„Kennt einer von Ihnen Adolf Eichmann“, fragt die sachkundige Frau, die eine Schulklasse im Alter von 16-17 Jahren durch das Haus der Wannseekonferenz am Großen Wannsee in Berlin führt. Es dauert ein paar Sekunden, ehe sich ein Mädchen zu Wort meldet. „Ja, ich habe von ihm gehört, er war irgendwo im Exil.“ Dass die Schüler keine Ahnung von Eichmann, dem Organisator der Endlösung der Judenfrage, haben, darf nicht verwundern. Im Geschichts-Unterricht werden sie dieses Kapitel der Nazi-Zeit kaum behandelt haben. Und als Eichmann damals vom israelischen Geheimdienst in Argentinien aufgespürt , ihm in Israel der Prozess gemacht, er zum Tode verurteilt und am 31. Mai 1962 hingerichtet wurde, waren die Schüler noch nicht geboren.
Die Schüler-Gruppe sitzt um den großen Tisch im Esszimmer des besagten Hauses, in dem sich 15 hohe Nazi-Beamte am 20. Januar 1942 auf Einladung von Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichs-Sicherheitshauptamtes, trafen, um die Endlösung der Juden zu besprechen. Mit dabei Adolf Eichmann, der das Protokoll jener Sitzung schrieb, Roland Freisler, der berüchtigte Chef des Volksgerichtshofs, einer der vielen furchtbaren Juristen jener Zeit. Die Führerin durch die Gedenkstätte erklärt den tödlichen Sinn dieser Konferenz, damals in dieser feinen Villa in der noblen Gegend des Wannsees. Direkt gegenüber ist das Freibad Wannsee, alles ist umgeben von Bäumen, Gärten, Villen, einem Yachtklub, einem Segler-Paradies. Hier in dieser Idylle wurde die Koordination der verschiedenen Behörden beim Genozid besprochen- bei einem Glas Cognac, wie Adolf Eichmann, SS-Sturmbannführer, später vor Gericht in Jerusalem die lockere Atmosphäre beschrieb. „Fröhliche Zustimmung“ habe er am Ende der 90minütigen Sitzung geerntet, fröhliche Zustimmung bei der Diskussion von Fragen zur Koordination der Behörden, deren Aufgabe es war, die Juden in ganz Europa aufzuspüren und sie zu vernichten.
Gedenkstätte eine gelungene Ausstellung
Die Gedenk- und Bildungsstätte, die einst eine Fabrikanten-Villa war, ehe sie von der SS für den stolzen Preis von über einer Million Mark erworben wurde, ist gelungen. Im Erdgeschoss informiert die ständige Ausstellung „Die Wannseekonferenz und der Völkermord an den europäischen Juden“ in deutscher und englischer Sprache über die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Verfolgung der Juden, über ihre Ausgrenzung, Entrechtung und Vertreibung zwischen 1933 und 1945. Systematisch hatte Hitler die Juden ausgegrenzt, ihnen Rechte um Rechte genommen, sie waren Freiwild, von allem ausgeschlossen, mussten den Judenstern tragen. Juden wurden deportiert, in Konzentrationslager und Ghettos gejagt, sie wurden ermordet. Dafür wurde extra eine Mord-Industrie errichtet, Gaskammern, Zyklon B, dafür stehen Namen wir Auschwitz und Buchenwald. All dies kann der Besucher im Haus der Wannseekonferenz nachlesen und sich das Grauen auch in Bildern ansehen. An einer Stelle findet man eine Tabelle, auf der alle Juden aufgeführt waren: u.a in Frankreich-besetztes Gebiet- 165000, in Ungarn 742000 und in der Sowjetunion fünf Millionen, zusammen über 11 Millionen, so die Todestabelle der NS-Bürokraten.
Ja, es waren Bürokraten am Werk. „Das Unerhörte“, so in Band III „Deutschland im Spiegel“, „das wahrhaft Entsetzliche der Judenvernichtung lag darin, dass Tausende biederer Familienväter dem öffentlichen Geschäft des Mordens nachgingen und sich am Feierabend in dem Gefühl streckten, gesetzestreue, ordentliche Bürger zu sein, denen es nicht einfallen würde, einen Schritt vom Pfad der Tugend abzuweichen. .. Beamtenseelen, die in ihrem grotesk-heuchlerischen Selbstmitleid sich als tragische Menschen vorkamen.“ Einer wie Eichmann stellte doch tatsächlich ein Gnadengesuch an den damaligen israelischen Präsidenten, vor Gericht hatte er sich immer wieder auf den Befehlsnotstand berufen, er habe nur getan, was man ihm befohlen habe.
Mittäter konnten sich an den Inhalt nicht erinnern
Andere Mittäter der Wannseekonferenz konnten sich später an den genauen Inhalt der Konferenz nicht mehr erinnern. So behauptete Dr. Gerhard Klopfer, immerhin Staatssekretär und Stellvertreter des Hitler-Stellvertreter Martin Bormann, er sei immer davon ausgegangen, dass Juden nur umgesiedelt werden sollten. Dabei hatte Heydrich bei der Konferenz erläutert, wie die im Herrschaftsbereich der SS liegenden europäischen Länder systematisch „gesäubert“ werden sollten, Juden sollten „in geeigneter Weise im Osten zum Einsatz kommen“, wobei einkalkuliert war, dass „zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird“, so der bürokratische Ton von Heydrich. Und weiter: Der übrig bleibende Teil „wird entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.“ Damit war klar die Ausrottung der Juden gemeint, auch die der Kinder. Keiner der anwesenden Behördenvertreter erhob Widerspruch.
Gerhard Klopfer wurde als „minderbelastet“ eingestuft und kam mit einer kleinen Geldstrafe und einer dreijährigen Bewährungsfrist davon. Klopfer lebte in Baden-Württemberg als Anwalt, war angesehen bei seinen Mitbürgern, weil er stets freundlich war, gute Manieren an den Tag legte und bei Begrüßungen den Hut zog. „Stets anständig“ habe er sich verhalten, wurde er gelobt.
Empörung nach dem Tod Klopfers
Erst nach seinem Tod 1987 empörte sich die Öffentlichkeit, wurde Klopfers Rolle in der Nazi-Zeit zum Thema. Die Todesanzeige seiner Familie-„nach einem erfüllten Leben zum Wohle aller, die in seinem Einflussbereich waren“- machte den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, „fassungslos“. So wurde ein Schreibtischtäter zum „Wohltäter“, kommentierten die Medien. Denn Herr Klopfer hatte in seinem ehemaligen Einflussbereich, der Nazi-Parteikanzlei, als Staatssekretär mit hohem SS-Rang, der schon 1933 Mitglied der NSDAP geworden war, dem Todesurteil über sechs Millionen Juden zumindest nicht widersprochen. Klopfer war der letzte Überlebende der Teilnehmer jener Herrenrunde von hohem Verwaltungsbeamten und SS-Führern, die den größten Massenmord der Geschichte in Szene gesetzt hatten. Nachher stellten sich viele der Beamten wie Klopfer einfach dumm. Und so kam das Urteil über den Juristen Klopfer zustande, „ihm sei ein Beitrag zum Holocaust nicht nachzuweisen.“
Klopfer war nicht der einzige Teilnehmer der Konferenz, der nicht verurteilt wurde. Ähnlich erging es dem in Innsbruck geborenen Weinhändler Otto Hoffmann, damals SS-Gruppenführer aus dem Rasseamt. Er wurde später ein unauffälliger Kaufmann im württembergischen Künzelsau. Oder Georg Leibbrandt, Ministerialdirektor für die besetzten Ostgebiete, der an Besprechungen mit Heydrich über die geplanten Massenmorde teilgenommen hatte und darüber unterrichtet wurde. Leibbrandt wurde nach dem Krieg Leiter des Bonner Büros der damals bundeseigenen Salzgitter AG.
Noch einmal zum Anfang der Geschichte. Der Holocaust- und damit eng verbunden ist nun mal der Name Adolf Eichmann, den man schnell im Internet findet- begleitet den Berlin-Besucher auf vielen Stationen in der Hauptstadt. So stößt der Fußgänger vor dem U-S-Bahnhof Wittenbergplatz auf eine Tafel mit Namen von KZs, die man niemals vergessen sollte, darunter Auschwitz, Dachau, Treblinka, Majdanek, Buchenwald. Und schließlich das Holocaust-Denkmal kurz vor der USA-Botschaft in der Nähe des Brandenburger Tores. Oft stehen Besucher davor und verstehen nicht den Sinn der 2711 Stelen. Der Architekt des Mahnmals, Peter Eisenmann, antwortete einst auf eine entsprechende Frage eines Journalisten, der das Werk des Erbauers nicht nachvollziehen konnte: „Können Sie den Holocaust begreifen, den Mord an sechs Millionen Juden.“
Bildquelle Adolf Eichmann: Israel Government Press Office – Israel National Photo Collection, Public Domain