Es ist ein Trauerspiel. Die Ergebnisse von spektakulären Gipfeltreffen können noch so dürftig sein – die Verantwortlichen versuchen sie irgendwie schönzureden. Das war auch nach der Weltklimakonferenz in Glasgow nicht anders. Zu vage, zu wässrig, zu wenig, lautet der nüchterne Befund zu dem Vereinbarten. Die rosaroten Erklärungen zu vermeintlichen Fortschritten sind kaum belastbar. Sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zusagen zu schwach und zu unverbindlich sind. Mit leeren Versprechungen ist schon zu viel Zeit vertan worden.
„Der letztlich verabschiedete ‚Glasgow Climate Pact’ ist in vielerlei Hinsicht schwächer ausgefallen, als gewünscht, bietet aber dennoch eine starke Orientierung für das notwendige Maß an Ambition in diesem Jahrzehnt“, erklärt etwa Prof. Dr.-Ing. Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut. Wolfgang Obergassel, Co-Leiter des Forschungsbereichs Internationale Klimapolitik am Wuppertal Institut, befindet: „Leider ist das kollektive Ambitionsniveau auch mit den neuen Ankündigungen von Glasgow immer noch viel zu schwach, um die Ziele des Pariser Abkommens tatsächlich zu erreichen.“ Sein Aber lautet: „Deshalb ist es sehr wichtig, dass der Klimapakt von Glasgow die Länder auffordert, bereits im kommenden Jahr stärkere Zusagen vorzulegen.“
Im Schatten der Konferenz von fast 200 Staaten machte der Konflikt um die Atomkraft wenig Schlagzeilen. Die Befürworter sehen die Bemühungen um ein Ende der Treibhausgasemissionen als willkommenes Argument für eine Renaissance der Kernspaltung. Die geschäftsführende deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hielt tapfer dagegen. Doch der Streit verläuft mitten durch die Europäische Union und spitzt sich mit der bevorstehenden Entscheidung der Kommission über die Bewertung der Atomkraft zu.
Frankreich, Polen, Ungarn und Tschechien fordern die Europäische Kommission auf, Atomkraftwerke als nachhaltig und umweltfreundlich einzustufen. Dahinter stehen handfeste wirtschaftliche Interessen in dem von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten „Green Deal“. Milliardenschwere Investitionen sollen verstärkt in „grüne Technologien“ fließen. Das Etikett „nachhaltig“ ebnet den Weg an die Tröge.
Großbritannien hat mit seinen Plänen zum Ausbau der Atomenergie schon Schiffbruch erlitten. Die heimischen Betreiber fanden die Profitaussichten nicht so verlockend und winkten ab. Der französische Konzern EDF sprang ein und ließ sich das Geschäft von der britischen Regierung mit langjährigen Festpreisen vergolden. Auch in Deutschland scheint das wirtschaftliche Interesse an einem Ausstieg aus dem Atomausstieg nicht gerade überbordend zu sein. Man erinnere sich, dass die äußerst risikoreiche Technologie jahrzehntelang massive staatliche Subventionen verschlungen hat.
Doch Frankreich lässt sich weder von Kosten- noch von Sicherheitsbedenken beirren. Präsident Emmanuel Macron propagiert viele kleine neue Atomkraftwerke, um das Vorhaben harmloser erscheinen zu lassen. Das ist natürlich Augenwischerei. Risiken wie GAUs oder Terroranschläge lassen sich nicht besser beherrschen, und überdies ist die Frage der Endlagerung noch immer ungelöst. Nach uns die Sintflut, lautet die Devise hinter solch einer Ignoranz und zeugt von der gleichen Rücksichtslosigkeit, mit der die Klimakatastrophe angeheizt wurde (und weiter wird). Jeder Cent, den Europa in die hochgefährliche Atomkraft investieren würde, fehlt für den dringenden Ausbau der erneuerbaren Energien.
Deutschland kämpft in einer kleinen Allianz mit Luxemburg, Portugal, Dänemark und Österreich gegen die Atomkraft. „Sie ist zu riskant, zu langsam und zu teuer für die entscheidende Dekade im Kampf gegen den Klimawandel“, sagte Svenja Schulze in Glasgow. Die Fünfer-Gruppe erklärte gemeinsam, dass „aktuelle Jahrzehnt entscheidend für unseren gemeinsamen Weg zur Klimaneutralität und zu einem Wirtschaftssystem sein wird, das die Grenzen unseres Planeten respektiert“. Und sie pochte auf eine „glaubwürdige, zielorientierte“ Einschätzung der Energieformen durch die EU, die so genannte Taxonomie. Jedes EU-Land habe das „souveräne Recht“, sich für oder gegen Atomkraft zu entscheiden. Eine Aufnahme dieser Energieform in die EU-Taxonomie werde aber deren „Integrität, Glaubwürdigkeit und Nutzen dauerhaft schaden“.
In diesen letzten Wochen des Jahres will die EU-Kommission entscheiden. Danach haben das Europäische Parlament und die nationalen Regierungen zwei Monate Zeit für Einwände. Das Bundesumweltministerium hat sich dafür schon mit einem Rechtsgutachten gewappnet. Das kommt zu der Auffassung, dass eine Anerkennung der Atomenergie als „grün“ gerichtlich anfechtbar wäre. Gut möglich, dass der Streit letztlich vor Gericht landet.
Übrigens: In Bezug auf die militärische Nutzung der Atomkraft berichtet der Economist über Besorgnisse in Frankreich, Großbritannien und den USA bezüglich der neuen deutschen Bundesregierung. Die Gruppe „P3“, die drei offiziellen Atommächte mit ständigem Sitz im Weltsicherheitsrat, befürchteten, dass Deutschland seine Haltung zur nuklearen Teilhabe verändern könnte. Die Befürchtungen gelten demnach sowohl der Stationierung von bis zu zwanzig US-Atombomben in Büchel, als auch dem Internationalen Abkommen zum Verbot von Atomwaffen. Ohne dass Quellen genannt wären, spricht der Economist von einem möglichen „Flirt“ der Ampel-Regierung mit dem Nuklearwaffen-Verbot. Das wäre mal eine gute Nachricht.
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Der Atomausstieg war und ist die richtige Strategie. Sie ist zu gefährlich und im Endeffekt, wenn alle Kosten zusammen gerechnet werden, auch zu teuer. Es ist aber fraglich, ob es richtig war, beim Übergang zu den erneuerbaren Energien auf Kohle und Gas zu setzen und die bestehenden Atomkraftwerke vorzeitig stillzulegen. Mit der heimischen Braunkohle blasen wir unendlich viel Dreck und CO2 in die Luft. Umweltfreundlich ist auch das Gas nicht, abgesehen davon, dass man gar nicht wissen möchte, mit welchen Umweltschäden das Gas in Russland gefördert wird. Dazu kommt, dass wir uns in eine peinliche Abhängigkeit vom russischen Gas begeben. Also der Neubau von Atomkraftwerken ist sicher keine Alternative, die Restnutzung bestehender Anlagen wäre vermutlich klug gewesen.