Es gibt Aspekte des deutschen Arbeitskräftemangels, die mich erstaunen. Gerade wird wieder eine Werft „gerettet“, die – so heißt es – eine großartige Belegschaft hat, vermutlich Fachkräfte für viele Aufgaben. Hat nicht gerade auch ein Kaufhauskonzern gerettet werden müssen, obwohl auch der Handel Fachkräftemangel meldet?
Gewundert hat mich, wie man die willigen und ökologisch bewussten Bahnkunden ein 49€-Ticket bietet, die Länder zwingt, 1,5 Mrd. €(?) Zuschuss zu zahlen, die dieses Geld dann bei der Kinderförderung (Kindergärten, Schulen) einsparen müssen. Die 1,5 Mrd. vom Bund sind darüber hinaus ja auch nur vorhanden, weil sie dort anonym von Bereichen abgezogen werden, die alle unterfinanziert sind, z.B. eben bei der Verkehrsinfrastruktur und eigentlich in jedem Ressort, auch bei Bundeswehr und Ukrainehilfen. Natürlich fehlt eben dieses Geld, um den Bahnen ein ausreichendes Angebot und gute Trassen zu sichern. So droht als Folge, dass man doch wieder das Auto nimmt, weil der Zug oft weder pünktlich noch überhaupt kommt. Und das alles, weil man dem willigen Bahnfan nicht zumuten will zu bezahlen, was es wirklich kostet. Das ist so absurd, dass man sich nicht über die FDP-Lösung wundern sollte, endlich das Auto und das Parken wieder billiger zu machen – wahrscheinlich stammt dies Konzept von einem ratlosen Satiriker, nur dass die liberale Kreativkommission das nicht bemerkt hat.
Wundern wir uns weiter: wieso muss man jetzt schon (!) Mrd. Subventionen für Stahlproduktion mit grünem Wasserstoff unter anderem an einen Konzern zahlen, der offenbar schon heute zu viele Standortnachteile in Deutschland hat. Bindet die Regierungs-Subvention nicht auch da dringend anderswo gebrauchte Fachkräfte? Wird der Stahlstandort besser, wenn er auch noch das Reduktionsmittel Wasserstoff aus Australien oder Chile beziehen muss? Könnte man sich nicht erst einmal auf die Dekarbonisierung des Stroms konzentrieren, dann des Verkehrs und der Gebäude, zwei Sektoren, die ja den Stromverbrauch erheblich vergrößern werden? Wer alles auf einmal beginnt, wird wahrscheinlich mit nichts fertig!
Mich wundert auch die Milchmädchen-Begeisterung für Fachkräfteimport. Wo ist die Studie, die mal ausrechnet, wieviel Fachkräfte wir zusätzlich brauchen, um die importierten Fachkräfte mit Wohnungen, Gesundheitsdiensten, Kinderbetreuung, Sprachunterricht und vielem anderen mehr zu versorgen? Ganz ignorieren kann ich auch nicht, dass unglücklicherweise die Stabilität unserer Demokratie von quantitativ starken Bevölkerungsanteilen und Parteien gefährdet scheint, die Angst vor Fremden bis hin zu Hass und Gewaltbereitschaft haben oder schüren.
Und dann noch zur berüchtigten Schuldenbremse, die für so viele Defizite öffentlichen Handelns verantwortlich gemacht wird. Damit ich nicht ins falsche Eck sortiert werde, sage ich lieber gleich, dass ich für eine Schuldenbremse bin, aber doch nicht für eine Verschuldungsquote von 60% des Bruttoinlandsproduktes oder darunter. Wenn Deutschland eine Verschuldung von etwa 80% BIP anpeilen würden, wäre es immer noch strahlender Musterschüler im EURO-Raum. ABER: es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Produktionspotential, insbesondere um jene fehlenden Arbeitskräfte, die Thema dieses Beitrags sind. Die Aufhebung oder nur „Hebung“ der Schuldenbremse schafft keine Altenpflegerinnen, keine Dachdecker, keine Landärzte und keine Lehrer u.s.w. Wirklich lustig wird es, wenn der Arbeitskräftemangel am Bau mit 100 Tausend Importkräften behoben werden soll, die doch nur in die 400.000 fehlenden Wohnungen einziehen können.
So deute ich denn in meiner Verständnislosigkeit das Ergebnis der zahl- und streitreich „Haushaltsrunden“ der Ampel als verzweifelten Versuch, Finanzierungslücken so zu schließen, dass möglichst nicht auffällt, wo sie hingeschoben werden. Beispiel: man will der Bahn eine Eigenkapitalerhöhung bieten und bemerkt erst an der Reaktion der Wirklichkeit, dass dann die Trassenpreise Geld ganz woanders einsammeln müssen, etwa im ÖPNV oder wiederum bei den Schulen oder der Polizei, wo halt die Länder dann hinfassen müssen. Ganz genial ist da der Gegenvorschlag der Länder, der Bund müsse doch nur die Zuschüsse für die Länder so erhöhen, dass diese dann dem Bund die Trassenpreise bezahlen können. Und apropos globale Minderausgabe. ich war einmal Ministerialbeamter und weiß, dass das in gewissem Umfang vertretbar und praktikabel ist – in „gewissem Umfang“, aber doch nicht in beliebiger Höhe; denn das ist ja auch nur wieder ein Verschieben der Lücken in intransparente Kürzungen, die man aus Angst vor Wählerprotesten nicht nennen mag.
Wenn ich also als nüchterner Physiker Revue passieren lasse, was ich alles nicht verstehe, ahne ich zumindest den Grund: wir haben uns wesentlich mehr vorgenommen, teilweise sogar ins Grundgesetz oder Fachgesetze geschrieben, als wir zu leisten willens oder fähig sind. Und die Regierungen der letzten Jahrzehnte haben dem Bürger die schöne Illusion gestattet, dem privaten Konsum gehöre die Verteilungspriorität, öffentliche Infrastrukturen reparierten und modernisierten sich von selbst – Abschreibungen fänden nur in Buchhaltungen statt, nicht in Form von Verfall von Brücken und Gleisen.
Um nach dem Untertitel mit einem weitere Halbzitat von Bert Brecht zu schließen: Wenn der Regierung die Bevölkerung wegen mangelnder Arbeitskapazität missfällt, muss sie diese halt ab wählen und sich ein tüchtigeres Volk suchen.