Am Ende war Roger Lewentz nicht mehr zu halten, vielleicht zog er auch deshalb für sich die Reißleine, übernahm endlich die politische Verantwortung, weil die Ahr-Katastrophe zu nah an die Ministerpräsidentin rückte und Malu Dreyer hätte gefährden können. Lewentz´Aussagen zuvor jedenfalls wirkten wie billige Ausreden, um seinen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Aber die Flut-Katastrophe konnte er politisch so nicht überstehen, der Innenminister des Landes Rheinland-Pfalz und in dieser Form oberster Katastrophen-Schützer. Und nach allem, was jetzt bekannt wurde, ist Lewentz seiner Verantwortung nicht gerecht geworden in jener Nacht, da das Ahr-Jahrhundert-Hochwasser 134 Todesopfer und 700 Verletzte forderte. Mindestens hätte er warnen, den Krisenstab einberufeh müssen. Aber er schätzte die Lage falsch ein, sah keine Katastrophe, keine Toten, keine eingestürzten Häuser und nur ein weggeschwemmtes Auto. So fast wörtlich der Ex-Minister.
Keine Bilder, keine Katastrophe, man fasst sich an den Kopf. Hat er das alles nicht gesehen? Die Videos vom Flutabend, den Einsatzbericht der Hubschrauberstaffel, die Lichter von Taschenlampen, mit denen die um ihr Leben fürchtenden Menschen auf den Dächern ihrer von der Flut bedrohten Häusern den Piloten Alarmzeichen gaben, SOS? Lewentz ist kein politischer Anfänger, er sitzt seit 1994 im Landtag, er kann Krisen, man frage Kurt Beck und Malu Dreyer. Wieso hat er nicht gehandelt an jenem Abend?
Ein Vertrauter der Chefin
Roger Lewentz war mal der starke Mann in der rheinland-pfälzischen SPD und er war ein wirklicher Vertrauter der beliebten Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Erfahren wie kaum jemand, auch im Umgang mit Problemen, um nicht von Affären im Zusammenhang mit dem Nürburgring und dem Flughafen Hahn zu reden. Lewentz war schon der Mann an der Seite von Kurt Beck, dem Amtsvorgänger. Lewentz hat die Wahlkämpfe der SPD im Land der Reben, Rüben und Raketen geleitet, erfolgreich gemanagt. Er ist geschätzt wegen seiner Sachkenntnis, aber er kann notfalls auch austeilen. Das bekam die einstige Weinkönigin und Oppositionschefin im Mainzer Landtag, Julia Klöckner, zu spüren, als er sie einen „Shitstorm auf Pumps“ nannte.
Ein tatkräftiger Mann, wie es immer wieder hieß. Und dann der Abend der Katastrophe, an dem er es vermied, die Ministerpräsidentin angesichts der Flut-Katastrophe zu wecken. Stattdessen schickte er ihr eine SMS um kurz vor Mitternacht: „Die Lage eskaliert…es kann Tote geben/gegeben haben.“ Der Bericht der Hubschrauber-Staffel ging um 0.53 Uhr ans Lagezentrum des Innenministeriums, in dem die Piloten zwischen 22.14 und 22.42 Uhr schrieben: Dörfer sind überschwemmt, Wasser klatscht gegen Häusergiebel. Diese Videos sind erst jetzt, 14 Monate nach der Katastrophe, aufgetaucht. Die Koblenzer Polizei spricht vom „Dokumentationsfehler“.Man mag es nicht glauben. Dann tauchte Anfang der Woche eine Mail der Polizei Koblenz auf, die gegen 1.49 Uhr im Lagezentrum des Innenministerium einging, in der die Katastrophe beschrieben wird.
Lewentz bestreitet, dass er die Hubschraubervideos, den Lagebericht und die Mail in jener Nacht gesehen habe. Warum eigentlich nicht? War er schon im Bett? Lewentz räumte jetzt ein, es seien „Fehler“ gemacht worden, aber es habe keine Vertuschungen gegeben. Für Malu Dreyer ist die Entwicklung dieser Affäre mindestens unschön, wenn nicht peinlich. Hatte sie doch ihren Minister stets verteidigt, noch im Sommer sich hinter ihn gestellt „ohne wenn und aber“, als die CDU-Opposition dessen Rücktritt verlangte. Sie ging erst jetzt auf Distanz zu Lewentz, als die Mail bekannt wurde. Da forderte sie von ihm die Klärung offener Fragen.
Wo bleibt die Entschuldigung?
Ich frage mich auch, wieso dieser Ex-Minister verbal so daneben griff. Er dankte seiner Familie, „die mit mir leidet.“ Bei allem Verständnis, Herr Lewentz, wie meinen Sie leiden die Menschen an der Ahr? 134 verloren ihr Leben, 700 wurden verletzt, Tausende verloren ihr Hab und Gut, viele warten auf Entschädigung, auf Hilfe in ihrer großen Not und Sie stellen ihr Mitleid mit ihrer Familie in den Vordergrund. Er verliert sein Amt, ja und? Er geht mit einer feinen Pension in Rente. Es ist verständlich, wenn die Opposition nicht locker lässt, im Untersuchungsausschuss weitere Fragen stellen wird. Wo bleibt eigentlich die Entschuldigung des Innenministers? Und die CDU in Mainz wird versuchen, die Regierungschefin in den Zusammenhang mit der Katastrophe zu ziehen.
Die CDU schöpft mal wieder Hoffnung in einem Land, von dem sie einst meinte, es gehörte ihr. Bis 1991 regierten CDU-Regierungschefs, Wilhelm Boden(1946/47)Peter Altmeier(1947-1969), Helmut Kohl(1969-1976), Bernhard Vogel(1976-1988). Und dann wählten die Christdemokraten Vogel ab, der verabschiedete sich mit den viel zu hohen Worten: Gott schütze Rheinland-Pfalz. Die CDU verstolperte die Regelung der Nachfolge, Carl-Ludwig Wagner konnte sich nur drei Jahre halten, dann verlor die CDU die Wahl an die SPD mit Rudolf Scharping(1991-1994). Kurt Beck(1994-2013) trat in seine Fußstapfen, als Scharping nach Bonn wechselte, um vergeblich Kohl als Kanzler abzulösen. Affären u.a. um den viel zu teuren Ausbau des Stadions vom 1.FC Kaiserslautern wie den Nürburgring überstand Kurt Beck, weil er bodenständig war, bei den Arbeitnehmern wie den Arbeitgebern beliebt, Beck war präsent, man kannte sich. Ähnlich seine Nachfolgerin im Amt, Malu Dreyer, die seit 2013 den Chefstuhl in der Staatskanzlei in Mainz innehat und über die die Rheinpfalz schrieb: „Sie ist die unangefochtene Nummer 1, sie strahlt, sie wärmt die Herzen und sorgt für Harmoniestimmung zwischen den Ampel-Parteien SPD, FDP und den Grünen“. Lewentz, der auch im Gespräch war als möglicher Ministerpräsident, überließ Dreyer einst kampflos die Staatskanzlei und stützte die Chefin loyal.
Die Frage wird sein, wer Lewentz als Landeschef der SPD beerbt. Er ist gewählt bis 2023. Politische Beobachter wie SPD-Kreise erwarten jedoch auch hier eine baldige Lösung, weil der 59jährige Lewentz nach dieser Affäre um die Flut-Katastrophe nicht mehr das sein kann, was er in den Augen der SPD-Fraktionsvorsitzenden Sabine Bätzing-Lichtenthäler mal war: „ein Garant für Sicherheit und Stabilität.“ Als aussichtsreicher Nachfolger gilt Alexander Schweitzer, früherer Fraktionschef der Partei im Mainzer Landtag, seit 2021 Minister für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung. Schweitzer gehört auch dem Landesvorstand der SPD an. Der 49jährige Jurist und Vater von drei Kindern, ein Pfälzer, der den Wahlkreis Südliche Weinstraße vertritt, ist seit 1989 Mitglied der SPD. Schweitzer, so ein SPD-Politiker, ist ein Mann der Basis, er kennt die Partei, kennt die Leut´ und ihre Sorgen, er könnte der neue starke Mann an der Seite von Malu Dreyer(61) werden.
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