Mitleid ist im politischen Geschäft die schlechteste Art von Empathie, die einem Verlierer zuteil werden kann. Armin Laschet wird von den einen mit einem Übermaß an Mitleid geradezu überschüttet, von den anderen zum Sündenbock für das Desaster der Union bei der Bundestagswahl abgestempelt. Am Wahlsonntag stand er wie ein begossener Pudel vor den Fernsehkameras. Doch war er wohl so geschockt und trotzig von dem tiefen Rutsch seiner Partei, dass er die bitteren Konsequenzen noch gar nicht voll begreifen konnte. Gewiss, der Abstand zur SPD war nicht überwältigend. Doch gilt im sportlichen Wettbewerb ebenso wie bei politischen Wahlen: Wer – wie Olaf Scholz – beim Marathon auf den letzten Metern noch etwas zulegen kann, geht eben als Sieger durch’s Ziel – selbst wenn es nur ein paar Sekunden sind, die ihn als Ersten über die Ziellinie tragen.
Abschied von der Staatskanzlei
Armin Laschet hat viel verloren. Er gleicht in diesen Nach-Wahltagen einem Mann, der sich vor dem Ertrinken zu retten versucht und dabei an einen Rettungsreifen klammert, bei dem jedoch die Luft entwichen ist. Sein Amt als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wird er in Kürze aufgeben. Das hat er bereits vor einiger Zeit, da die Umfragen bei rund 30 % für die Union und bei etwas über 15 % für die SPD lagen, ganz selbstverständlich und voller Zuversicht auf’s Kanzleramt angekündigt.
Vieles deutet nun darauf hin, dass die CDU in NRW nach dem Laschet-Interregnum Mitte Mai 2022 auch auf den Oppositionsbänken landen wird. Die Suche nach einem Laschet-Nachfolger in Düsseldorf gestaltet sich mehr als schwierig. Der von einem Teil der Parteigranden favorisierte Verkehrsminister Hendrik Wüst aus dem Münsterland kann kaum große Erfolge vorweisen: Auf den Autobahnen in NRW gibt es tagtäglich neue Stau-Rekorde, der Regionalverkehr der Bahn weist riesige Defizite auf, es fehlt an Radwegen in den meisten Städten, viele Brücken sind marode, einige wegen langwieriger Bauarbeiten seit Jahren ganz gesperrt. Bessere Kandidaten für die Laschet-Nachfolge wären wohl Karl-Josef Laumann, Lutz Lienenkämper oder Herbert Reul.
Jamaika ist kaum in Sicht!
Noch pokert Armin Laschet in Berlin und hofft auf ein Jamaika-Bündnis. Doch seine Karten sind dafür so schlecht, dass er bei diesem Spiel auch nur verlieren kann. Bei aller Sympathie, die er bei Christian Lindner und seinen Liberalen genießt, wird er die Grünen nicht ins Koalitionsboot locken können. Vielmehr machen Baerbock und Habeck sowie Lindner mit dem Laschet-Angebot Druck auf Olaf Scholz und seine Genossen, um grüne und liberale Lieblingsprojekte durchzusetzen. Es ist also ein ganz dünner Faden, an dem sich Armin Laschet in diesen Tagen festhält. Derweil plädiert Markus Söder dafür, den tiefen Fall der Union als Niederlage zu akzeptieren und Olaf Scholz zu seinem Erfolg zu gratulieren. Mit so viel Hinterfotzigkeit aus Bayern kann Laschet politisch kaum überleben.
Wenig Chancen auf Fraktionsspitze
Die CDU/CSU-Fraktion hat gerade ihren bisherigen Vorsitzenden Brinkhaus nur für die Zeit bis April 2022 gewählt. Hätte Armin Laschet jetzt seinen Hut für diese Position in den Ring geworfen, die Abgeordneten in seiner Fraktion hätten ihn wohl nicht auf den Schild gehoben. Andere Kandidaten hätten zudem versucht, den braven Brinkhaus zu beerben: Von Friedrich Merz bis Norbert Röttgen und Jens Spahn sitzen sie bereits in einer Lauerstellung. Im nächsten April wird dies kaum anders sein. Als Helmut Kohl im Jahre 1976 bei der Bundestagswahl über 46 % erreichte und ihm damals gerade einige hunderttausend Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlten, konnte dennoch Helmut Schmidt mit einem deutlich schlechteren Ergebnis im Kanzleramt bleiben. Helmut Kohl wurde jedoch mit deutlicher Mehrheit Fraktionsvorsitzender, denn die meisten Abgeordneten hatten ihre Mandate gewonnen und viele neue waren dazu gekommen – dank Kohls Engagement. Jetzt sind 50 CDU-Politiker mit ihrem Spitzenmann Laschet auf der Strecke geblieben; für manche ergeben sich dadurch bittere existenzielle Konsequenzen.
Gefährdeter Parteivorsitz
Nach dieser Wahl-Pleite rumort es in der CDU gewaltig. Nach dem Flop mit Annegret Kramp-Karrenbauer, die mit dem Segen von Angela Merkel zur neuen Parteivorsitzenden gekürt wurde und sich dabei knapp gegen Friedrich Merz durchsetzte, war Armin Laschet an die Spitze der CDU gekommen. Friedrich Merz landete wieder auf Platz 2, Norbert Röttgen kam auf Platz 3. Die CDU steht jetzt vor einem Scherbenhaufen. Sie wirkt auf die Wähler und Wählerinnen im Lande profillos, gelähmt und ohne jede Faszination. Weitere Pleiten drohen in der nächsten Zeit in den Ländern und Kommunen. Es fehlt an Begeisterungsfähigkeit für die junge Generation. Und auch bei den Älteren zerbröselt das einst so starke Vertrauen in die CDU. Insgesamt sind bei dieser Bundestagswahl rund 1,3 Millionen Wähler von der CDU vor allem zur SPD „gewandert“. Schon werden deshalb manche Rufe aus seiner Partei laut, auf einen echten Neuanfang ohne Armin Laschet zu setzen. Seine bisherigen Unterstützer – wie zum Beispiel Volker Bouffier und Wolfgang Schäuble – halten sich inzwischen vornehm zurück, dürften ohnehin für die Stabilisierung der CDU und insbesondere für die Zukunftsgestaltung kaum noch eine Rolle spielen.
Geisterfahrer im Laschet-Team
Das Ende der Dienstfahrt von Armin Laschet ist greifbar nahe. Er hat eigene Felder eingestanden, die zum Unionsabsturz fühlten. Sein größtes Defizit lag jedoch darin, dass er weder in seiner Düsseldorfer Staatskanzlei noch im Berliner Konrad-Adenauer-Haus ideenreiche, schlagkräftige und begeisternde Teams aufgebaut hat. Sowohl Nathaniel Liminski als auch Paul Ziemiak spielten auf Landesliga- und eben nicht auf Bundesliga-Niveau, schon gar nicht Champions League. Wer – wie etwa Ziemiak – vorrangig auf die neuen sozialen Medien setzt und die Mitglieder mit mehr oder weniger belanglosen, uninteressanten Infos per Internet, Instagram oder Twitter zu erreichen versucht, ist von der realen Welt der Menschen weit entfernt. Mit lahmen Gäulen sind im Modernisierungs-jahrzehnt eben keine Turnier-Siege zu erringen. Ziemiak war weder ein schlagkräftiger General noch ein Sekretär mit Spin-doctor-Qualitäten.
Blindgänger als CDU-Minister
Schier unerträglich wirken nun die Klugscheißereien von CDU-Politikern, die hohe Ämter in der Regierung Merkel innehatten. Die Weisheiten von Peter Altmaier oder Julia Klöckner, die diese nach der verlorenen Wahl zum besten gaben, waren peinlich und lapidar. Altmaier, der sich allzu gern als ein Epigone Ludwig Erhards aufspielte, aber nicht einmal über die Fähigkeiten von Heinz Erhardt verfügte, hat es in der Tat geschafft, die hohe Kompetenz, die der Union in der Wirtschaftspolitik über ewige Zeiten attestiert wurde, zu minimalisieren. Klöckner verspielte derweil das Vertrauen der Landwirte, die in früherer Zeit fest zur Union standen.
Wenn diese Politiker in wichtigen Ressorts, aber auch viele andere in der Union ihre Weisheiten bereits vor der Wahl selbst in Aktivitäten umgesetzt hätten, wären die Ergebnisse gewiss besser ausgefallen. Nach der Wahl liefern zahlreiche Dünnbrettbohrer nur Muster ohne Wert.
Ende der Volksparteien?
Da ist es wirklich gut, dass Angela Merkel sich bislang nicht zu dem Wahldebakel ihrer Partei geäußert hat. Ihr Beitrag zu dieser Niederlage und diesem Niedergang der CDU war sehr groß und stand in keinem Verhältnis zu der Popularität, die sie bis zum Schluss genoss. Ob und wann sich die CDU von diesem Desaster erholen wird, ist schwer vorauszusagen. Das schlechte Ergebnis für die Union, doch auch nicht einmal 26 % für die SPD könnten Signale für das Ende der Volksparteien, die in früheren Zeiten deutlich über 40 % erreichten und zu Recht als große Parteien des Volkes firmierten, einläuten. Mit Olaf Scholz hat die SPD immerhin ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die CDU muss dies bald ebenfalls versuchen – wohl ohne Armin Laschet als Vorsitzenden, der jedoch zum Trost als normaler Abgeordneter auf einem harten Sitz der Opposition im Bundestag Platz nehmen kann. Bis es so weit ist, mag er von Jamaika träumen. Die Chancen, zu dieser Koalition doch noch zu gelangen, sind minimal.
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