Ist es opportun, in Zeiten wie diesen über ‚Heiterkeit’ zu schreiben? Traurigkeit und Verzweiflung über die Kriege und Krisen unserer Zeit findet man überall. Täglich werden wir damit konfrontiert: Klimakrise, Ukraine-Krieg; Terror und Gewalt in Nahost; Gefährdung der Demokratie. Hinzu kommen die persönlichen Sorgen und Probleme: z.B. der Tod oder die Krankheit von nahen Angehörigen oder Freunden. Wie soll man da ‚heiter’ sein?
Heiterkeit bedeutet nicht: lustig sein, Witze erzählen, angetrunken sein und dergleichen. Der Begriff hat eine tiefere innere Beziehung zur Tragik unseres Lebens. Heiterkeit ist demnach etwas, das wir dem Leben abgewinnen müssen. Denn um das zu gewinnen, was Heiterkeit meint, bedarf es durchaus einer Anstrengung.
Axel Hacke hat dazu ein Buch mit dem o.g. Titel geschrieben und spricht darin sogar von Heiterkeitsarbeit. Danach bedarf es eines Nachdenkens über die Art und Weise, wie wir leben und einer Auseinandersetzung mit all den Dingen, die uns belasten, um damit fertig zu werden. Und er fragt: Gab es je eine Zeit, in der es keine Kriege oder Elend gab? Aber was oder wem hilft es, wenn wir darüber in tiefe Verzweiflung versinken, uns das Dasein damit nur noch schwerer machen? Es würde uns lähmen und resignieren lassen.
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Meine Mutter, die schlimme Zeiten erlebt und ein schweres Leben hatte, gab uns Kindern folgende Maxime mit auf den Weg: Wenn es euch schlecht geht, schaut auf die, denen es noch viel schlechter geht! Ich habe mich in Situationen, wo ich verzweifelt war und nicht weiter wusste, oft daran erinnert. Manches Mal hat es geholfen, die eigenen Probleme zu relativieren, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen.
Wichtig ist, nicht in Schwermut und Melancholie zu versinken. Ein gewisses Maß an ‚Selbstironie’ und sogar ’Humor’ hilft, die ‚Last des Lebens’ erträglicher zu machen, auch wenn sie uns nicht davon befreien. Und in der Tat zeigen Beispiele aus Kunst, Literatur und Philosophie, dass Heiterkeit meist vor dem Hintergrund des Tragischen entsteht:
– Von Schiller stammt der Satz: Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst. Daraus machte Goethe: ….heiter s e i die Kunst. Das meint, der Künstler muss dem Stoff, mit dem er sich beschäftigt, die Heiterkeit allererst abringen. Am Beginn der Leiden des jungen Werther, der sich später umbringt, heißt es: Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße.
– Kleist schreibt am Morgen seines Selbstmordes an seine Schwester: Ich kann nicht sterben, ohne mich zufrieden und heiter wie ich bin, mit der ganzen Welt zu versöhnen.
– Thomas Mann äußert zu seinem Roman Doktor Faustus, den er im Exil schrieb: Die Sache ist schwer, düster, unheimlich, traurig wie das Leben. Um genießbar zu sein, bedarf die Geschichte der Durchheiterung und dazu bedarf es der Heiterkeit. Aber die ist mir bisher ja auch in schlimmen Zeiten nicht ausgegangen. Für ihn war Heiterkeit eine Art Gegengift gegen die Nazis, gegen jede Art der Unterdrückung und Entmenschlichung.
– Franz Schubert, von einer tödlichen Krankheit gezeichnet, schreibt an einen Kritiker: Kennen Sie ein trauriges Kunstwerk? Kunst ist doch im tiefsten Grunde heiter.
– Vincent van Gogh schreibt an seinen Bruder Theo: Wir haben Heiterkeit nötig und Glück, Hoffnung und Liebe. Je hässlicher, älter, boshafter, kränker, ärmer ich werde, umso mehr suche ich die Heiterkeit. Ich finde sie immer dann, wenn ich male.
In meinem ‚Künstler-Roman’ Zeit der unverhofften Bilder heißt es an einer Stelle: Heiterkeit ist weder Tändelei noch Selbstgefälligkeit, sie ist höchste Erkenntnis und Liebe, ist Bejahen aller Wirklichkeit, Wachsein am Rand aller Tiefen und Abgründe, sie ist die Tugend der wirklichen Künstler. Sie ist das Geheimnis alles Schönen und die eigentliche Substanz jeder Kunst, auch wenn sie uns zunächst durch Tränen und Schmerz führt. Vielleicht ist der Dichter ein trauriger Einsamer und der Musiker ein schwermütiger Träumer gewesen, aber auch dann hat das Werk teil an der Heiterkeit der Welt. Was er uns gibt, das ist nicht mehr sein Dunkel, sein Leiden oder Bangen, es ist ein Tropfen reinen Lichts. Das Letzte und Höchste aller Erkenntnis und Kunst ist Heiterkeit.
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Vielleicht sollte man den etwas schwammigen Begriff ‚Heiterkeit’ immer in Zusammenhang mit Eigenschaften wie ‚Gelassenheit’ und ‚Freundlichkeit’ verwenden. Sie sind das Gegenteil von ‚Gleichgültigkeit’ und ‚Passivität’, vielmehr Voraussetzung dafür, die Dinge zu ändern.
So sah Brecht in der Freundlichkeit eine revolutionäre Tugend, nicht nur eine individuelle Charaktereigenschaft. Sie hatte für ihn immer auch eine politische Seite. Freundlichkeit ist eine Haltung, sie ist lernbar. Wo Freundlichkeit nicht geübt werden kann, wegen der Härte der Klassen-Auseinandersetzungen, leben wir in finsteren Zeiten. Durch sein Werk zieht sich das Thema wie ein roter Faden.
Walter Benjamin schrieb dazu in seinem Brecht-Bucht: Wer das Harte zum Unterliegen bringen will, der soll keine Gelegenheit zum Freundlichsein vorbeigehen lassen.
Eine derartige Haltung ist durchaus alltagstauglich. Ein freundliches Wort; Trost spenden; zuhören; helfen, wo man kann – das alles setzt voraus, dass man die Dinge um sich herum aufmerksam wahrnimmt und sich kümmert. Das hat den durchaus angenehmen Nebeneffekt, dass man sich selbst besser dabei fühlt!