Das war abzusehen: Staatssekretär Patrick Graichen muss seinen Hut nehmen. Auch sein Chef und Freund, Wirtschaftsminister Robert Habeck konnte ihn am Ende nicht mehr halten. Der eine Fehler zu viel, wie Habeck erklärte. So ist das halt und es ist bei aller Kritik an Grünen menschlich. Menschen machen Fehler. Und die Grünen machen sie auch. Graichen habe den Ökoverband BUND bei einer Förderung bevorzugt und das in einer Zeit, als seine Schwester Verena dort Vorsitzende war. Für Habeck, der Graichen nicht feuern wollte, ist das ein Schlag und für die Grünen, weil sie ihre Unschuld verlieren. Erneut oder wieder mal, das kann jeder für sich beurteilen. Die Grünen wollten ja mal anders sein als die Etablierten, gemeint, CDU, CSU, SPD, FDP, also keine Familien-Wirtschaft, keine Bevorzugung, keine Vetternwirtschaft usw.
Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein! Die Heuchler müssen Überstunden einlegen, um ihre Häme auf die Grünen abkippen zu können. Unerhört, rufen sie in Berlin und München aus den Parteizentralen, und zeigen aus Abscheu und Empörung auf diese Grünen, die man ertappt habe im Selbstbedienungsladen Bundesrepublik. Ausgerechnet die selbstgerechten Grünen, empören sich die einen, endlich haben wir sie mal wieder, sind die anderen erleichtert. Und dass es den Cheferklärer Robert Habeck erwischt hat, der einst den Bückling bei den Scheichs machte wegen Öl und Gas, wird nicht ohne Freude zur Kenntnis genommen. Wird der doch den anderen Führungsleuten der Konkurrenz gern als Vorbild vorgehalten, weil der besser überkommt, locker und leicht über die Baustellen turnt und Politik erklärt. Ein Liebling der Medien.
Grün als politische Modefarbe
Die Zeiten sind aber erstmal vorbei, da die Leitmedien in der Hauptstadt ihre grünen Träume pflegten, über Grün-Schwarz oder mindestens Schwarz-Grün schrieben, als stünde das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl so gut wie fest. Es stimmte ja auch teilweise, dass die Grünen mit ihren Themen der Zeit voraus schienen, weil sie die Bedürfnisse der Natur und des Erdballs erkannt hatten. Sie redeten über Sonnen- und Windenergie, als die anderen noch voll mit Kohle heizten. Robert Habeck als Kanzler, dann Annalena Baerbock, die politische Modefarbe war Grün. War.
Denn Kanzler ist Olaf Scholz geworden, der Sozialdemokrat, dem das kaum jemand zugetraut hatte, weil er zu nüchtern war und den Tanz auf der Bühne nicht mitmachte. Begründung: Ich bin doch kein Zirkusdirektor. Die Grünen regieren mit in der Berliner Ampel, nicht alles dürfte nach dem Geschmack von Robert Habeck gehen. So ist das in Koalitionen, zumal mit drei Partnern. Politik als Kompromiss. Und man kann nicht sagen, dass FDP und die Grünen miteinander harmonieren. Manchmal scheint es, als würden sie sich gegenseitig bekämpfen. Sie reden mit, haben aber nicht das letzte Wort. Und manches, was sie in der Verkehrspolitik so anstellen, kommt einem so vor, als wollten sie das Auto am liebsten abschaffen. Langsam, möchte man ihnen zurufen, langsamer fahren, das Ruder nicht abrupt herumreißen, damit der Kahn nicht umkippt. Ihr müsst die Menschen schon mitnehmen auf die Reise in die Zukunft, ihr dürft nicht einfach lossausen, dann verliert ihr den Kontakt zu den Zeitgenossen. Politik muss erklärt werden, damit die Menschen sie als notwendig begreifen. Und sie muss bezahlbar bleiben. Gerade auch für die vielen kleinen Leute, Geringverdiener, die Mittelschicht.
Die Grünen haben Einfluss im ganzen Land. Einen Ministerpräsidenten stellen sie in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der gerade 75 Jahre alt geworden ist und der vor über zehn Jahren das Kunststück fertig gebracht hat, der CDU nach 58 Regierungsjahren die Staatskanzlei in der Villa Reitzenstein abzujagen, die beinahe majestätisch über dem Stuttgarter Stadtzentrum thront. Die Grünen regieren fast überall mit, in Hessen, in NRW, in Rheinland-Pfalz, in Niedersachsen, um nur die zu nennen. Raus sind sie aus der Berliner Stadtregierung und außen vor sind sie in Bayern, wo Markus Söder die Freien Wähler als Regierungspartner den Grünen vorzog. Der Söder, der als Symbol seiner grünen Politik Bäume umarmt, lästert über die Grünen, als würde er dafür bezahlt. Es lohnt sich nicht, all die Attacken hier aufzuzählen, es ist billiger Wahlkampf. Söder will im Oktober als Ministerpräsident von Bayern wiedergewählt werden. Ob er mehr will, bestreitet er. Man sollte sich seine Worte merken.
CSU- die Kultur des Handaufhaltens
Der Fall Graichen ist natürlich für die CSU ein gefundene Fressen. Da können sie zulangen gegen die Moralapostel und Gras- und Möhrenesser. Dass diese Angriffe der CSU auf die Grünen purer Heuchelei entspringen, wissen sie, das ist ihnen aber egal. Es bleibt immer etwas hängen, wenn man draufhaut.
Ausgerechnet die CSU empört sich über Filz anderer, eine Partei, deren Geschichte man in Filz-Büchern schreiben müsste. Über die Hans Well, ein bayerischer Musiker und Texter der berühmten Biermösl-Blosn, vor Monaten in einer Kolumne der „Süddeutschen Zeitung „schrieb: „Seit Jahrzehnten pflegt man in der CSU das Brauchtum des Handaufhaltens.“ Und wer etwas älter ist, weiß noch all die Affären im Zusammenhang mit dem Übervater der CSU, Franz-Josef Strauß, den sie gern als Heiligen verehren: die Spezlwirtschaft, die man bis dato aus Süditalien kannte, machte sich breit im Freistaat. „Bei der Beschaffung der Starfighter munkelte man über Geldflüsse der Firma Lockheed an den Verteidigungsminister FJS“, schrieb Hans Well in der SZ. „Bei der Fibag-Affäre schusterte FJS seinem Spezl H. Kapfinger einen Auftrag von 5300 US-Army-Bauten zu“. Dann die „Causa vom Bäderkönig, Steuerhinterzieher und Strauß-Spezl E.Zwick, dem CSU-Finanzminister G. Tandler 62 von 70 Millionen Steuerschuld nachließ. Tandler war Kreditnehmer bei Zwick“. Schreibt Hans Well. Übrigens verehrt Markus Söder den Franz-Josef Strauß, als junger Mann hatte er ein Plakat mit dem Konferfei des großen CSU-Chefs über seinem Bett hängen. Man könnte die Airbus-Geschäfte erwähnen und dabei die Namen von Strauß und dem Waffenhändler K. Schreiber und anderes mehr. Bayern, die CSU, Strauß, die eine Hand, die die andere wäscht, eine Partei, die sich des Landes bemächtigt hatte, dass das Volk spottete: „Jeder Sack Kartoffel würde in den Landtag gewählt, wenn CSU darauf stehe.“
Die CSU heute, geläutert, gesäubert durch Söder? Man denke an die Maskenaffäre, die Namen Tandler, Nüsslein, Sauter, Gauweiler, Ramsauer. Hans Well erwähnt sie alle im Zusammenhang mit Masken-Deals und anderen Geschäften. Söder, der Erneuerer, „muss schon sehr konzentriert weggeschaut haben, um nichts zu sehen“, so Well weiter. „Söder wirkt wie ein Feuerwehrler, der kommt, wenns lichterloh brennt, und dann dem Hausbesitzer von Brandschutzverordnungen vorschwärmt, die er selber verhindert hat.“ Und wie hatte der neue, selbst erklärte Saubermann der CSU, Markus Söder, auf dem CSU-Parteitag, wo sie ihn mit 100-vh als Parteichef bestätigt hatten, gegen die Grünen getönt: „Die ganze grüne Sippe wird da irgendwie beschäftigt, Bruder, Schwester, Onkel, Tante.“ Und wenn man weitersuche, werde man „sicher noch irgendeinen Schwippschwager“ finden. Wörtlich Söders Bilanz zu Habeck/Grüne/und Co: „Das ist nichts anderes als grüne Korruption“.
Da kann ich nur noch zwei Dinge sagen: Erstens, der Markus Söder muss es ja wissen. Und zweitens halte ich ihm den früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann vor, der gesagt hatte. „Wer mit dem Finger auf andere zeigt, muss wissen, dass drei Finger derselben Hand auf ihn zurück zeigen.“ CSU-Generalsekretär Martin Huber darf in diesem Hup-Konzert natürlich auch nicht fehlen. Der Mann(ohne den Doktortitel) attackierte nach dem Abgang Graichens die Grünen und Habeck, der „dem Ansehen seines Ministeriums und dem der gesamten Bundesregierung schweren Schaden zugefügt“ habe. Man merkt richtig, wie Huber darunter leidet, der dann fortfährt, um von einem grünen Selbstbedienungsladen“ zu reden und davon, „dieser grüne Sumpf ist damit noch längst nicht aufgearbeitet „. Diese Kaltschnäuzigkeit muss man erst mal beherrschen, den Gegner als Filz-Partei zu attackieren, wenn man selber in Filz-Pantoffeln daherkommt.