Erinnern Sie sich an die Morandi-Autobahn-Brücke in Genua, die 2018 einstürzte, 43 Menschen das Leben kostete. Und zwei Jahre später war die Brücke, auf der der Verkehr auf der Autobahn zwischen Genua und Savona rollt, wieder aufgebaut. Die Brücke, die heute den Namen „San Giorgio“ trägt nach dem italienischen Stararchitekten Renzo Piano, ist Teil der Urlauberautobahn A10 „Autostrada dei Fiori“(Autobahn der Blumen) in Richtung Südfrankreich, in die Toskana, das Piemont und in die Lombardei. Ausgerechnet Italien, im Land der Siesta, hat so etwas in Windeseile geschafft, niemand in Deutschland hat das für möglich gehalten. Oder denken wir an Paris, an den Brand der Kathedrale Notre Dame 2019, das historische Bauwerk wurde schwer beschädigt. Frankreichs Staatspräsident Macron versprach den Wiederaufbau eines der Wahrzeichen der französischen Metropole binnen fünf Jahren und tatsächlich gelang die „Wiederauferstehung“ von Notre Dame, nach fünfeinhalb Jahren war die „nationale Wunde“(Macron) geheilt. 700 Millionen Euro hatten die Arbeiten gekostet, finanziert wurde das alles durch 340.000 Spenderinnen und Spender aus 150 Ländern aus aller Welt. 840 Millionen Euro kamen so zusammen. Die französische Zeitung „Liberation“ hatte Macrons Ankündigung noch als „Wunder“ angezweifelt. Die Welt staunte nicht schlecht.
Warum ich diese zwei Geschichten aufschreibe? Ganz einfach: Weil wir uns in Deutschland daran gewöhnt haben, dass alles lange dauert, länger als geplant, weil eine ausufernde Bürokratie kein Tempo zulässt, sondern Papiere fordert, auf denen alles und jedes genau festgelegt, vorgeschrieben wird, weil Behörden über Behörden entscheiden oder auch nicht, weil sie es an die nächste Behörde übergeben. Beispiele gefällig: Flughafen Berlin, die Elb-Philharmonie in Hamburg, die Beethovenhalle in Bonn, die in Kürze fertig werden soll. Jahre später und um vieles teurer als geplant. Ach ja, München habe ich vergessen. Die 2. Stammstrecke der U-Bahn, um Milliarden Euro teurer, auch weil alles Jahre länger dauert. Es möge bitte keine andere Stadt auf die genannten mit dem Finger zeigen, sie sind fast alle nicht besser. Wir haben uns ganz offensichtlich bequem eingerichtet. Eine Aufbruchsstimmung lässt so etwas nicht zu, Ärmel aufkrempeln, anpacken? Besser langsam gehen lassen.
Dass sich CDU, CSU und SPD in so kurzer Zeit auf Koalitionsvereinbarungen verständigt haben, hatten wir den drei Parteien, die doch gerade noch in einem harten Wahlkampf sich fast bis aufs Messer bekämpft hatten, nicht zugetraut. Die Wirtschaft hob die Augenbraunen ob des Tempos. Donnerwetter, hörte ich von mancher Seite. Und diese Seite hatte sich kurz zuvor auch darüber gewundert, dass diese drei Parteien sich darüber verständigt hatten, über eine Billion Euro Schulden aufzunehmen´, um die marode Infrastruktur-also Brücken, Straßen, Schulen, Hochschulen, Kitas, Digitalisierung- zu sanieren und die am Boden liegende Verteidigung-Gewehre, die nicht schießen, Flugzeuge, die nicht abheben, Panzer, die nicht rollen, Drohnen, die wir ebenso wenig nicht haben wie ausreichend Soldaten- wieder in Angriff zu nehmen. Hatten wir nicht die ganze Zeit die Schuldenbremse bemüht, die das alles nicht zuließ? Und plötzlich soll das gehen, sind Milliarden da, wo es früher hieß, geht nicht, zu teurer? Wie hießen noch die Bundesfinanzminister, die ob der schwarzen Null gepriesen wurden? Richtig, Schäuble, Lindner.
Es gehört Mut dazu
Prompt wurde Friedrich Merz von den eigenen Anhängern beschimpft, dass er im Wahlkampf versprochen hatte, sich exakt an die Schuldenbremse zu halten. Und jetzt das? Alles gelogen also. Unerhört. Dass der Unions-Kanzlerkandidat Merz seine Meinung geändert hat, ja. Weil er zur Einsicht gekommen ist, dass dies nötig ist, damit Deutschland wieder Anschluss gewinnt an die Konkurrenz? Warum eigentlich nicht. Es gehört Mut dazu, solche Riesenschritte zu wagen. Eine Billion Euro und wahrscheinlich noch mehr, das ist doch mindestens ein Dreifach Wumms, um mal an den glücklosen Altkanzler Olaf Scholz zu erinnern. Nur zur besseren Verständigung: Ich habe nicht die CDU gewählt, habe aber trotzdem die Kursänderung für richtig gehalten. Die Kritiker wandten sich dann der SPD zu. Die habe sich in den Gesprächen durchgesetzt. Der Schwanz habe mit dem Hund gewedelt, der große Wahlverlierer SPD habe den kleinen Wahlsieger CDU/CSU über den Tisch gezogen. Und so weiter, man kennt die Sprüche. Die SPD sei bekannt als Schuldenpartei, weil sie mit dem Geld nicht umgehen könne.
Wäre es möglicherweise an der Zeit, die alten Schützengräben zu verlassen und zum Beispiel darauf hinzuweisen, dass der Schuldenstand in allen anderen Ländern Europas viel größer ist, dass da also Luft nach oben ist? Warum sollen wir warten, bis die Infrastruktur völlig im Eimer ist, bis auch hier Brücken einstürzen wie damals in Genua? Denken wir an Lüdenscheid, die Autobahn-Brücke über die A45, Sauerland-Linie im Volksmund genannt. Die wurde vor Jahren gesperrt, weil sie nicht mehr sicher war, sondern einsturzgefährdet, sie ist längst abgerissen, der Wiederaufbau läuft. Aber er dauert Jahre länger als der in Genua. Darüber sollten wir diskutieren, herausfinden, was die Italiener besser machen, einfacher, damit es schneller geht. Wir hinterlassen der jungen Generation nicht nur Schulden, sondern eine funktionierende Infrastruktur, wenn endlich angepackt wird, wenn gehandelt statt nur schwadroniert wird. Wir brauchen gute, saubere, moderne Schulen, die unsere Kinder und Kindeskinder gern besuchen. Nebenbei brauchen wir mehr Lehrerinnen und Lehrer, kleinere Klassen. Dieses Land lebt davon, dass das Bildungs-Niveau möglichst hoch ist, es profitiert davon, wenn möglichst wenige Schülerinnen und Schüler die Schule abbrechen, wenn möglichst viele eine berufliche Ausbildung erfolgreich absolvieren.
Ja, es sind unruhige Zeiten. Wir haben Krieg in der Ukraine, weil in Moskau ein Präsident regiert namens Wladimir Putin, der offensichtlich nicht nur davon träumt, das alte Sowjet-Reich wieder zu errichten. Der hat mit Demokratie und freien Wahlen, mit Meinungs- und Pressefreiheit nichts im Sinn. So ähnlich tickt ja wohl auch sein Pendant in Washington, der mit Dekreten regiert statt mit einem Parlament. Ja, Amerika bewegt sich weg von der freien Welt des Westens, weil ihr Präsident autokratische Züge an sich hat und macht, was er für richtig hält, auch wenn fast alle Wirtschafts-Experten ihn vor dieser Zollpolitik warnen, weil sie schädlich ist und alles verteuern wird-auch in den USA. Aber Trump denkt ja nur an sich und dann vielleicht noch an die Mehrung der Einkommen seiner Milliardärs-Freunde. Es sind Herausforderungen, die gewaltig sind für die neue Bundesregierung. Ob die Koalitionsvereinbarungen ausreichen oder ob nachgesteuert werden muss, ist jetzt nicht zu sagen. Die Vereinbarungen sind ja auch nur ein Handlungsrahmen für die schwarz-rote Regierung, in welche Richtung es gehen soll.
Es braucht gewiss mutige Unternehmerinnen und Unternehmer, die auf Basis dieser neuen Möglichkeiten Ideen entwickeln und Arbeitsplätze, Manager, die anpacken, die in den Erfolg verliebt sind und nicht im Zerreden der Politik. Die mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Die USA sind kein verlässlicher Handelspartner mehr, das ist so. Deshalb müssen andere Partner in der Welt gesucht und gefunden, Warenströme anders geordnet werden., Die Regierung Merz/Klingbeil liefert den Rahmen dafür, sie kann und wird das unterstützen. Das „Made in Germany“ muss nicht als überholt im Archiv landen, aber modern gestaltet werden. Dazu gehörte früher der Erfindergeist, die Namen der Benz und Bosch- und wie sie alle heißen oder hießen-sind bekannt und haben Deutschland weltweit berühmt gemacht.
Es braucht Aufbruchsstimmung
Dieses Land braucht Aufbruchsstimmung. Ja. Wir müssen weg vom Zögern und Zaudern, davon, dass etwas nicht geht, weil wir Angst davor haben. Die „German Angst“, wie die negative Stimmung im Lande schon mal weltweit vor vielen Jahren beschrieben wurde. Weil viele Deutsche sich im Abstieg wähnen, die es gar nicht sind, die nur die Sorge umtreibt, ihnen drohe der Verlust des Jobs, des guten Einkommens, der schönen Wohnung oder des gepflegten Hauses, die Zukunft der Kinder sei gefährdet. Dem kann man entgegenhalten: die künftige Bundesregierung macht sich gerade mutig daran, dass dieses Land wieder anpackt, dass etwas geschieht. Dass das Made in Germany wieder ein Muster wird mit großem Wert. Die Vereinbarungen zwischen CDU, CSU und der SPD sind ein Kompromiss, ja was denn sonst? Niemand verfügt über die absolute Mehrheit. Überhaupt muss hier Politik über Parteigrenzen hinweg gemacht werden, möglichst für alle Deutschen, Familien wie Ledige, Frauen und Männer, Junge wie Alte, muss Integration intensiver betrieben werden, damit die Geflüchteten hier leben und arbeiten können mit ihren Familien, damit sie integriert werden. Sie werden gebraucht als Facharbeiter, als Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger, Mechaniker, Lehrerinnen und Lehrer, als Busfahrer und Lokführer. Es geht voran mit Deutschland, will die Vereinbarung der künftigen Regierung uns zurufen. Wir müssen mitmachen, anpacken. Deutschland ist nicht am Ende, es ist weiterhin die drittgrößte Volkswirtschaft in der Welt neben den USA und China. Das ist ein Pfund für ein Land mit rund 83 Millionen Einwohnern und über 46 Millionen Beschäftigten, so viele wie noch nie seit der deutschen Einheit.
Es gibt Probleme in diesem Land, zum Beispiel zu wenige und bezahlbare Wohnungen. Die Ampel-Regierung unter Scholz war an ihrem Ziel gescheitert, jedes Jahr 400000 Wohnungen bauen zu lassen. Die neue Regierung wird hier anpacken müssen, wird die Bürokratie, die dem Wohnungsbau im Wege ist, schlanker machen müssen. Weniger ist mehr muss hier gelten, weniger Regeln und dafür mehr schaffen. Es muss schneller gehen. In jeder Stadt gibt es Leerstand, der vielleicht saniert werden muss, eher er bezogen werden kann. Hauptsache, es passiert was. Überall gibt es Grundstücke, über deren Zukunft geredet und geplant wird. Da müssen wir ansetzen. Verhindern muss durch Bauen ersetzt werden. Das Leben ist teurer geworden, die Lebenshaltungskosten, die Kosten für Energie, das Essen, die Getränke, der Fahrweg zur Schule und zum Arbeitsplatz. Auch darum muss sich die Politik kümmern, nicht weil sich die Preise per Dekret von Berlin aus reduzieren ließen, sondern weil man daran arbeiten sollte und wohl auch will, die Steuerpolitik entsprechend zu gestalten. Und wenn es der Wirtschaft wieder besser geht, wird es auch den Beschäftigten wieder besser gehen, weil die Löhne und Gehälter steigen werden.
Der Ökonom Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts, betonte in einem langen Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ nach der Einigung von CDU, CSU und SPD über die Koalitionsvereinbarung: „Eine neue Weltwirtschaftskrise? Leider nicht auszuschließen.“. Und in einer anderen Zeile hieß es: „Die Unsicherheit bleibt bestehen“. Klar, nach den Unruhen an den Börsen durch die Zollpolitik von US-Präsident Trump. Fuest betont aber auch die Chancen für Europa trotz aller Risiken. Die Schulden-Finanzierung der künftigen Regierung lobt er sogar, die für die Verteidigung hält er „für sehr wichtig.“ Und er hofft, dass die neue Koalition „konstruktiv zusammenarbeitet“. Es sei „jetzt mehr Kompromissbereitschaft nötig“.
Eine Chance für Deutschland
Deutschland bietet sich eine große Chance, gerade nach dem Rückzug der USA sich zu erneuern, weil es sein muss. Und es hilft nicht, das Problem mit Amerika schönreden zu wollen. Es ist so und daran müssen wir uns orientieren, nicht gegen Amerika, sondern für Deutschland und Europa. Ja, es braucht Optimismus. Deutschland, und das wird begrüßt von unseren Nachbarn, muss mehr Verantwortung übernehmen, muss mit Frankreich, Großbritannien, Polen, Skandinavien, Italien, Spanien eine Führungsrolle in Europa tragen. Weil es sein muss. Es muss genauso sein, die eigenen Probleme im Inneren zu lösen, weil man daraus Stärke gewinnt, auch international an die Spitze zu treten. In Absprache mit den anderen europäischen Partnern.
Der Weg wird länger sein, wir müssen die Ärmel hochkrempeln. Aber die Zweiflern, die immer wieder nichts ausschließen wollen, weil sie Angst vor diesem oder jenem haben, darf man an die Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs erinnern, als fast alles am Boden lag und Deutschland zudem noch moralisch mehr als angeschlagen war wegen der Hitler-Diktatur. Damals haben unsere Mütter und Väter den Wiederaufbau und dazu eine werteorientierte Demokratie geschaffen, die die Basis der heutigen Bundesrepublik sind. Darauf darf man stolz sein und diese wehrhafte Demokratie gilt es gerade heute mit allen Mitteln zu verteidigen. Ja, es gehört Optimismus dazu, weil der neue Mann am Steuer des Schiffes Deutschland Friedrich Merz ist, ein Mann ohne Regierungs-Erfahrung, der nie Minister und nie Ministerpräsident war. Lassen wir ihn (und seine künftige Regierung) doch erstmal anfangen, ehe wir ihm die Fähigkeiten absprechen. Alles andere wäre unfair. Und nicht demokratisch. Vertrauen wir ihm!
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