was nun, wird man Olaf Scholz fragen. Und es ist nicht ausgemacht, dass die SPD mit einem mehr als angeschlagenen Olaf Scholz in die nächste Bundestagswahl geht. Da steht dann einer wie Boris Pistorius bereit, der jetzige Verteidigungsminister, der nach einer Wahl in eine große Koalition mit der Union eintreten könnte, als Außenminister und Vizekanzler eines Kanzlers Merz/Wüst/Söder. Spekulationen? Natürlich, aber sie zeigen, dass die Diskussion schnell über einen wie Olaf Scholz hinweggehen könnte.
Olaf Scholz wird das ignorieren, belächeln. Wenn er in den Spiegel schaut, ich meine das Hamburger Nachrichtenmagazin, wird er den Titel des Blattes gelesen haben: „Der Gentleman, der die Geduld verliert.“ Gemeint der angesehene Rolf Mützenich.
Bildquelle: Anne Hufnagl