Wenn eine Reform des Asylrechts auf der Tagesordnung steht, ist Wachsamkeit geboten. Das lehrt ein Blick zurück auf die Einschränkung des Asylrechts im Grundgesetz vor 30 Jahren. Am 26. Mai 1993 stimmte der Bundestag mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit für den so genannten Asylkompromiss. Kritiker sprachen damals von einer faktischen Abschaffung des bis dahin vorbildlichen Asylrechts.
Unter dem Eindruck der menschenverachtenden Erfahrungen im Nationalsozialismus hatten die Mütter und Väter des Grundgesetzes kurz und bündig formuliert: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Das ist Geschichte. Mit Konstrukten wie der Drittstaatenregelung und sicheren Herkunftsländern hat sich Deutschland Asylbewerber vom Hals geschafft. Und nun sind die Begriffe in der aktuellen Debatte über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wieder von zentraler Bedeutung.
Anfang Juni beraten die Innenminister*innen der Europäischen Union über das Reformvorhaben, und offenbar stehen die Zeichen auch dort auf Abschottung. Die Position der Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag noch bessere Standards für Asylverfahren in Aussicht gestellt hatte, hat mehr als 50 zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen alarmiert. In einem gemeinsamen Appell kritisieren sie die Vorschläge, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei dem Treffen im Gepäck haben wird.
Die drei evangelischen Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen warnen vor einer Beschädigung des Rechsstaats und einer Verschärfung der bereits existierenden Probleme des europäischen Asylsystems. Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland sagt: „Europa versteht sich selbst als Hort grundlegender Menschen- und Freiheitsrechte und versagt zugleich schändlich darin, sie verlässlich und großzügig denen zu gewähren, die sie am nötigsten brauchen. Wer wir sind und was uns die Werte wert sind, zeigen wir auch und gerade am Umgang mit Geflüchteten.“
Am Bündnis beteiligt sind ferner zum Beispiel terre des hommes, Ärzte ohne Grenzen, AWO, Caritas, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Brot für die Welt, Amnesty International, PRO ASYL und die ärztliche Friedensorganisationen IPPNW. Gemeinsam kritisieren sie in dem Appell: „Anstatt sich dem Trend der Entwertung europäischer Grund- und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze entschieden entgegenzustellen, signalisiert die Regierung mit ihrer Position die Bereitschaft, diesen Weg, um jeden Preis mitzugehen.“
Durch die beabsichtigte Zustimmung der Regierung zu verpflichtenden Grenzverfahren sei zu erwarten, dass Standards bei der Prüfung von Schutzgesuchen in der EU stark abgesenkt würden und keine fairen Verfahren mehr möglich wären. IPPNW-Vorstandsmitglied Carlotta Conrad kritisiert das scharf: „Die geplanten, verpflichtenden Grenzverfahren sind Schnellverfahren, die mit rechtstaatlichen Prinzipien unvereinbar sind.“ Sie verfolgten das Ziel, „möglichst viele Schutzsuchende abzuweisen“. Die humanitären Missstände an den Außengrenzen würden sich durch die Festsetzung der Schutzsuchenden in geschlossenen Haftzentren an den Grenzen weiter verschlechtern.
Zudem fordert der Appell die Bundesregierung dazu auf, die Absenkung der Anforderungen an sogenannte „sichere Drittstaaten“ nicht zu unterstützen. Damit breche sie ihr Versprechen, jedes Asylgesuch inhaltlich zu prüfen. „Asylanträge könnten so pauschal als unzulässig abgelehnt und Schutzsuchende ohne inhaltliche Prüfung ihres Schutzbegehrens in einen Drittstaat abgeschoben werden“, heißt es in dem Appell.
Darin fordern die Organisationen die Bundesregierung außerdem dazu auf, sich gegen eine Weiterführung des gescheiterten Dublin-Systems auszusprechen. Das sieht vor, dass Asylanträge in dem zuerst erreichten EU-Land gestellt werden. Damit bliebe die Durchführung von Asylverfahren „weitgehend bei den Außengrenzstaaten, was schon jetzt zu ihrer Überlastung, der Nichtanwendung von bestehenden Regelungen und zu starken Verzögerungen beim Zugang zum Schutz, sowie gravierenden Menschenrechtsverletzungen führt“.
„Wir sehen schon heute, wie Menschen in gefängnisartigen Einrichtungen gehalten werden und ein menschenrechtswidriges Asylverfahren durchlaufen ohne Perspektive und Chance auf einen Aufenthalt“, berichtet Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Er war vor einem Jahr in Griechenland auf der Insel Kos und besuchte dort auch das Hot-Spot Lager Pyli.
Neben den Grenzverfahren kritisieren die drei Landeskirchen und die unterzeichnenden Organisationen in der Erklärung auch die geplante Ausweitung des Konzepts der „sicheren Drittstaaten“. Setze sich ein solcher Vorschlag durch, könnten Schutzsuchende ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in ein außereuropäisches Land abgeschoben werden, in dem sie möglicherweise nicht sicher seien. Voraussichtlich werde dies auch die Gefahr von völkerrechtswidrigen Kettenabschiebungen in Herkunftsländer wie Syrien oder Afghanistan massiv erhöhen.
Der Umgang mit den ukrainischen Geflüchteten seit dem letzten Jahr zeige aber, dass eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik möglich sei, erklärt Carlotta Conrad. „Die positive Erfahrung mit der vereinfachten Aufnahme ukrainischer Geflüchteter könnte ein Wegweiser für einen modernen Flüchtlingsschutz sein, etwa bezüglich Unterbringung, Arbeitserlaubnis und dem Zugang zur Gesundheitsfürsorge.“