In weniger als einem Jahr wird regulär der neue Bundestag gewählt. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob die völlig aus den Fugen geratene Ampel aus SPD, FDP und Grünen bis zum geplanten Ende der Legislaturperiode durchhält. Der neueste Höhepunkt der Streit-Koalition: Kanzler Scholz von der SPD und sein Finanzminister Lindner von der FDP laden am selben Tag (!!) zu getrennten Wirtschaftsgipfeln ein.
Geht’s noch? Wer das als „Kindergarten“ oder „Theater“ bezeichnet, versündigt sich mit diesen unpassenden Vergleichen entweder am Gedanken der frühkindlichen Pädagogik oder am Kulturbetrieb. Im Ernst: Selbst Wohlmeinende können dieses würdelose Regierungs-Gewürge kaum mehr ertragen. Macht endlich Schluss, möchte man den Akteuren zurufen.
Tatsächlich können Neuwahlen durchaus wie ein Befreiungsschlag wirken. Wenn etwas so festgefahren ist wie die Politik dieser Ampel, wenn die Mehrheit für die Regierung von einem um sein politisches Überleben kämpfenden und sich selbst überschätzenden Neoliberalen wie Lindner abhängig ist, dann ist jede Hoffnung auf Besserung beim Bündnis nur noch Selbstbetrug.
Tatsächlich wäre es ein Akt der Befreiung, wenn Scholz endlich den penetranten Provokateur Lindner aus der Regierung werfen würde. Der Beifall eines Großteils der Wähler wäre ihm gewiss – verbunden mit der Hoffnung, die Lindner-FDP möge bei den nächsten Wahlen abgestraft werden und nicht wieder in den Bundestag einziehen.
Lindner bettelt um Rauswurf
Auf der anderen Seite bettelt Lindner ja geradezu um seinen Rauswurf. Er möchte vor der klassischen FDP-Klientel als Held dastehen, als Gralshüter der freien Marktwirtschaft, als Verteidiger der Schuldenbremse, als Anwalt der „Leistungsträger“ – egal, wie schlimm sich diese Politik auch immer auf die Mehrheit der Bürger auswirkt. Lindner hat erkannt: Nur mit dieser Legende könnte er bei den dann nötigen Neuwahlen als tapferer Verteidiger liberaler Werte auftreten, als Held, der sich für die Idee der Freiheit geopfert hat. Doch inzwischen, so ist zu hoffen, haben viel zu viele Wähler dieses Schmierentheater Linders durchschaut.
Doch trotz der Möglichkeit, sich in absehbarer Zeit eine neue Regierung zu wählen, ist die Stimmung gerade auf der linken Seite des politischen Spektrums gedämpft. Denn was nach den Wahlen kommt, verspricht nicht besser zu werden. Im Gegenteil, es droht noch wesentlich Schlimmeres: Eine Wahl, die am Ende den Erzkonservativen Friedrich Merz von der CDU zum Kanzler macht, bereitet schon jetzt vielen Bürgern im Lande Bauchschmerzen. Völlig zu Recht: Allein, was Merz in letzter Zeit zu den Themen Migration und Ukraine-Krieg von sich gegeben hat, lässt Schlimmes befürchten: Alle Grenzen zu, um Flüchtlinge abzuwehren – was würde das für Europa bedeuten, für die EU, für Wirtschaft und Freizügigkeit? Oder: Ein 24-Stunden-Ultimatum an den Atomraketen-Mann Putin? Der wartet doch nur auf solch großspurige Ankündigungen: natürlich wird Putin auf dieses Maulheldentum nicht reagieren. Und dann? Die ersten Raketen auf Moskau? Wollen wir die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik wirklich einem Mann anvertrauen, der den Kanzler Scholz ob dessen vorsichtiger Haltung im Ukraine-Konflikt in Macho-Manier „Angst“ unterstellt.
Die Aussichten aber, dass es nach der nächsten Wahl ein irgendwie geartetes Bündnis links der Mitte in Deutschland geben könnte, sind zurzeit extrem gering. Die SPD ist viel zu farblos als dass sie attraktiv für eine breite Mehrheit wäre. Es wird nicht reichen, sich vor den Wahlen allein als kleineres Übel gegenüber der Merz-CDU zu präsentieren. Die „kleinen Leute“, auf die die SPD über Jahrzehnte zählen konnte, sie haben zum Großteil längst das Vertrauen in die Sozialdemokraten verloren.
Es fehlen: Mut, Ideen, Aufbruch
Und die Grünen? Die sind nach ihrem Hoch vor einiger Zeit in den Jahren der Ampel brutal abgestürzt. Zum Teil durch eigene Fehler (etwa beim „Heizungsgesetz“), zum großen Teil aber auch durch Verhetzung: Welchen Kübel an Häme, Spott und Verleumdungen namentlich Merz und CSU-Chef Söder seit Monaten über die Grünen auskübeln, das hat mich berechtigter Oppositions-Kritik nur wenig zu tun. Dass vor allem die Springer-Presse und die „sozialen Medien“ sich in unverantwortlicher Weise in Diffamierungs-Kampagnen gegen alles Grüne suhlen, befeuert die vor allem im Osten teils pogromartige Stimmung gegen Öko-Politiker und -Politikerinnen weiter.
Die Suche vieler Wähler nach politischen Alternativen jenseits der rechtsextremen AfD hat das BSW, das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ in rasantem Tempo wachsen lassen. Doch wer immer auf der Seite der politischen Linken Hoffnung auf dieses Bündnis gesetzt hat, der muss sich schon jetzt ge- und enttäuscht sehen. Namentlich Wagenknecht selbst positioniert sich in der Migrations- und auch in der Ukraine-Politik so weit rechts, dass sie von der AfD kaum zu unterscheiden ist. Sich mit dieser Egomanin einzulassen bedarf schon einer großen Risiko-Bereitschaft. Auf Bundesebene ist das fast undenkbar.
Dass es die SPD noch einmal schaffen könnte, das Ruder vor den Wahlen herumzureißen wie 2021, halten die meisten Beobachter für nahezu undenkbar. Wobei ein CDU-Kanzlerkandidat Merz eigentlich ein idealer Kandidat für die Sozialdemokraten sein müsste: ein Mann von gestern, der viele Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund abschreckt. Dafür aber bräuchte es auf SPD-Seite einen Kandidaten – oder besser eine Kandidatin, die oder der den Menschen in schweren Zeiten wie diesen mit Krieg in Europa und einem erschreckenden Rechtsruck in vielen Ländern Halt bietet, die oder der Mut und Hoffnung macht. Nach drei Jahren unter einem Kanzler Scholz kann man nur sagen: Er ist es jedenfalls nicht!
Es bleibt dabei: Stand heute sind nach der kommenden Bundestagswahl im demokratischen Spektrum allein eine Große Koalition unter CDU-Führung oder ein schwarz-grünes Bündnis denkbar. Beides mit Merz als Kanzler. Für jeden Wähler links der Mitte eine gruselige Vorstellung. Gibt es noch den Willen, die Kraft und die Ideen, das zu verhindern? Wo bleibt der Aufbruch? Oder zumindest der ernsthafte Versuch dazu? In den beinharten Arbeitskämpfen der Stahlarbeiter im Ruhrgebiet lautete früher die Losung: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Damals hörte man diese Sätze auch von der SPD, die Seite an Seite mit den Stahlarbeitern kämpfte. Und die an Ruhr und Rhein absolute Mehrheiten einfuhr.