Vor einigen Tagen erschien im Kölner Stadtanzeiger auf der Seite 22 eine kleine Meldung: Jobcenter bekommt weniger Geld. Ich hätte wohl kaum besondere Notiz davon genommen, hätte ich mich in letzter Zeit nicht des Öfteren in meiner Veedelskneipe mit einer Mitarbeiterin des Kölner Jobcenters unterhalten, die mir von ihrer Arbeit berichtete. In der Kneipe kennt sie jeder nur als Schalke-Petra. Bei den Spielen ihres FC Schalke sitzt sie auf ihrem angestammten Platz. Vor sich, auf dem Tresen, der kleine Teddy in der Schalke-Kluft. Wie alle Schalke-Fans macht sie gegenwärtig schwere Zeiten durch.
In dem besagten Artikel des KStA heißt es: Die Mittel des Kölner Jobcenters werden um 15 Millionen gekürzt; das entspricht einer Kürzung von 14 Prozent. Hintergrund sind die Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt, die sich auch auf Köln auswirken. Mittel, die eigentlich für Arbeits-, Beschäftigungs- und Projektförderung gedacht waren. Unter anderem können im Vergleich zum Vorjahr voraussichtlich nur noch die Hälfte der Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung und Angebote im Integrationsbereich finanziert werden. Besonders schwer wiegen die Auswirkungen auf die auf kommunaler Ebene aufgebauten Strukturen.
Um diese fürchtet auch Petra F., die Mitarbeiterin des Jobcenters. Sie arbeitet als Integrationskraft für junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren. Integrationskraft – das ist die unzureichende, bürokratische Bezeichnung für eine überaus komplexe Tätigkeit. In Wirklichkeit ist sie Seelsorgerin, Beraterin und Mutterersatz. Sie kümmert sich um die Perspektiv- und Orientierungslosen, die nicht wissen, wie sie ihr Leben, das ja noch weitgehend vor ihnen liegt, organisieren sollen: die alleinerziehende Mutter, die gleichzeitig ihr Kind betreuen und Geld verdienen soll; der junge Schulabbrecher, der Obdachlose und viele andere mit ähnlichen Hintergründen.
Petra F. versucht zu helfen, wo es geht. Oft hört sie nur einfach zu. Sie schickt die jungen Leute zu Bewerbungstrainings, zur Schuldenberatung, zur Jobmesse, zur Abendschule – aber sie weiß aus Erfahrung, dass viele von ihnen scheitern werden und warum sie scheitern. Ihnen fehlt es oft an allem: sie haben kein Geld, keine Wohnung, keine Nachhilfe, kein eigenes Zimmer usw. Ihnen fehlt der geregelte Alltag, eine Tagesstruktur, eine ausreichende Bildung und Erziehung, eine Bezugsperson.
Petra F. ist eine erfahrene, kompetente, umsichtige und bescheidene Frau. Ganz nebenbei erwähnt sie, dass sie ein Jahr lang von einer Redakteurin der ZEIT begleitet wurde, die eine Reportage über ihre Tätigkeit geschrieben hat. Der Titel lautet: Kreislauf des Scheiterns. Darin heißt es: Deutschland braucht dringend Arbeitskräfte. Petra F. hat sie. Junge Arbeitslose könnten die Hoffnung sein. Warum ist es dann so schwer, sie zu vermitteln?
Überall wird nach Arbeitskräften gesucht. Und dennoch gibt es Millionen Menschen, die niemand will. Seit Jahren und seit Jahrzehnten nicht. Den harten Kern der Langzeitarbeitslosen. Trotz der Hilfeschreie der Pfleger, trotz der verzweifelten Handwerker, trotz der streikenden Erzieherinnen.
In der Reportage der ZEIT wird die Arbeitsweise und die Atmosphäre, in der Petra F. agiert, einfühlsam und detailliert beschrieben. Da heißt es z.B.: 63 Jahre alt ist sie inzwischen. An die Wand hinter ihrem Schreibtisch hat F. ein Poster von Lukas Podolski gehängt. „Sie glauben gar nicht, wie viele Jungs ich mit dem kriege. Wenn die Jungs dann sagen: ‚Öh, du bist FC?’ Und ich dann sage: ‚Nee, ich bin Schalke!“ F. schüttelt die kleine Bonbondose mit dem FC-Schalke-04-Logo, die auf ihrem Schreibtisch liegt, sie grinst. „Und dann sag ich zu denen: Aber der Poldi hat ja auch ne Geschichte.“ Lukas Podolski, der Weltmeister, der zu viert auf eineinhalb Zimmern groß wurde, der in Deutschland erst mal auf die Hauptschule ging, seinen Schulabschluss nachholte, der die eine oder andere Anzeige kassierte, der in Interviews sagt: „Es macht etwas mit einem, wenn man aus solch einfachen Verhältnissen kommt.“ Es scheint, dass menschenbezogene Tätigkeiten in Deutschland außer in Sonntagsreden nicht sonderlich geschätzt werden. Das gilt für Menschen wie Petra F., aber auch für Pflegekräfte, Lehrer, Einsatzkräfte u.v.a. Es wird ignoriert, welchen Beitrag diese Leute für den Zusammenhalt der Gesellschaft leisten. Ihnen die Mittel zu kürzen, ist schlichtweg verantwortungslos.