Man stelle sich ein Parlament vor, dessen Mitglieder nicht nach freiem Gewissen handeln. Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger werden durch den individuellen Gewinn der Volksvertreter ersetzt. Mandatsträger werden zu Auftragnehmern. Im Auktionshaus versuchen Lobbyisten, die Auftraggeber, einander zu überbieten. Der Paukenschlag des Präsidenten bestimmt die endgültige Form eines Gesetzentwurfs.
Auch wenn dieses verstörende Bild keinesfalls der Arbeit des Deutschen Bundestages entspricht, haben einige Ereignisse der jüngsten Vergangenheit den Eindruck verstärkt, Politikerinnen und Politiker wären käuflich. Bereits dieser Eindruck ist enorm schädlich, denn er stellt einen Vertrauensbruch dar. Der Verlust des Vertrauens in Politik führt zum Anstieg von Politikverdrossenheit, die wiederum von opportunistischen Parteien ausgenutzt wird. Großer Verlierer bleibt am Ende der Parlamentarismus und die Demokratie an sich.
Es ist daher nicht nur sinnvoll, sondern zwingend notwendig, dass wir diesem Eindruck effektiv entgegenwirken. Dafür brauchen wir eine Sache: Scharfe Transparenzregeln für uns selbst als Abgeordnete und für unseren Umgang mit Lobbyisten. Seit Beginn der Legislaturperiode diskutieren wir über eine Reform der bestehenden Verhaltensregeln für Bundestagsabgeordnete. Seit 10 Jahren fordert außerdem die SPD-Bundestagsfraktion ein verbindliches und effektives Lobbyregister, das den Einfluss von Lobbyisten auf Bundestag und Bundesregierung transparent, nämlich erkennbar, macht.
Nur noch wenige Sitzungswochen vor dem Ende der Legislaturperiode gibt es aber keine Einigung mit unserem Koalitionspartner bei diesen zwei Themen. Nach dem Fall von Philipp Amthor, der Aktienoptionen für Lobbytätigkeiten erhalten hat und nach der Lobbyaffäre von Karl-Theodor zu Guttenberg im Fall Wirecard, waren die Ankündigungen der Union groß. Die Transparenzregeln sollen reformiert werden. Auch ein Lobbyregister muss her. Doch zeitgleich mit der schwindenden medialen Aufmerksamkeit sinkt auch bei CDU/ CSU die Bereitschaft, eine grundlegende Reform zu verabschieden. Aus den großen Ankündigungen werden dann doch nur kleine vorsichtige Schritte. Man müsse in den Reihen der Union halt Rücksicht auf den Wirtschaftsflügel nehmen.
Doch woran hakt es gerade? Eine Anzeigepflicht für Aktienoptionen in dieser Legislaturperiode einzuführen, wäre ein gesichtswahrendes Minimum. Insofern besteht bei diesem Punkt Einigkeit. Der tatsächliche Reformbedarf ist aber deutlich größer. Gerade sind Unternehmensbeteiligungen von Abgeordneten erst dann anzeigepflichtig, wenn der Anteil der Stimmrechte 25 Prozent übersteigt. Bei kleineren Unternehmen wird dieser Schwellenwert wohl schnell erreicht, bei größeren hingegen fast nie. Je größer jedoch das Unternehmen, desto größer auch der Anreiz, sich für seinen Erfolg einzusetzen. Wir fordern daher die Herabsenkung des Schwellenwertes auf 5 Prozent. Revolutionär ist das nicht. Umso unverständlicher ist daher die Blockade der Union.
Nicht nur die Unternehmensbeteiligungen müssen aber anzeigepflichtig sein, sondern auch die Einkünfte aus diesen Unternehmensbeteiligungen. Denn auch die Höhe der Einkünfte kann auf Interessenverknüpfungen hinweisen. Eine solche Anzeigepflicht gibt es bisher nicht. Die Unionsfraktion lehnt sie kategorisch ab, denn es gehe hier um „Vermögensverwaltung“, die keinerlei Aussagekraft habe. Ob die Union aber diese Position auch nach den Korruptionsvorwürfen gegen Georg Nüßlein vertreten wird, bleibt abzuwarten.
Auch das mit viel Hoffnung verbundene Lobbyregister liegt gerade auf Eis. Grund dafür ist der Dissens bei der Frage, wie viel mehr Transparenz die Bundesregierung braucht. Noch im Sommer letzten Jahres lautete die Antwort der Bundeskanzlerin: Keine, denn die Bundesregierung arbeite bereits sehr transparent. Seitdem hat es nur wenig Bewegung gegeben. Zwar soll der ursprünglich nur für den Bundestag geltende Gesetzentwurf auch für die Bundesregierung gelten. Hier fordert die Union jedoch Einschränkungen. Nur parlamentarische Staatssekretäre und Bundesminister sollen miteinbezogen werden. Die SPD setzt sich hingegen dafür ein, dass Kontaktaufnahmen mit allen Mitarbeitenden in Bundesministerien zur Registrierungspflicht führen. Denn in der Praxis nehmen Lobbyisten Einfluss auf alle Akteure und auf allen Ebenen – von der Erarbeitung des Referentenentwurfs eines Bundesministeriums bis zur 2./3-Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag.
Diese Behutsamkeit des Bundestages bei der Reform der Offenlegungspflichten und beim Umgang mit Lobbyismus ist derart auffällig, dass die „Staatengruppe des Europarates gegen Korruption“ (GRECO) Deutschland dafür rügen musste. Statt nur auf Skandale und Rügen zu reagieren, wäre es aber wenigstens überlegenswert, auf eigene Initiative unsere Offenlegungspflichten zu reformieren und grundlegend die Zusammenarbeit mit Interessenvertreterinnen und Interessenvertretern zu regeln. Dadurch würden wir ein Stück Vertrauen in unsere Arbeit zurückgewinnen. Das wäre eine Win-Win-Situation für uns selbst und vor allem für die Demokratie.
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