Angela Merkel wird in dieser Woche, am 17. Juli, 60 Jahre alt. Die nationalen wie internationalen Huldigungen sind gewaltig. Seit langem führt sie die Popularitätsskala der Politikerinnen und Politiker der Republik an. Von mehr oder weniger renommierten Publikationen wurde sie mehrfach zur „mächtigsten Frau der Welt“ gekürt.
„Alle lieben Angela“ – so könnte der Titel eines bunten und wahrscheinlich aufregenden Filmstreifens lauten. Das unscheinbare Mädchen mit einer DDR-Biographie kam wie Phönix aus der Asche in die große Welt der Politik. Nach der Wende wurde sie als Mitglied des Demokratischen Aufbruchs mit einigem Rückenwind von Rainer Eppelmann für kurze Zeit die stellvertretende Regierungssprecherin des ersten frei gewählten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière. Nur wenige Monate später entdeckte Helmut Kohl diese DDR-Frau, die er lieber als andere mit einer DDR-Herkunft in die höchsten Gremien der CDU und nach der ersten Bundestagswahl im wiedervereinigten Deutschland als Ministerin für Frauen und Jugend in seine Regierung holte. Später beförderte Kohl „sein Mädchen“ ins Umweltministerium, wo sie Klaus Töpfer verdrängte.
In der Nach-Kohl-Ära fand Angela Merkel in Wolfgang Schäuble einen weiteren Protagonisten; er, ganz frisch zum neuen Parteivorsitzenden gekürt, machte sie zur CDU-Generalsekretärin. Damals kreierte sie den Slogan „Mitten im Leben“ für Ihre Partei; manche Christdemokraten ergänzten ihn biblisch mit dem Zusatz „sind wir vom Tode umfangen“.
In der Hochzeit der Parteispendenaffäre ergriff Angela Merkel die Initiative und schickte zunächst den CDU-Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl in die Verbannung und sägte kurze Zeit danach auch Wolfgang Schäuble mit einem weiteren Handstreich ab. Da weder Biedenkopf, Vogel oder Späth nach dem Parteivorsitz greifen wollten noch andere wie etwa Roland Koch, Christian Wulff oder Friedrich Merz, wurde Merkel mit großer Mehrheit an die CDU-Spitze gewählt.
Nicht wenige Christdemokraten waren enttäuscht, dass die neue CDU-Führerin bei der Bundestagswahl im Jahre 2002 dem forschen Edmund Stoiber von der CSU den Vortritt als Kandidat für das Kanzleramt überließ; einige ihr wohl gesonnene Politfreunde hatten ihr allerdings dazu geraten, zumal ihre Chancen gegen den Populisten Gerhard Schröder damals eher schlecht waren.
Bekanntlich scheiterte Stoiber, zog sich in den Freistaat Bayern zurück und war nicht länger ein politischer Quälgeist. Gleich nach der Bundestagswahl kandidierte die CDU-Parteivorsitzende auch für die Position an der Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, an der bis dahin Friedrich Merz einen guten Job in der Opposition gemacht hatte. Doch der Sauerländer Merz wagte nicht einmal, gegen Angela Merkel zu kandidieren, sondern zog sich einige Zeit später in gut dotierte Privatsphären zurück und gab seine politischen Ambitionen vollends auf.
Die vorgezogene Wahl im Jahre 2005 bescherte der CDU zwar ein außerordentlich schlechtes Ergebnis, doch es reichte für eine Große Koalition und für die erste Kanzlerschaft von Angela Merkel. Ihr „Traumbündnis“ gelang ihr vier Jahre später, als sie nach der Wahl Kanzlerin einer christlich-liberalen Koalition wurde.
Die FDP, damals mit einem Rekordergebnis in die Regierung gewählt, konnte keine Punkte machen und ging im Personalgerangel zwischen Westerwelle, Brüderle und Rösler völlig unter. Die Liberalen suchten allerdings einen Teil der Schuld für ihr Desaster bei Angela Merkel, die ihnen „keinen politischen Stich“ gegönnt habe. Auch die missglückte Präsidentschaft von Christian Wulff wollten die Liberalen der Kanzlerin anlasten – allerdings vergeblich, weil Angela Merkel sehr schnell Joachim Gauck als Nachfolger gewann und so den blassen Vorgänger im Schloss Bellevue vergessen machte.
2013 führte die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin ihre Partei wieder zu einem fulminanten Ergebnis mit über 40 %. Dabei standen nicht so sehr die parteipolitischen Konzepte für diesen großen Erfolg, sondern die Person Angela Merkel. Es war wie bei Kohl in seinen besten Zeiten, als die Kanzlerpartei weniger mit ihrer Programmatik als mit der Spitzenperson glanzvolle Siege einfuhr. Nach einem kurzen Flirt mit den Grünen machte sich Angela Merkel für eine Große Koalition mit dem SPD-Mann Gabriel stark. Ihr Lohn dafür ist eine übergroße Mehrheit im Bundestag, mit der sich bequem regieren lässt – selbst wenn sich der eine oder andere Unionschrist beim Mindestlohn, bei der Rente mit 63 oder anderen Gesetzesvorhaben als lautstarker Abweichler hervortut.
Die Regentin im Bundeskanzleramt herrscht in Deutschland mit Glück und Geschick. Die Wirtschaft brummt, die Finanz- und Bankenkrise hat sie jedenfalls für Deutschland gut gemeistert, die Zahl der Beschäftigten bewegt sich mit 42 Millionen auf einem Rekordniveau, die Erfolge der Unternehmen im Export beweisen eine robuste Wettbewerbsfähigkeit. Die vor allem von der Kanzlerin initiierte Energiewende muss indessen noch vollendet werden. Trotz vieler Milliarden-Kosten für Strom aus Wind, Sonne und Biomasse ist bislang die Energieversorgung keineswegs sicherer, wirtschaftlicher und umweltfreundlicher geworden. Politisch geschickt hat Angela Merkel inzwischen den Ausstieg aus der Kernenergie sowie mehr und mehr auch aus der Kohle ihren SPD-Kollegen Gabriel und Hendricks übertragen.
In Europa ist Angela Merkel die Chefin, ohne die nichts läuft. Sie setzte auch Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission durch, für den sich sogar Gabriel und seine Sozialdemokraten stark machten. Sie drängt weiterhin auf die Einhaltung des Stabilitätspaktes, zeigt sich aber zugleich flexibel für mehr Wachstums- und Beschäftigungsimpulse in Europa.
In der Ukraine-Krise hat sich wohl kein Staats- und Regierungschef so oft mit dem russischen Präsidenten getroffen – zuletzt sogar beim WM-Endspiel in Rio – und telefoniert wie die Bundeskanzlerin. Mit der chinesischen Führung in Peking pflegt sie eine strategische Partnerschaft – zum Wohle der Wirtschaft, aber ohne dabei die Mahnung zu mehr Rechtstaatlichkeit und zur Einhaltung der Menschenrechte zu unterdrücken. Mit der Freundschaft zu den USA tut sich Angela Merkel in letzter Zeit indessen schwerer, denn „Spionage unter Freunden“, so die Kanzlerin, „das geht gar nicht“. Allerdings versucht sie auch hier, den Vertrauensbruch, für den die Obama-Administration und ihre Behörden wie NSA, CIA usw. verantwortlich sind, nicht zu einer tiefen deutsch-amerikanischen Krise werden zu lassen.
Angela Merkel gefällt sich in der Rolle als geschickte Managerin der Macht, ohne ihre durchaus beachtlichen Erfolge wie die Weltmeister im Fußball zu feiern. Sie nimmt Anteil, sie führt ziemlich lautlos die Koalition und Regierung, in ihrem Kabinett agiert sie fast wie in der Mannschaftskabine des Champion-Teams von Jogi Löw, sie führt die „schwäbische Hausfrau“ ins Gefecht, wenn es um Haushalt und Finanzen geht. In ihrer Bundestagsfraktion reden viele von der „Mutti“ und meinen damit die Kanzlerin, die ihrem Volk gern als „mater Germaniae“ vorsteht – und das schon seit 2005.
Niemand mag sich darüber wundern, dass immer wieder spekuliert wird, wie lange Angela Merkel noch Chefin im Berliner Kanzleramt bleiben wird. Niemand weiß es, sie selbst am wenigsten. Das Amt gefällt ihr, sie füllt es gerne aus – mit Pflichtbewusstsein, Hingabe und mit vom Protestantismus geprägter Bescheidenheit. In ihrem Büro hängt ein Portrait von Katharina der Großen, der Zarin Russlands. Ob diese Herrscherin auch ihr Vorbild ist, das hat Angela nie öffentlich verraten. Bis zur nächsten Bundestagswahl wird sie im Amt bleiben. Ihre Christenunion (CDU/CSU) bewegt sich bei den aktuellen demoskopischen Befunden um die 40 %, die SPD verharrt dagegen bei 23 bis 25 % und erhält bislang von den Wählern trotz mancher Erfolge in der Großen Koalition keine besonderen Gunstbeweise. Von Gabriels Genossen droht also der Kanzlerin kein Ungemach. Die AfD mag zwar am rechten Rand der Union ein wenig wildern, doch ob sie in drei Jahren den Sprung in den Bundestag schaffen wird, ist eher unsicher.
Merkel kann deshalb in aller Ruhe auf 2017 blicken und dann entscheiden, ob sie mit der SPD weiterregieren oder doch ein Bündnis mit den neu formierten Grünen eingehen will. Die CDU wird sie auf jeden Fall drängen, den erfolgreichen Kanzlerwahlverein auch in den nächsten Jahren zu führen. Auch einen möglichen Schwenk zu den Grünen als Koalitionspartner nach der Bundestagswahl 2017 wird ohnehin nur von der Physikerin der Macht zu machen sein.
In der Tat gibt es keine realistische Alternative zu Angela – weder unter den Fürsten im Lande, wo am ehesten noch der Hesse Volker Bouffier kanzlertauglich wäre, noch auf der Bundesebene. Ursula von der Leyen muss sich zunächst als Verteidigungsministerin bewähren und profilieren. In manchen Talkshows macht sie das recht gut, im Ministerium und in der Bundeswehr hat sie indessen noch viel Mühe. Ohnehin ist der Sessel im BMVg ein echter Schleudersitz, auf dem Franz-Josef Jung, Karl-Theodor von und zu Guttenberg sowie Thomas de Maizière es nicht allzu lange ausgehalten haben. Aus der Landesliga wird hin und wieder auch Annegret Kramp-Karrenbauer als Merkel-Epigonin und -Erbin genannt. Bislang hat sich die Ministerpräsidentin des Saarlandes wenig profiliert. Sie gilt in weiten Kreisen der Union kaum mehr als „eine Landrätin zu Pferde“. Da könnten Peter Altmaier oder Hermann Gröhe in einigen Jahren schon schwergewichtigere Merkel-Erben werden.
In ihrer ersten Großen Koalition hat Angela Merkel mit dem damaligen Vizekanzler Franz Müntefering die „Rente mit 67“ durchgesetzt, die sie als vernünftige Lösung angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland propagiert hat. Sie selbst wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit daran orientieren und damit erst in sieben Jahren eine berufliche Veränderung ins Auge fassen. Ob sie mit 63 oder 67 in Rente gehen wird, ob sie ein anderes Amt in der EU oder UNO übernehmen wird, darüber jetzt zu spekulieren, ist eher Kaffeesatz-Leserei oder eine Herausforderung für das Orakel von Delphi.
Angela Merkel hat gerade in einem Interview ihren persönlichen Zukunftsplan zum 60. Geburtstag selbst so formuliert: „Es gibt den Wunsch, diese Legislaturperiode als Bundeskanzlerin gut zu arbeiten, und dann sehen wir weiter.“
Bildquelle: www.angela-merkel.de