Zufall, Panik oder Vorsorge? Sind es drohende Terrorgefahren, kriegerische Konflikte oder ist es vorausschauende Planung? Das Bundesinnenministerium hat jedenfalls ein Notfallkonzept als Strategie zur zivilen Verteidigung erarbeitet. In dem 69 Seiten langen Konzept heiße es laut Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung, „dass ein Angriff auf das Territorium Deutschlands, der eine konventionelle Landesverteidigung erfordert, unwahrscheinlich“ sei. Dennoch sei es nötig, sich „auf eine solche, für die Zukunft nicht grundsätzlich auszuschließende existenzbedrohende Entwicklung angemessen vorzubereiten“. Also keine Sorge, es wird schon nichts passieren! Aber wenn doch, dann sind die Infrastrukturen betroffen. Dafür ist Vorsorge zu treffen. Dabei geht es auch um die Notfallversorgung mit Trinkwasser! Wie diese heute aufgestellt ist, erklärt der nachfolgende Beitrag.
Schon vor seinem Bekanntwerden hat die Strategie zur zivilen Verteidigung die Medien beschäftigt. Viele erinnert die Diskussion an die Zeiten des „Kalten Krieges“. In der Aufzählung der Gegenstände, deren Bevorratung nicht nur den Apokalyptikern nahe gelegt wird, soll laut Presseberichten neben Batterien, Konserven, Decken, Kohle, Holz, Kerzen, Taschenlampen auch Flaschenwasser gehören. Zur Erstversorgung sollen für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Trinkwasser pro Person und Tag vorgehalten werden. Sollte der Notfall wirklich einmal eintreten, schon der Gedanke daran erzeugt ein Grauen, dann wird diese geringe Wassermenge aber selbst die härtesten Wassersparer an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit bringen. Der Durchschnittsbürger verbraucht etwa 100 Liter Trinkwasser täglich (nachdem wir die Statistik um den Kleingewerbe-Verbrauch bereinigt haben). Etwa acht Liter werden davon für die Ernährung benötigt. Apropos Ernährung: Bei Nahrungsmitteln wird von einer Selbstbevorratung für zehn Tage ausgegangen. Wieso Trinkwasser, obwohl doch auch ein Lebensmittel, nur für fünf Tage bevorratet werden soll, ist nicht wirklich nachvollziehbar. An der Haltbarkeit der Wasserflaschen liegt es jedenfalls nicht.
Viele können sich heute gar nicht vorstellen, dass die öffentliche Trinkwasserversorgung nicht funktioniert. Viel zu sehr haben wir uns daran gewöhnt, das Leitungswasser dem Hahn zu entnehmen sobald wir ihn aufdrehen. Wie es nach den ersten Tagen weiter gehen soll, wenn der Flaschenvorrat aufgebraucht sein wird und der Wasserhahn trocken bleibt, werden sich jetzt vermutlich jene fragen die das Szenario einmal durchdenken wollen. „Trinkwasser-Notversorgung“, heisst die Antwort. Diese Form der Versorgungssicherheit stammt noch aus den Zeiten des „Kalten Krieges“ und ist von einigen Experten abgesehen vermutlich völlig in Vergessenheit geraten. Im Notfall wird sie ganz sicher wichtiger sein, als die sechs Flaschen Wasser im Vorratsschrank.
Die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung in Notzeiten ist die Aufgabe des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, kurz BBK. Unterstützt wird das Amt vor Ort von den Kommunen und dem Technischen Hilfswerk (THW). Die rechtliche Grundlage ist das Wassersicherstellungsgesetz. Dieses regelt die einzelnen Maßnahmen und die Zuständigkeiten. Aufgabe der Trinkwasser-Notversorgung ist die Bereitstellung von Trinkwasser für die, von einer Katastrophe betroffene, Bevölkerung. Bisher hat der Bund mehr als 5.200 Trinkwassernotbrunnen und -quellen geschaffen (siehe Abbildung). Dabei handelt es sich um leitungsnetzunabhängige Anlagen, die sich überwiegend in Wohngebieten von Großstädten und Ballungsräumen befinden. Zur Versorgung von weniger dicht besiedelten Gebieten stehen zusätzlich Trinkwasserbehälter und Leitungen für den mobilen Einsatz zur Verfügung. Eine Planung von Anlagen zur Trinkwasser-Notversorgung erfolgt nur für Ballungsgebiete, welche in den regionalen Prioritätenprogrammen der Bundesländer ausgewiesen sind, klärt die Broschüre „Trinkwassernotbrunnen – Wasserversorgung in Extremsituationen“ des BBK auf (siehe unten).
Wo im Notfall die Brunnen zu finden sind, erfährt die Bevölkerung von den zuständigen Behörden, zum Beispiel vom Katastrophenschutz oder dem örtlichen Krisenstab. Sicher ist jetzt schon, dass man sich für das Wasserholen bewegen muss. Der zumutbare Versorgungsweg beträgt etwa 500 bis 2.000 Meter. Eine schier unvorstellbare Entfernung, wenn man an den Wasserhahn denkt. Wo Brunnen fehlen, was vorrangig auf dem Lande der Fall sein wird, könnte das Wasser auch mit LKW oder in Tankwagen transportiert werden. Über die Notbrunnen kann sich die Bevölkerung mit Hilfe von
Behältnissen mit Wasser versorgen. Auch dort wo die Brunnen nicht ausreichen oder nicht zur Verfügung stehen, kommt das THW zum Zuge. Paul Müller-Lindloff, Referent im THW Landesverband NRW erklärt dazu auf meine Anfrage: „Das THW verfügt – auch aus den Auslandseinsätzen – über sehr viel Erfahrung bei der Notwasserversorgung. Mit speziellen Aufbereitungsanlagen können wir bis zu 15 Kubikmeter Trinkwasser in der Stunde aus dem Wasser von Flüssen oder Bächen produzieren. Wo die Anlagen stehen und wie die Verteilung im Notfall vorgenommen wird, ist Aufgabe der Krisenstäbe in den Kommunen.“ Hamburg verfügt über 91 Notwasserbrunnen. Die Stadt Gladbeck im Herzen des Ruhrgebiets verfügt über 29 Quellen für den Notfall. Wo sich diese befinden, steht in keinem öffentlichen Verzeichnis. Überwacht werden sie dennoch. Barbara Sasse, in der Stadtverwaltung für Altlasten und Bodenschutz zuständig, kümmert sich um die Qualitätssicherung. Zwar wird bei der Qualität ehedem nicht von der Einhaltung der Trinkwasserverordnung ausgegangen, weshalb das Brunnenwasser mit Chlortabletten trinkbar gemacht wird, aber die Brunnen müssen natürlich gewartet und zugänglich sein. Wir hoffen einfach, dass auch andere Städte ihre Notwasserbrunnen pflegen…
Für Notzeiten werden 15 Liter pro Person und Tag kalkuliert. Diese Menge soll in extremen Situationen noch auf den reinen Trinkwasserbedarf von 2,5 Liter zu reduziert werden können. Anders wird bei sensiblen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gerechnet. Hier ist der Hygienebedarf deutlich höher, weshalb die zu kalkulierende Menge zwischen 75 und 150 Liter je Tag und Person liegt. Die Betriebsdauer eines solchen Notbrunnens ist auf 15 Stunden pro Tag ausgelegt. Damit können dem BBK zufolge etwa sechs Kubikmeter Trinkwasser in der Stunde entnommen werden. Nur zum Vergleich: Große Wasserwerke schaffen bis zu zwei Kubikmeter in der Sekunde und liefern damit die von 500.000 Menschen und vielen Betrieben täglich benötigte Trinkwassermenge. Damit kann natürlich ein Notbrunnen nicht mithalten. Zwar wird bei den Notfallkonzepten neben dem menschlichen Wasserbedarf auch die Viehwirtschaft für die Ernährung berücksichtigt, weshalb für ein Rind oder fünf Schafe jeweils 40 Liter zu Grunde gelegt werden, von der Industrie ist in den Konzepten dagegen keine Rede.
Bei der Beschreibung dieser Notfallkonzepte für die Trinkwasserversorgung kommen Bilder zum Vorschein, die wir nur aus Kriegsgebieten anderer Weltregionen kennen. Was hier die Katastrophe wäre, ist dort der Regelfall – auch wenn dieser katastrophale Ausmaße für die dort betroffenen Menschen hat. Man wird an die Berichte aus der syrischen Stadt Aleppo erinnert. Die Bewohner dieser Stadt haben wegen des Bürgerkrieges keine funktionierende Trinkwasserversorgung. Daher versorgen sich die Menschen über im Stadtgebiet verteilte Brunnen. So wird man sich auch die Trinkwasser-Notversorgung vorstellen müssen. Hoffen wir, dass wir sie niemals brauchen werden. Trotzdem ist es gut, wenn sie da ist und funktioniert. Für die übrige Zeit sind die Wasserversorger da; fast immer so zuverlässig, dass man sich ihrer Leistung gar nicht bewusst ist….
Kritis-Faltblatt Notbrunnen
bbr-Fachbeitrag des BBK zum Thema Trinkwassernotversorgung
BBK Info-Papier „Trinkwassernotbrunnen – Wasserversorgung in Extremsituationen“
Artikel über den Trinkwassermangel in Aleppo Der Tagesspiegel