Eva Umlauf wurde als Eva Hecht 1942 im berüchtigten slowakischen Arbeitslager für Juden, Novaky, geboren, im Alter von zwei Jahren wurde sie als eine der Jüngsten im KZ Auschwitz befreit. Am 27. Januar 1945, dem Tag der Befreiung durch die Rote Armee, hatte ein jüdischer Arzt ihrer Mutter prophezeit: „Vergessen Sie das Kind, es wird nicht leben.“ Das Kind sah todkrank aus, mager, ja dürr, eingefallenes Gesicht. Später, als sie gesund geworden war, zeigte die Mutter dem Arzt ihr Kind. Das Trauma des Terrors sollte ihr Leben bestimmen. Heute sagt sie, was sie nie für möglich gehalten hätte: „Antisemitismus war immer da, aber jetzt ist er salonfähig geworden. Er ist laut geworden. Das ist etwas, was mir Angst macht.“ Nicht nur ihr.
Sie hat als Erwachsene mit über 70 Jahren ihr Leben aufgeschrieben, auch das im Konzentrationslager, was schwierig war, denn ein Kleinkind versteht manches nicht, bekommt es nur nebulös mit, die Spuren ihres frühen Lebens konnte sie nur entdecken mit Hilfe anderer Zeugen aus Auschwitz, dem schlimmsten Ort auf der Welt, ein Todesort, von den Nazis in Polen ausgesucht als Mordanstalt, unweit vom schönen Krakau, nur 60 Kilometer entfernt. Sie erlebte zusammen mit ihrer Mutter erst die braune, dann die rote Diktatur. Seit vielen Jahren lebt die Frau in München.
A26959, eingespritzt von einem Nazi-Arzt in Auschwitz. „Die Nummer gehört zu mir wie jedes Muttermal“, räumt sie ein. „Die Nummer ist mein ganz persönliches Mahnmal.“ Worte von Eva Umlauf, die ihrer Autobiographie den poetischen Titel gab: „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen.“ Ich bewundere Holocaust-Überlebende, dass sie und wie sie über ihr Leben, dem Überleben in einer Todesfabrik wie Auschwitz schreiben. Dass sie wie Eva Umlauf in Schulen gehen, um Schülerinnen und Schülern zu berichten, was eigentlich unglaublich ist. Aber was als Erinnerung behalten werden muss, damit es nicht vergessen wird. Es beschreibt nur zu ungenau, wenn man feststellt, dass die Nazis die Jüdinnen und Juden in Auschwitz wie Tiere behandelten, sie vergasten, sie erschlugen, sie erschossen, ihre Babies ins Feuer warfen oder in Starkstromzäune. Und dass diese Mörder ihren Spaß daran hatten.
Eva Umlauf hat die Geschichte ihres Lebens aufgeschrieben, berührend, den Leser mitnehmend auf diese Reise ins Dunkle, erschütternd ihre Darstellungen, wie sie lebten, was sie erleiden mussten, kaum zu essen hatten, bei Minus 20 Grad froren, aber überlebten. Dazu erforschte sie ihre Vergangenheit, ihre Geburt im Arbeitslager, wie sie nach Auschwitz kamen Ende November 1944, als die Nazis die Gaskammern schon abgestellt hatten und damit begannen, diese in die Luft zu sprengen. Sie wussten, weil sie den Lärm der Raketen und Panzer hörten, dass die Rote Armee näher kam. Also wurden Beweise für die Verbrechen verbrannt. Eva Umlauf beschreibt ihren gemeinsamen Lebensweg mit ihrer Mutter, ihre spätere Karriere als Ärztin.
Auch wenn sie sich kaum an Auschwitz erinnern kann, bestimmen die Erlebnisse ihr weiteres Leben. Man selbst versucht sich an das Ende des Krieges erinnern, es sind nur Fetzen vorhanden, die man zu einem Stück zusammenfügen muss, verbunden mit den Erzählungen der anderen, der Großen, der Geschwister, der Eltern. So war es bei mir, Jahrgang 1941.Die Vergangenheit ruhte für Jahrzehnte in Umlaufs Kopf, erst ein Herzinfarkt im Jahre 2014 veranlasste sie, über die Geschichte der Familie nachzudenken, darüber zu recherchieren. Und so kam alles zusammen, die Geburt in der Slowakei, das Verschlepptwerden nach Auschwitz in einem der berüchtigten Deportationszüge, ohne Heizung, Toilette, ohne Essen, dann das Leben im KZ, die Befreiung, die weitere Kindheit, Jugend und Studium in der kommunistischen CSSR. Mitte der 60er Jahre heiratete sie einen anderen Holocaust-Überlebenden, sie siedelte um nach München. Bayern ist damals konservativ wie die Nacht finster, Frauen gehörten mit Kindern in die Küche, an den Herd und Sonntags in die Kirche, der Mann war der Ernährer. Est nach dem Unfalltod ihres Mannes durfte sie als Kinderärztin und später als Psychotherapeutin arbeiten. Als Jüdin stieß sie gelegentlich auf Ablehnung, die meisten Deutschen beschäftigten sich nicht mit ihrer braunen Vergangenheit. Erst mit der WDR-Holocaust-Serie im Fernsehen 1979 änderte sich das. Plötzlich wurde das Thema aktuell, rückte es ins Zentrum der Familien, Enkel fragten ihre Großväter, was sie denn damals gemacht hätten, ob sie in der NSDAP gewesen wären und wie sie sich zu den Jüdinnen und Juden verhalten hätten. Ich erinnere mich ziemlich genau an die Serie, die mich veranlasste, als Redakteur der WAZ in die Oberklasse eines Gymnasiums zu gehen, um mit den Primanerinnen und Primanern über den Film zu diskutieren.
Mich würde interessieren, wie die Schülerinnen und Schüler heute über die Nazi-Zeit reden, was sie wissen. Und wie sie stehen zu Behauptungen eines AfD-Politikern wie Gauland, der die Nazi-Zeit als einen Vogelschiss in der auch so ruhmreichen deutschen Geschichte abgetan hat. Oder was sie zu einem wie Björn Höcke sagen, dem thüringischen AfD-Chef, der vor Jahren die Holocaust-Gedenkstätte am Brandenburger Tor in Berlin eine Schande genannt und der eine 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur gefordert hatte. Mich würde interessieren, wie Schülerinnen und Schüler zu Deportationsplänen für Deutsche mit Migrationshintergrund stehen, die vor Monaten in einem Potsdamer Hotel in Anwesenheit von AfD-Mitgliedern diskutiert worden waren, was sie sagen zu dem völkischen Gedankengut der Gaulands, Höckes und Weidels. Dazu, dass die AfD dieses demokratische System in Deutschland ablehnen, dass sie die EU zerstören wollen? Mich wundern die Sorgen von Eva Umlauf nicht, auch nicht die von Margot Friedländer und all der anderen hier lebenden rund 100000 Deutschen jüdischen Glaubens. Die AfD sitzt in allen deutschen Parlamenten und im Europa-Parlament, sie ist in ostdeutschen Ländern sie Sachsen, Thüringen und Brandenburg in Umfragen so stark geworden-meist bei 30 Prozent-, dass die AfD- Parteiführung davon ausgeht, Regierungen zu bilden und Ministerpräsidenten zu stellen. Das mit dem „salonfähig“ ist keine jüdische Erfindung. Demokraten sind gewarnt, Deutschland braucht eine wehrhafte Demokratie. Die AfD kann keine Alternative sein, sie ist zwar demokratisch gewählt, aber die AfD-Politiker sind keine Demokraten, denen das Grundgesetz heilig ist, der Schutz von Minderheiten, die Freiheit der Presse, die Würde des Menschen, also auch die des Ausländers und nicht nur des Deutschen, nicht nur des Christen, sondern auch des Juden, des Moslems, aller Menschen.
Der Titel des Buches entstammt dem Gedicht eines Jugendfreundes, Jan Karsai. Eva Umlauf ist später wieder nach Auschwitz gefahren, viermal insgesamt. 2011 hält sie dort am Jahrestag der Befreiung, also am 27. Januar, eine Rede. Und sie beschreibt, was sie empfand, als sie dort stand. „Man spürt diesen Ort, man spürt diese Kälte, man spürt diese Leere. Das ist schrecklich, hat eine unheimliche Wirkung.“ Das Buch sollte Pflichtlektüre an deutschen Schulen werden. Wie der Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz zum Pflichttermin eines jeden deutschen Schülers werden sollte.
Eva Umlauf(mit Stefanie Oswald): Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen. Verlag Hoffmann und Campe. Hamburg. 5. Auflage 2024. 285 Seiten. 14 Euro. 978-3-455-01130-2.