Die Zeiten sind andere geworden, hier in Deutschland wie anderswo. Viele Wählerinnen und Wähler sind nach rechts gerückt, gemeint aber nicht hin zur CSU, sondern Richtung AfD, die NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst „eine Nazi-Partei“ genannt hat. Wenn wir das zitieren und die Menschen, die so wählen, als Nazi-Anhänger bezeichnen, wehren sie sich. So sei das nicht gemeint, sie hätten AfD gewählt, weil sie sich ignoriert fühlten von CDU, SPD, den Grünen, der FDP, übergangen und nicht verstanden von den sogenannten Alt-Parteien. Ich habe das nie akzeptiert und es als faule Ausrede empfunden. Als Alternative zur CDU/CSU, SPD, den Grünen, der FDP und der Linken ausgerechnet der AfD die Stimme zu geben, ist keine Erklärung und Entschuldigung schon gar nicht. Es ist ein Armutszeugnis auch für die genannten Parteien, die sich fragen müssen, warum so viele Wählerinnen und Wähler sich von ihnen abwenden.
Zum Beispiel die SPD: Wenn 37 Prozent der Arbeiter die AfD wählen, kann etwas nicht stimmen mit der alten Arbeiterpartei. Dann muss etwas faul sein mit ihrem Programm und ihren Repräsentanten. Dann haben Sozialdemokraten versagt, sich nicht um die Sorgen der Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gekümmert. Es ist eine Sache, wenn die SPD sich um den Mindestlohn sorgt, dafür kämpft, dass dieser mickrige Lohn auf 15 Euro angehoben wird. Aber Herr Scholz, so gut und richtig das ist, den Mindestlohn zu heben, weil man mit noch weniger Geld gar nicht über die Runden kommt, von Urlaub und solchen kleinen Luxus-Geschichten ganz zu schweigen. Und Ähnliches gilt fürs Bürgergeld:
SPD als Betriebsrat der Nation
Wie gesagt, alles gut, aber nicht primär. Kümmern Sie sich doch in erster Linie, Herr Arbeitsminister Hubertus Heil, um die Probleme der Menschen, die dafür sorgen, dass der Laden läuft, die jeden Tag Vollzeit arbeiten, am Abend müde nach Hause kommen, am nächsten Morgen wieder pünktlich zur Arbeit gehen. Tag für Tag. Das ist die Mehrheit, die durch ihre Arbeit und ihre Steuern und Sozialbeiträge die Kassen füllt, aus denen dann das Bürgergeld und der Mindestlohn bezahlt werden. Ja, die SPD war immer so etwas wie der Betriebsrat der Nation, war, muss man einräumen, sie wird als solcher nicht mehr wahrgenommen. Herr Scholz, Herr Klingbeil, einer ihrer Amtsvorgänger in Regierung und SPD, Sigmar Gabriel, hat exakt dieses Problem vor vielen Jahren angezeigt und die Frage gestellt: Wer arbeitet schon gern nur für den Mindestlohn? So wichtig es ist, dass es so etwas gibt. Kümmern Sie sich um die täglichen Probleme der arbeitenden Bevölkerung, deren Mieten, um die Ausbildung und Bildung ihrer Kinder, den Schulbus, den Einkauf bei Edeka, Rewe, Lidl, Aldi, die Kosten für die Pflege der älteren Bürgerinnen und Bürger. Ja, ich weiß, jetzt kommt sofort der Hinweis, das sei keine Sozialpolitik. Und ich antworte denen, genau das ist soziale Politik, weil ich zunächst das Geld erwirtschaften muss, damit das andere, das Soziale, bezahlt werden kann.
Millionen Wählerinnen und Wähler im Osten, las ich gerade bei t-online, fühlten sich abgehängt. Kein Bus in die Stadt, kein Tante-Emma-Laden mehr da, keine Apotheke, kein Arzt, niemand, der sich kümmert. Und dann kommen die von der AfD, die zwar kein Rezept haben, die aber in diesen Jammer-Chor mit einstimmen und auf den Staat verweisen, gemeint, die da oben, von der CDU, der SPD, den Grünen, der FDP. Es reicht nicht, wenn wir seit Jahr und Tag vor dieser AfD warnen, weil sie diesen Staat kaputt machen, diese Demokratie zerstören, Europa spalten wollen. Die anderen von der CDU, der SPD, den Grünen usw müssen vorher da sein, mit den Menschen reden, ihnen zuhören und versuchen zu helfen. Es ist wirklich ein Skandal, dass eine Partei wie die AfD zweitstärkste Kraft im Bundestag geworden ist, weit vor der ältesten deutschen Partei, der SPD. Es ist ein Skandal, dass diese geschichtsvergessene Partei, die die Verbrechen der Nazis als „Vogelschiss“(Gauland) schönredet nach dem Motto: War alles nicht so schlimm.
Ist es schon wieder so weit?
Dabei war alles viel schlimmer, sechs Millionen Juden wurden ermordet, ein Krieg vom Zaun gebrochen, der mehr als 50 Millionen Tote gekostet hat. Alles nicht so schlimm? Wer das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Schande“ (Höcke) bezeichnet, muss wissen, dass er selber eine Schande ist für diese Republik. Dass so einer in Thüringen im Landtag sitzt, dass diese AfD dort stärkste Partei geworden ist, das ist eine Schande. Und das lässt tief blicken. Herr Merz, Frau Merkel, ja auch Sie tragen für diese Entwicklung Verantwortung am Aufstieg der AfD. Und das ausgerechnet in Deutschland, 80 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur, nach der Befreiung vom Joch der Nazi-Barbarei. Schon wieder, hört man von vielen Menschen die Angst, ist es schon wieder so weit, dass diese braunen Horden als gesellschaftsfähig, regierungsfähig eingestuft werden? Wo sind wir gelandet?
Ja, die Zeiten haben sich geändert. Und in Amerika sitzt Donald Trump im Weißen Haus. Freunde aus den Vereinigten Staaten, Demokraten wie wir, waren damals erschrocken, als dieser Mann gewählt wurde. Ein Straftäter, ein notorischer Lügner, ein Mann, für den nur der Dollar zählt und der die vielfach beschworene Werte-Gemeinschaft des Westens ignoriert. Gestern sah ich mal wieder Fernsehbilder aus Amerika mit der Freiheits-Statue. Ein Symbol für diese Werte, für die die USA mal standen, Freiheit, Demokratie. Was Trump mit der Pressefreiheit vorhat, ist schrecklich. Er bestimmt, wer zur White-House-Press gehört, Kritiker fliegen raus. Sein Einvernehmen mit einem wie Putin, dem Kriegstreiber, macht einen fassungslos wie sein Benehmen dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi gegenüber, den er einfach vor die Tür setzte, nachdem Trump die Kriegsschuldfrage umgedeutet und Selenskyj ihm widersprochen hatte. Wo sind wir gelandet?! Ein Präsident, der nach unten tritt, weil es so einfach ist, ein Prolet, ein Angeber, kein demokratisches Vorbild.
Unsere Freunde drüben, gläubige Christen, haben vor der Wahl in Deutschland gebetet, dass uns Trumpsche Verhältnisse erspart bleiben mögen. So weit sind wir noch nicht, noch werden wir von Demokraten regiert, der Union und der SPD, die Grünen haben gerade demonstriert, wo sie ungeachtet der hässlichen CSU-Kampagne gegen sie stehen: auf der Seite der Demokraten. Ein anderer Freund aus den Staaten schilderte mir gerade, wie unsympathisch ihm Trump sei. Und dass im Grunde beide Parteien in den USA eine Mitschuld trügen am Aufstieg dieses unsäglichen Mannes und seiner Wiederwahl.
Vom Fronturlaub zurück
Aber bleiben wir noch bei den Zuständen hier in der Republik. Mich hat schockiert, wie in der Amtszeit des amtierenden Kanzlers Scholz mit den Waffen geklirrt wurde, wie Grünen-Politiker Panzer und anderes tödliches Gerät für die Ukraine forderten, als ginge es um Spielmaterial. Sie sind mal gestartet als Pazifisten, heute kommt mir einer ihrer Altvorderen Joschka Fischer wie ein Bellizist vor. Und Teile der Presse marschieren munter mit. Mit einer Kriegsrhetorik und einer Begeisterung für Aufrüstung, die einen mehr als bedrücken muss. „Manche in Deutschland“, schrieb mir der Freund aus den Staaten, „sind regelrecht von Sinnen.“ Sogar die seriöse FAZ, nun wirklich kein Blatt, das gern auf dem Boulevard tanzt, lässt sich sprachlich mitreißen: „Deutschland meldet sich vom Fronturlaub zurück“. Oder: „So gelingt Aufrüstung.“ Oder: „Europa muss blitzschnell Militärmacht werden.“ Und: „Wir müssen das Wettrüsten gewinnen“. Mit dieser Kritik will ich den Kriegstreiber im Kreml gewiss nicht unterschätzen, aber ich denke mit einer Wehmut an einen wie Willy Brandt zurück, der auch als Kanzler für einen höheren Wehr-Etat stand, der aber mit dieser Aufrüstung immer auch die Forderung nach Entspannung verband. Den Krieg verhindern, war seine These. Und heute stimmen selbst die Grünen für ein Sondervermögen-oder wie das heißt- von einer halben Billion Milliarden Euro für das Militärische.
Die Zeiten sind andere. Der Konzern Rheinmetall feiert, die Aktien explodieren, Aktionäre schlagen sich auf die Schenkel, die Kassen füllen sich, der Rüstungskonzern steht vor wahnsinnigen Aufträgen, Panzer und anderes Kriegsgerät ist gefragt wie kaum je zuvor. Wieder einmal verspricht ein Krieg der Industrie reiche Beute. Im Internet wird an die dunkle Geschichte des Konzerns erinnert, der mit und dank der Nazis und ihrer Kriegspolitik schon damals Riesen-Gewinne erzielte, auch weil die Firma von den braunen Bonzen mit Zwangsarbeitern beglückt wurde, damit er noch mehr Geld scheffeln konnte, die Zwangsarbeiter waren ja so gut wie kostenlos.(Niclas Staritz: Zwangsarbeit und Waffen für Hitler. Die dunkle Vergangenheit von Rheinmetall) Mit der Aufarbeitung dieses Kapitels taten sich die Konzernherren später schwer, wie BMW, Bayer, Krupp, Opel, Flick, August von Finck, Siemens. Es dauerte Jahrzehnte, ehe sie so etwas wie Entschädigung zahlten. Man darf daran erinnern, dass jene Elite der deutschen Industrie am 20. Februar 1933 einer Einladung Görings gefolgt war und nach der Rede des Führers Adolf Hitler freiwillig und begeistert Millionen Reichsmark bezahlte, damit die fast pleite NSDAP ihren Wahlkampf organisieren konnte, den letzten einigermaßen freien, ehe die Nazis der Demokratie das Licht auslöschten.
Und Friedrich Merz? Der Bald-Kanzler mit den Stimmen aus Union, der SPD, vielleicht den Grünen? Dem ich früher mal vorwarf, er verwechsle Länge mit Größe, heißt, er sei zwar fast zwei Meter lang, was aber nichts mit politischer Größe zu tun habe. Zugegeben hat auch er das Recht der ersten 100 Tage, die man einem Kanzler gewähren sollte im Amt, ehe man ein Urteil fällt. Ein alter Freund aus Essen schrieb mir dazu gerade, das jüngste Merz-Manöver habe gezeigt, „die können es einfach nicht.“ Der Mann war früher in der Industrie tätig, er ist wahrlich kein Linker, kein Spinner, Herr Merz. Ein Freund aus Amerika meinte, der Mann werde immer wieder missverstanden, mal für einen Konservativen gehalten, dann für einen ideologisch Getriebenen, dabei sei er „einfach nur ein Machtpolitiker ohne jeden Kompass“. Letzteres wäre für einen Flieger, der Merz ja ist, problematisch. Er werde sich an Adenauer anlehnen, heißt es, den Mann, der mithalf, aus der Erbfeindschaft mit den Franzosen eine Freundschaft zu schmieden.
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