Für Anton Wirmer ist es Pflicht, Mahnung und Erinnerung zugleich. Seit mehreren Jahren hat der 84jährige Theologe und Jurist zusammen mit anderen Nachfahren der Hitler-Widerständler um Graf von Stauffenberg in der Berliner Gedenkstätte Plötzensee derer aus ihren Familien gedacht, die dort am 8. September 1944 ermordet wurden. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli wurden sie in Schauprozessen zum Tode verurteilt und schon wenige Stunden nach dem Gerichtsentscheid hingerichtet.
Sein Vater Josef Wirmer, bekennender Katholik und Zentrums-Politiker, war einer von ihnen. Der 1901 in Westfalen geborene Wirmer gehörte zum Widerstandskreis.
Der westfälische Jurist war von Beginn an ein strikter Gegner des Nazi-Regimes. Schon 1932 machte er als Kandidat für den Preußischen Landtag Wahlkampf gegen Hitler und die NSDAP und warnte eindringlich vor den Gefahren eines solchen Wegs.
In den Jahren danach hatte er viele Kontakte zu verschiedenen Widerstandskreisen. Daraus entwickelte sich mit der Zeit eine Widerstandsgruppe, die breitere Bereiche der Gesellschaft umfasste. In ihr waren neben Vertretern des Zentrums und Gewerkschaftlern wie Jakob Kaiser und Wilhelm Leuschner auch Konservative wie Carl Friedrich Goerdeler vertreten. Bei einem Erfolg des Attentats sollte Josef Wirmer Justizminister in einem Kabinett Goerdeler werden.
Sein Sohn Anton, das jüngste der drei Wirmer-Kinder, ist einer der Nachfahren, die der Autor Tim Pröse in seinem Buch „Wir Kinder vom 20. Juli“ ausführlich porträtiert und nach ihren Einschätzungen zur notwendigen Beschäftigung mit der Widerstandsbewegung von damals für die heutige Debatte über den weltweit zunehmenden Populismus und Rechtsextremismus befragt hat.
„Fast 80 Jahre lang war Frieden“, beschreibt der in Köln lebende Jurist im Gespräch mit Pröse, „und wir haben gedacht, das würde immer so weitergehen. Jetzt merken wir, es kann auch anders sein. Und wir spüren, dass wir etwas tun müssen, damit es so bleibt und sich nicht wieder Unrecht und Gesetzlosigkeit breit machen.“
Mit dieser Warnung ist Anton Wirmer ganz und gar in der Tradition seines Vaters, der von Beginn an den Parolen der Nazis misstraute und sie bekämpfte. Für ihn waren die ungeheuerlichen Verbrechen der damaligen Zeit das Böse an sich. Der Einsatz für Recht und Gesetz wurde auch für den Sohn zu einem wichtigen Lebensinhalt. Nach abgeschlossenen Studien in Theologie und Jura war er in der alten Bundeshauptstadt Bonn mehrere Jahre Büroleiter von Arbeitsminister Norbert Blüm. Danach leitete er verschiedene Bereiche im Ministerium und wurde später unter Helmut Kohl Leiter der Abteilung 3 im Kanzleramt – zuständig unter anderem für die Sozialressorts.
Für Anton Wirmer, der nach seiner Pensionierung noch viele Jahre als Rechtsanwalt arbeitete, steht der 20. Juli für einen Aufstand des Gewissens, für ein Aufbegehren gegen Rechtlosigkeit und Unterdrückung. „Es waren, wie wir heute wissen, nicht wenige, die damals aufgestanden sind“, betont Wirmer. Und weiter: „Sie kamen aus allen Teilen und Schichten der Bevölkerung und verschiedenen politischen Richtungen. Auch für Stauffenberg war die Kooperation mit dem zivilen Widerstand wesentlich. Ziel war die Bildung einer Einheitsfront der Opposition mit einem möglichst breiten politischen Spektrum.“
Die Erinnerung daran lebendig halten, das ist der Antrieb für Wirmers Engagement. So war er selbstverständlich dabei, als zum 80. Jahrestag des gescheiterten Attentats in Warburg, der Heimatstadt der Wirmer-Familie, der Toten des Widerstands gedacht wurde. Die westfälische Hansestadt hatte schon sehr früh nach dem Ende der Naziherrschaft Josef Wirmer und alle Opfer des Widerstands durch die Errichtung einer Gedenkleuchte gewürdigt.
Neben NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach dort auch Anton Wirmer und mahnte eindringlich: „Wir stehen heute in der Verantwortung. Gedenken allein reicht nicht. An uns liegt es jetzt, dafür zu sorgen, dass so etwas wie damals in unserem Land nie mehr passieren kann.“
Gegen das Vergessen! Dafür sei die Gedenkstätte Plötzensee ein wichtiger Ort, „der Ort, an dem ich noch heute am stärksten etwas davon spüre, was die Menschen damals bewegt und in den Widerstand geführt hat. Vor allem aber ist es für mich ein Ort unendlich tapferer Männer und Frauen, Sie haben alles getan, was sie tun konnten. Sie haben sogar alles gegeben, was sie hatten. Sie haben den Stab an uns weitergereicht.“
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