Gute Journalisten zeichnen sich durch Mut und Standfestigkeit aus. Fleiß muss natürlich auch dazu kommen. Was aber, wenn ihre Oberen in der öffentlich-rechtlichen ARD voreilig den Mut verlieren oder ihn gar nicht erst haben ? Wie sollen sich die journalistischen Bataillone an der Front behaupten, wenn die Anführer als erste aufgeben und den eigenen Leuten in den Rücken fallen ? Erbärmliche Fehlkalkulation, wenn die Hierarchen meinen, sie könnten die Gegner des öffentlich-rechtlichen Systems mit eilfertiger Kapitulation besänftigen. Das Gegenteil ist zu beobachten: Es wird immer weiter attackiert und polemisiert. Irgendein abwegiger Grund wird sich schon finden lassen.
Jüngstes trauriges Beispiel ein journalistisch wie didaktisch hervorragender Beitrag der Wissenschaftsredaktion des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Zwei toughe Journalistinnen nehmen mit akribischer Recherche und packender Präsentation die Wahlprogramme der großen Parteien auseinander und fragen: „Welche Partei schafft die Klimaziele ?“ Sie bieten politische Aufklärung allgemeinverständlich und zugleich auf hohem Niveau – genau das, was öffentlich-rechtliches Fernsehen leisten soll. Die beiden Journalistinnen erklären, warum alle Parteien mit ihren Programmen das Ziel des Pariser Klimaabkommens von maximal 1,5 Grad Erderwärmung verfehlen würden. Die eine mehr, die andere weniger. Zum Schluss gibt’s ein Ranking, welche Partei am besten ist, oder genauer am wenigsten schlecht. Da schneidet – auch die beiden WDR-Damen geben Ihre Überraschung offen zu – erst einmal die FDP am besten ab. Der wird aber dann vor laufender Kamera ein so schwerer Fehler in ihrem System angelastet, dass die FDP doch wieder weit nach unten fällt.
Die Argumentation der Journalistinnen kann der Zuschauer akzeptieren oder er kann sie ablehnen, so dass für ihn die FDP an der Spitze bliebe. Alles passiert vor laufender Kamera, alles wird erklärt. Manipulation jedenfalls sähe anders aus. Aber diese eigentlich belanglose Schlusspointe des höchst informativen 20 Minuten-Videos ist für Springers „Bild“ und „Welt“ und die übrige Gemeinde der ARD-Hasser im Netz das gefundene Fressen. Der Vorgang wird aufgeladen, hochgepupt, aufgebauscht, als könnte das ziemlich kurze Abschluss-Ranking der WDR-Wissenschaftsredaktion im Internet die Bundestagswahl beeinflussen oder gar entscheiden. „Bild“ versteigt sich in die Anklage: „Mit dieser kruden Manipulation entlarvt sich öffentlich-rechtlicher Wissenschaftsjournalismus als Wahlkampfhelfer.“ Und die „Welt“ haut gleich den ganzen Sender in die Pfanne: „Als die FDP beim Klimaschutz auf Platz eins landet, stuft der WDR sie zurück“. „Der WDR“ – da hat wohl Intendant Tom Buhrow persönlich daran mitgedreht.
Im Netz wird getrötet: „Tendenziöse Ausnahmeleistung“, „Unglaublich ! Eine öffentliche Entschuldigung wäre angebracht !“ „Ihr werdet von Steuergeld bezahlt“ (Anm: falsch, ganz falsch) „und legt so eine unneutrale pro Grüne Berichterstattung an den Tag.“ „Wann benennt der WDR diese Sendung endlich in Karl Marx & Co ?“
Alles so dämlich und eigentlich zum Lachen – hätte der WDR nicht höchstselbst nachträglich dieser kollektiven Sumpfentlüftung von „Welt“, „Bild“ und – die Spekulation sei erlaubt – „Bild“-Lesern ihre Berechtigung gegeben. In einer Presseerklärung muss die Redaktion bekunden, sie „bedauert sehr“. Zudem, so der WDR weiter, seien „sowohl die Form eines Rankings als auch die Abwertung einer einzelnen Partei innerhalb des Rankings unpassend“ gewesen. Sehr viel tiefer geht ein Kotau nicht. Genau wie vor geraumer Zeit als ein Kinderchor überdeutlich satirisch von einer Oma als „alte Umweltsau“ gesungen hatte. WDR-Intendant Tom Buhrow konnte sich nicht schnell genug in den Staub werfen: „Ich entschuldige mich ohne Wenn und Aber dafür.“ Und beim Norddeutschen Rundfunk räumte der Fernseh-Chefredakteur öffentlich einen Fehler ein, den seine Elite-Redaktion des Fernsehmagazins „Panorama“ gar nicht gemacht hatte. Die hatte die zweifelhafte Rolle des damaligen Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz in der CumEx-Affäre einer Hamburger Privatbank öffentlich gemacht. Der brisante Bericht stimmte in jedem Detail. Aber haltlose Vorwürfe gegen „Panorama“ von Zeitungen, die in dieser Sache augenscheinlich schlecht oder gar nicht recherchiert hatten, müssen den Chefredakteur furchtbar verängstigt haben. Er gestand einen Fehler, der keiner war.
Drei Beispiele, die zeigen: Engagierte Journalistinnen und Journalisten, die mit guten Leistungen für ihr öffentlich-rechtliches System kämpfen wollen, haben es mitunter schwer, weil sie von Vorgesetzten entwaffnet, öffentlich bloßgestellt und demotiviert werden.
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