Angela Merkel bringt nichts aus der Ruhe. Seit Wochen schon zelebriert sie diese Mischung aus Gleichmut und Langeweile, die ihr den wenig charmanten Beinamen der „Teflonkanzlerin“ eingebracht hat. An ihr gleitet alles ab, vom Dieselskandal über die transatlantischen Verwerfungen bis hin zu den Stänkereien des türkischen Präsidenten Erdogan. Die Bundeskanzlerin schweigt oder sagt nichts mit vielen Worten. Ihr Auftritt vor der Bundespressekonferenz in Berlin wirkte wie eine Plauderstunde, obwohl sich die Journalisten um Aussagen redlich mühten. Angela Merkel ignorierte die kritischen Fragen, wich ihnen aus, ließ sie ins Leere laufen. Viel Lärm um nichts.
Das ist Wahlkampf nach ihrem Geschmack; denn so inhaltsleer und nichtssagend er daherkommt, die Amtsinhaberin „kämpft“ auf ihre Weise, sie setzt alles daran, nicht anzuecken, nicht Stellung zu beziehen, nicht noch überraschend in die Bredouille zu geraten. Die Umfrageergebnisse sprechen für sie, und die CDU-Vorsitzende baut darauf, ihren Vorsprung am 24. September routiniert über die Ziellinie zu retten. Diese Attitüde, die ideenlos und ausgebrannt erscheint, abgehoben, wie Herausforderer Martin Schulz es nennt, hat die Debatte darüber angefacht, ob es nicht vernünftiger sei, die Kanzlerschaft auf zwei Amtszeiten zu begrenzen. Wozu eigentlich will Merkel gewinnen, muss sich der geneigte Wähler fragen, wofür steht die 63-Jährige, die seit 2005 Kanzlerin ist? Welche Ambitionen hat sie, außer, wie Spötter meinen, die Rekordamtszeit von Helmut Kohl einzuholen?
Nein, Wechselstimmung hat das Land noch nicht ergriffen, doch Unzufriedenheit und Verdruss schallen der Amtsinhaberin bei ihren Wahlkampfauftritten in Thüringen, Sachsen, Bayern lauthals entgegen. Die Schreihälse von rechts außen disqualifizieren sich selbst. Doch nicht einmal in diese Auseinandersetzung geht Angela Merkel offensiv. Da schickt sich eine äußerst rechte Partei an, in den Bundestag einzuziehen, und die Kanzlerin ignoriert auch das.
Um jeden Preis Ruhe zu bewahren, sich als Fels in der Brandung zu inszenieren, den selbst in schweren Zeiten nichts aus der Fassung bringt, das ist die Devise hinter dem scheinbar langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten. Merkel selbst hatte, als sie sich zur nochmaligen Kandidatur entschloss, harte Auseinandersetzungen auf sich zukommen gesehen. Heute weicht sie allem aus. Ihr Amtsbonus hilft. Er gibt ihr auch auf der internationalen Bühne Gelegenheit, sich dem heimischen Wahlvolk in schmeichelnden Bildern als die Starke zu präsentieren, die den anderen sagt, wo es langgeht.
In der Flüchtlingsfrage zum Beispiel: vor zwei Jahren sagte Merkel „Wir schaffen das“. Sie erwarb sich damit Anerkennung beim politischen Gegner, machte sich in den eigenen Reihen viele Feinde. Sie hat sich von diesem Satz nicht distanziert, sie verteidigt ihn sogar aufrecht gegen Kritik, tatsächlich aber hat sie einen entgegengesetzten Kurs eingeschlagen und die europäischen Partner darauf verpflichtet. Abschottung um jeden Preis. Familiennachzug mal sehen. Ein Einwanderungsgesetz mit klaren Vorgaben und legalen Wegen rückt weiter in die Ferne.
Mehr inhaltliche Klarheit ist von Merkel auch im TV-Duell mit ihrem Herausforderer Martin Schulz nicht zu erwarten. Zumal das Kanzleramt den Sendeanstalten die Spielregeln vorgegeben hat und das Format es der Chefin erspart, sich überhaupt mal spontan zu positionieren. Bleibt zu hoffen, dass sich die Bedeutung der Wahl den entscheidenden Akteuren, den Wählern, noch vermittelt. Wahlen sind erst entschieden, wenn gewählt wurde. Und: Je höher die Wahlbeteiligung, desto geringer die Chancen der Rechtspopulisten.
Bildquelle: Wikipedia, Armin Linnartz, CC BY-SA 3.0
Sehr geehrte Frau Kappe,
ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Menschen in der Medienlandschaft sich zum Ziel gesetzt haben, Frau Merkel durch negative Darstellungen zu verunglimpfen und als unfähig darzustellen. Dabei sind die Vorwürfe nahezu identisch. Dabei möchte ich einmal sehen, wie die Kritikerinnen und Kritiker sich in diesem herausfordernden Amt bewähren würden. Klar, wer in der Opposition ist oder der schreibenden Zunft angehört, kann sich zu allem ganz konkret äußern und Pläne für die Zukunft vorlegen. Wer aber Realpolitik betreibt und täglich eine Unzahl von Entscheidungen zu treffen hat, muss sorgsam abwägen und auch das politische Umfeld in die Überlegungen einbeziehen. Es würde hier zu weit führen, meine Gedanken dazu detailliert darzulegen. Ich möchte nur ein Beispiel anführen: Türkei und Erdogan!
Wer nicht in der Verantwortung steht, hat leicht zu sagen, man müsste das Flüchtlingsabkommen kündigen, die Verhandlungen mit der Türkei abbrechen und v.a.m. Wer aber verantwortliche Politik über den Tag hinaus betreiben will, muss auch das Ende bedenken und die „Mitspieler“ in seine Überlegungen einbeziehen. Die aktuellen Probleme sind sehr komplex und einfach Antworten gibt es nicht. Wenn Frau Merkel hohe Zustimmungswerte hat, so liegt das sicher nicht daran, dass sie die Menschen in Trance versetzt hätte oder sie im Schlafwagen befördern würde oder was sich die schreibende Zunft sonst noch an Charakterisierungen einfallen lässt. Es liegt daran, dass die Menschen ihr vertrauen, weil sie unaufgeregt handelt, weil sie die möglichen Folgen des Handelns sorgfältig abwägt und frei von Skandalen ihren Weg geht, wobei sie sich dem Wohl des deutschen Volkes verpflichtet weiß. Dass auch sie nicht in der Lage ist, für jeden Menschen das Paradies auf Erden zu schaffen, den Weltfrieden zu schaffen, das Flüchtlingsproblem zu lösen und die vielen gegensätzlichen Wünsche verschiedener Interessengruppen zu erfüllen, liegt auf der Hand. Daraus ergibt sich, dass auch Kritik geübt werden kann und muss. Aber bitte fair und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Machtverhältnisse und der Komplexität der Probleme. Frau Merkel ist so wie sie ist und handelt auch so. Und das ist gut so. Würde sie sich verbiegen, den Menschen nach dem Mund reden, Effekte erheischen, dann würde sie ihren inneren Kompass verlieren und wäre der Gefahr ausgesetzt, zum Spielball divergierender Interessen zu werden. Das wollen wir doch sicher alle nicht.
Neulich sagte Robert Leicht, ehemaliger Chefredakteur der Zeit, in einer Diskussionsrunde mit Blick auf Frau Merkel und ihr Amt sinngemäß: Wenn wir – damit meinte er die Journalisten – auch nur einen Tag ihre Arbeit erledigen müssten, wären wir hoffnungslos überfordert.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Klein