Die Meldung habe ich übersehen, veröffentlicht wurde sie am 29. November 2024, unter anderem im Deutschlandfunk: „Das Erkundungsbergwerk im Salzstock Gorleben wird von morgen ab zugeschüttet. Das teilte die Bundesgesellschaft für Endlagerung mit. Laut der BGE müssen in den kommenden drei Jahren rund 400000 Kubikmeter Salz in die aufgebohrten und durch Sprengung geschaffenen Hohlräume des Bergwerks zurückbefördert werden.“ Das Salz lagerte auf einer Halde in der Nähe. Damit geht eine Geschichte zu Ende, die Deutschland jahrzehntelang beschäftigt hat und weiter beschäftigen wird. In Gorleben sollte der Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum mit nuklearer Wiederaufbereitungsanlage, Endlager und weiteren Atomanlagen entstehen.“ Die Suche muss ohne Gorleben weiter gehen. Der atomare Müll, der in Deutschland seit den 60er Jahren produziert wurde, hat noch immer kein Endlager gefunden. Diese unendliche Geschichte beschreibt den Umgang mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie, das Ringen um den Ausstieg aus einer Energie, für die niemand die Garantie geben kann, dass er sie wirklich beherrscht. Eine Energie, die in Deutschland keine Zukunft hat und deren Strahlkraft in Deutschland nur noch dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz und dem Chef seiner bayerischen Schwesterpartei CSU, Markus Söder, zu gefallen scheint. Sie sehen in der Atomenergie wohl weiter eine Option, besser, gut fürs Klima, billiger. Nur gibt es im Lande kein passendes Atomkraftwerk mehr dafür, und das mit dem Müll ist auch nicht geklärt. Ob Merz und Söder die Gorleben-Meldung wie ich übersehen haben?
Kernkraft in Deutschland, damit verbanden sich einst viele Hoffnungen. Die Frage der Energiesicherheit schien für die Menschheit gelöst. Ich kann mich an die vielen Debatten erinnern. Wer Zweifel äußerte hinsichtlich der Sicherheit und der möglichen Bedrohung von Menschen, wurde in die linke Ecke gestellt, war Kommunist, was damals das größte Schimpfwort in der politischen Auseinandersetzung war. Ohne den Bau von Atomkraftwerken würden überall die Lichter ausgehen, wurde uns und allen prophezeit, Kühlschränke ohne Strom. Ich höre heute noch Minister in Redaktionskonferenzen sagen: „Ich hätte nichts dagegen, wenn in der Nähe meines Hauses ein AKW gebaut würde.“ Aktivisten gingen auf die Straße, es wurde protestiert, immer heftiger. Es kam zu Straßenschlachten. Der Ort Wyhl in Baden-Württemberg steht für mich wie ein Sinnbild des Themas wie Brokdorf, Gorleben, Kalkar, Wackersdorf. In Wyhl am Kaiserstuhl-Weinliebhabern und Wanderern wohl bekannt- brachten Atomkraftgegner erstmals den geplanten Bau eines AKW durch ihren Protest zum Scheitern. In Brokdorf fanden die heftigsten Widerstände statt, Hamburgs Bürgermeister Hans-Ulrich Klose trat zurück, weil er sich nach anfänglicher Unterstützung der Kernkraft für das Nein der Atomkraft entschied und damals gegen Brokdorf. Bundeskanzler Helmut Schmidt(SPD) war ein Befürworter der Atomenergie, das Thema spaltete die SPD und führte zur Gründung einer neuen Partei: Die Grünen. In Kalkar war der „Schnelle Brüter“ geplant, 1991 entschied sich die Politik, das Kernkraftwerk nicht ans Netz anzuschließen. Ein niederländischer Investor erwarb den Bau und machte daraus einen Freizeitpark.
Oder nehmen wir das Beispiel Wackersdorf im Landkreis Schwandorf in der Oberpfalz gelegen. Dort war eine Wiederaufbereitungsanlage geplant. Massive Proteste sorgten dafür in den 80er Jahren, dass der Bau gestoppt wurde. Vier Jahre hatte der Kampf gedauert. Zur Erinnerung: Die „Deutsche Gesellschaft für Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen“ verkündete am 4. Februar 1985, dass ihre Anlage in Wackersdorf errichtet werden soll und nicht in Gorleben. Der stabileren politischen Verhältnisse wegen, man setzte wohl auf die CSU und Franz-Josef Strauß, aber auch der örtliche Bürgermeister Josef Ebner(SPD) war ein Kernkraft-Freund. Ebner sah in der Wiederaufbereitung eine Chance für seine Gemeinde, die durch das Ende des Kohleabbaus wirtschaftlich in Nöte geraten war. 3600 Arbeitsplätze sollte die Kernkraft dem Dorf in der Oberpfalz bringen. SPD-Landrat Hans Schuierer war zuerst für die Anlage, wechselte aber ins Lager der Gegner, als er von der Gefahr hoch radioaktiver Schadstoffe hörte, die aus einem 200 Meter hohen Schornstein in die Luft geblasen werden könnten. Daraufhin entzog der bayerische Landtag dem Landrat die Befugnisse für Wackersdorf. Am 26. April 1986 gab es den Gau des Kernkraftwerks Tschernobyl, die Stimmung schlug um in weiten Teilen des Landes, auch weil Radioaktivität auch in der Oberpfalz wie in anderer Teilen der Republik gemessen wurde. Am Ende siegten die Gegner der Wiederaufbereitung. Am 31. Mai 1989 wurde der Baustopp verkündet. Die Brennelemente wurden nun in der französischen Anlage in La Hague aufbereitet. Einer der Unterzeichner der Verträge war der damalige Bundesumweltminister Prof. Klaus Töpfer.
Republik Freies Wendland
Es ließen sich viele Geschichten um die Kernkraft erzählen. So wurde von Aktivisten das Hüttendorf „Republik Freies Wendland“ gebaut. Der damalige frisch gewählte Juso-Chef Gerhard Schröder fuhr mit Bussen samt Gesinnungsgenossen und Journalisten vom Bundeskongress des SPD-Nachwuchses von Hannover ins Wendland und musste sich von den Aktivisten, die zumeist angetrunken waren, beschimpfen lassen: Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten? Schröder nahm es gelassen hin, nach außen, innen wird er gezürnt haben. Die Jusos waren schließlich keine Atomkraft-Freaks. Der Widerstand in Gorleben wurde von Landwirten getragen, von Hausfrauen, Lehrern, kritischen Bürgerinnen und Bürgern, die sich Gedanken und damit Sorgen um ihre und die Zukunft ihrer Kinder machten. Ein Endlager hoch radioaktiven Mülls als Nachbarn- das war nicht unbedingt wünschenswert zumindest nicht für die, die nachdachten und sich informierten. Die Geschichte Gorleben war auch eine Geschichte des Protestes gegen die mächtige Atomlobby von RWE, Eon, gegen Regierungen, die mit aller Macht etwas durchsetzen, ja durchpeitschen wollten, was den Normalbürgern unheimlich wurde. Wasserwerfer und Polizeiknüppel sind halt keine guten Argumente in der Debatte mit jungen Leuten, die sich von massiven Polizeiaufgeboten nicht einschüchtern ließen. Manches Gewand ging kaputt durch die Wasserkraft. Proteste gegen Castor-Transporte hatten nichts mit kommunistischer Infiltration zu tun. Da war kein Putin, die DKP war so klein wie eine Sekte, ohne Einfluss. Gorleben und all das andere, das war eine Volksbewegung.
Man denke an den Atom-Ausstieg der ersten rot-grünen Bundesregierung unter Schröder/Fischer im Jahre 2000. Als Angela Merkel mit der FDP 2009 bis 2014 regierte, setzte sie den Ausstieg aus, die Physikerin wollte zurück in die Atomwirtschaft. Und dann passierte Fukushima, ein Erdbeben samt einem Tsunami zerstörte das Kernkraftwerk in Japan, einem hochindustrialisierten Land. Zehntausende mussten die Region verlassen. Merkel zog ihren Ausstieg zurück, die Katastrophe von Fukushima hatte die Naturwissenschaftlerin offensichtlich über die Gefahren der Atomkraft gelehrt, dass sie unberechenbar ist, kaum zu bewältigen. Es gab kaum Widerstand, auch nicht vom Koalitionspartner FDP, vertreten durch den Vorsitzenden Guido Westerwelle. Wer das Merkel-Buch in Händen hält über die Erinnerungen der Altkanzlerin, kann das nachlesen. Und dort empfiehlt die langjährige Regierungs- und CDU-Chefin ihren Unions- Nachfolgern auf Seite 608: „Ich kann Deutschland auch in Zukunft nicht empfehlen, wieder in die Nutzung der Kernenergie einzusteigen. Wir können die Klimaziele auch ohne Kernenergie erreichen, technologisch erfolgreich sein und damit auch anderen Ländern der Erde Mut machen.“
Hebel umlegen geht nicht
Ob sie Gehör findet bei Merz, dem aussichtsreichen Kandidaten für das Kanzleramt? Man weiß ja, dass die beiden nicht so gut miteinander können, auch wenn Merz der Frau Merkel bei der Geburtstagsfeier der CDU zugunsten der Altkanzlerin gratulierte und dabei fast emotional geworden war. Der Ausbau regenerativer Energien ist das Thema der Zukunft, das wir verstärken müssen, die Windkraft ausbauen, die Erdwärme nutzen. Leute wie Merz und andere in der Union stehen immer noch mit einem Bein in der Atomkraft, Fukushima ist lange her, Tschernobyl im Grunde vergessen, das KKW Saporischschja in der Ukraine ist umkämpft, gefährdet durch den Krieg, den Russland in die Ukraine gebracht hat mit dem Überfall. Aber es ist kaum ein Thema in der Umwelt-Debatte, der Gefährdung durch Atomkraft. Die Demonstranten von einst sind inzwischen Großmütter und Großväter, sie gehen nicht mehr auf die Straße. In der Union wird für den Fall der Machtübernahme nach der vorgezogenen Wahl überlegt, für die drei Meiler Emsland(RWE), Isar(Eon) und Neckarwestheim(EnBW) eine Wiederaufnahme des Betriebs anzustrengen. Die Betreiber winken ab, sie haben das Theater um den Ausstieg der Kernenergie nicht vergessen, das Hin und Her um die Endlagerung. Jetzt werden sie gerade wieder daran erinnert, da der Salzstock Gorleben zugeschüttet wird. Die Gesellschaft hat den Kampf gegen die Kernenergie geführt, er ist abgeschlossen. Soll hier ein neues Fass aufgemacht werden? Söder und Merz sollten wissen, dass man bei der Atomkraft nicht einfach den Hebel umlegen muss, um ein AKW wieder ans Netz zu bringen. Der Neubau eines Kernkraftwerks würde mindestens zehn Jahre dauern, die Kosten werden im zweitstelligen Milliarden-Bereich angesiedelt. Übrigens könnten sich die Unions-Herren auch bei RWE, Eon und EnBW erkundigen. Auch dort hält sich die Begeisterung in Grenzen, um es höflich zu formulieren.
Es lohnt auch nicht, den Streit über die Verlängerung der oben erwähnten Meiler erneut aufzuwärmen. Ja, man hätte ohne Probleme verlängern können, weil man ja wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine und der folgenden Sanktionen gegen Moskau in der Bredouille war. Die Ampel hat sich so entschieden wie es war. Gesetzlich geregelt. Wem es hilft oder guttut, der kann als Argument Scholz/Habeck eine gewisse Ideologisierung beim Nein zur Verlängerung unterstellen . Die Sache mit der Kernkraft hat sich hier erledigt. Es macht auch keinen Sinn, auf Kernfusions- oder Mini-Reaktoren zu setzen. Es wurden schon vor Jahr und Tag ernste Zweifel geäußert, dass sie je wirtschaftlich seien. Und dazu kommt noch das Endlager. Wie verlogen die Debatte ist, zeigt Söder. Hat er doch in den Koalitionsvertrag mit den Freien Wählern hineinschreiben lassen, dass Bayern für ein Endlager völlig und kategorisch ausgeschlossen ist. Wunderbar, wie heißt es doch bei den Bitten an den heiligen St. Florian: Verschon mein Haus, zünd andere an. Gemeint damit ist nach Heribert Prantl in seiner SZ-Kolumne die Gemeinde Thurmansbang im Landkreis Freyung/Grafenau, das ist im Bayerischen Wald. Eine schöne Gegend, dort waren wir jahrelang zum Langlaufen. Herrlich war das. Ein staatlich anerkannter Luftkurort. Da passt natürlich kein Endlager hin. Überhaupt ist Bayern für sowas viel zu schön. Söder-Vorgänger Seehofer wollte deshalb auch lange Zeit möglichst wenig Windräder, weil die die Landschaft verschandeln würden. Und die Kabel unter die Erde zu legen, was ein Ausweg gewesen wäre, wäre sehr viel teuer geworden. Zudem hatten dagegen schon die Bauern protestiert, weil sie fürchteten, dass ihre dort ausgebrachte Saat kaputt gehen würde an den Temperaturen. Oder so.
Zuguter Letzt: Vor wenigen Tagen verhandelte das Oberverwaltungsgericht von NRW in Münster über Atommüll aus dem Versuchsreaktor in Jülich, der im Zwischenlager Ahaus gelagert werden soll. So habe ich es in einem Leitartikel des Bonner Generalanzeigers gelesen. Die Autorin kommentierte den Vorgang: „Deutschland schafft es nicht mal, den wenigen Müll aus Versuchsreaktoren zu deponieren. Geschweige denn, ein Endlager zu bauen. Die Ampel hat den Termin auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Der Bund geht davon aus, dass erst 2050 ein Endlager gefunden ist- 20 Jahre später als geplant.“ Wir haben also weiterhin das angeblich modernste Flugzeug, das aber mangels Flugplatz nirgendwo landen kann. Was wir brauchen statt Wahlkampf, Herr Merz und Herr Söder, ist eine pragmatische Energiepolitik, die ehrlich ist und frei von jeder Ideologie- auch der von der Kernkraft.
In der Tat: in Deutschland führt kein vernünftiger Weg in die Kernspaltungstechnik zurück – sie spaltet eben nicht nur Atomkerne, sonder die deutsche Gesellschaft. Die Kernfusion ist keine realistische Option in den nächsten entscheidenden zwei Jahrzehnten – das ist entscheidend! Ich bestätige das so klar, weil ich in diesen Technologien von der Promotion bis in meine Jülicher Vorstandsrolle gearbeitet habe, allerdings auch sehr viel für Sonnen- und Windenergie tun durfte.
In der Energiepolitik, die immer mehr eine Elektrizätspolitik sein wird, kommt es aber darauf an, die europäischen Netze zu integrieren. Und dabei müssen auch Deutsche akzeptieren, dass andere Europäer Kerntechnik anders beurteilen, sowohl im rechten wie im linken politischen Spektrum. Unser Strom wird daher noch sehr lange ein solaren Reinheitsgebot verletzen. Da ich in Brüssel auch schon Münchner Kollegen bei einem frischen Stalla Artois auf das bayerische Reinheitsgegot habe schwören hören, rechne ich mit der nötigen Toleranz.