Es ist eine Idylle der besonderen Art, die sich dem Besucher von Schloss Cecilienhof in Potsdam bietet. Cecilienhof, das war mal die Residenz des preußischen Ex-Kronprinzen Wilhelm, der 1933 am Tag von Potsdam gemeinsam mit Hindenburg den Pakt der konservativen deutschen Eliten mit Hitler besiegelte, erinnert FAZ-Autor Andreas Kilb. Ausgerechnet dort im Schloss, das eher einem englischen Landhaus ähnelt, trafen sich im Juli 1945, also vor 75 Jahren, die Staatschefs der USA, von Großbritannien und der Sowjetunion, um nach einem fürchterlichen Krieg mit Millionen Toten und Verwüstungen ohnegleichen nicht weniger als eine Nachkriegsordnung zu schaffen. Die drei Großen der Welt, die Sieger über Hitler-Deutschland, kamen als Alliierte und gingen später als erbitterte Gegner auseinander: Winston Churchill, der Initiator zwar, der aber eigentlich gar nicht dabei war, weil inzwischen abgewählt, Harry S. Truman und Josef Stalin. Die Ausstellung am historischen Ort, eingerichtet von der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, erzählt die Geschichte dieser Potsdam-Konferenz, sie nimmt den Zuschauer mit auf eine Zeitreise durch die Welt, sie berichtet vom Frieden, der in einen Kalten Krieg übergeht, von der Neuordnung in Europa mit dem geteilten Deutschland, dem neuen Polen, vom Nahen Osten mit dem neu gegründeten Staat Israel, vom ersten Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki, vom Krieg Japans mit China, von der Gründung der UNO, von der man sich den ewigen Frieden versprach, der aber kurze Zeit später im Korea-Krieg zu Ende ging.
Dass das Schloss Cecilienhof ausgewählt worden war, um Geschichte zu schreiben, lag am zerstörten Berlin. Die alte Reichshauptstadt hatte kein Gebäude zu bieten, in dem die Drei Großen und all ihre Mitarbeiter und Zuträger hätten tagen können, Potsdam dagegen hatte das Schloss und zusätzlich Villen zur Verfügung, in denen die hochrangigen Gäste schlafen konnten. Potsdam mit Babelsberg war so gut wie ohne Zerstörungen durch den Krieg gelangt, der Bombenkrieg hatte die Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt, aber Potsdam und Umgebung waren verschont geblieben. Es wirkt gerade so, als hätten die Flieger mit ihren Bomben absichtlich einen weiten Bogen um das Schloss gemacht, damit dort nach dem Ende des Krieges verhandelt, getafelt, getanzt und geschlafen werden konnte.
Eine Fotowand mit erschreckenden Bildern
Der Zuschauer stößt zu Beginn auf eine Fotowand mit sechs Einzelbildern, die erschrecken, weil sie widergeben, was zuvor geschehen war. Da blickt man auf einen Mann, abgemagert bis auf die Knochen, in der gestreiften Kleidung, wie man sie in den Konzentrationslagern tragen musste. Da sieht man ein weinendes Kind vor Trümmern. Ja, so sah Berlin damals aus, wie überhaupt deutsche Städte ein Bild aus Trümmern abgaben.
Der junge Besucher der Ausstellung, der vielleicht unvorbereitet gekommen ist, der nichts gelesen hat über den Vernichtungskrieg der Nazis, die KZs, zuckt zusammen. Diese Bilder in dieser Idylle von Potsdam mit seinen schmucken Villen und den davor parkenden Sechs-Zylindern, alles wirkt geschmückt und wohl geordnet. Der Zuschauer sieht die feiernden russischen Soldaten, an anderem Ort erfährt er, dass die Sowjetunon die größten Opfer zu beklagen hatte, mindestens 27 Millionen Tote. Man stößt auf einen US-Soldaten inmitten der Trümmerlandschaft, sieht einen Haufen voller deutscher Waffen, die irgendwo abgelegt worden waren, eine gesprengte Brücke. Man sieht den riesigen runden Tisch, an dem sie verhandelten, der extra in Moskau angefertigt worden war für diese Konferenz, man sieht Bilder von Stalin, Churchill, Truman, auch von Gromyko, dem späteren Außenminister, der er noch war zu Zeiten von Hans-Dietrich Genscher. Und man sieht das rote Sternbeet im Innenhof.
In die Ausstellung über die Konferenz führt den Zuschauer eine junge Dame, keine Politikerin, eine 19jährige Engländerin mit Namen Joy Milward. Sie kam als Sekretärin der britischen Delegation nach Deutschland. Sie hielt ihre Erlebnisse dieser Konferenz in einem Tagebuch fest, zusammen mit Fotos und Zeitungsausschnitten. Sie kannte Deutschland nicht, berichtet von ihrem Flug in einer Douglas C-47, dem angeblich bequemsten Transportflugzeug der Zeit, ins „Hollywood von Deutschland“. Zum Tagebuch gibt es ein schönes Video, in dem die heute 94jährige Frau auch über die Dimension der Zerstörung berichtet, von Bildern, die sich ihr damals boten. Sie könne, erzählt sie, die Leere und die Niedergeschlagenheit in den Gesichtern der Menschen und insbesondere der Kinder nicht vergessen. Sie habe dabei kein Gefühl des Triumphs verspürt, sondern eher eines der Verantwortlichkeit. Joy Milward sah die Menchen, „die ihre Habseligkeiten hinter sich herzogen und Kinder auf den Armen trugen. Ich fragte mich, was das bedeutete. Es war wie in einer anderen Welt. Naja, es war ja auch eine andere Welt.“ Sie hätten ständig gearbeitet, berichtet die Frau, ohne Schichten von morgens 8 Uhr bis teils in der Nacht um 2 Uhr. Abends habe man gelegentlich getanzt.
Mehrfach sei sie ins zerstörte Berlin gefahren, auf den Spuren der untergegangenen Nazi-Diktatur, in der in Trümmern liegenden Reichskanzlei- heute gibt es dort u.a. die Mohrenstraße- habe sie ein Stückchen von Hitlers Marmorschreibtisch mitgenommen. Berlin kam ihr vor wie eine Geisterstadt, nahe der Spree war „grässlicher Geruch verwesender Körper“ in der Luft. Die Menschen seien bereit gewesen, „alles zu geben für ein paar Zigaretten oder noch besser einen Riegel Schokolade oder eine Unze Fett“. Kinder habe sie „ohne Schuhe, mit Armen und Beinen so dünn wie Stangen, eingefallenen Augen und einem viel zu erwachsenen Gesichtsausdruck“ gesehen. Ergreifende Sätze, erschütternd noch heute nach 75 Jahren.
Truman befahl den Abwuf der Atombombe
Die Konferenz war Churchills Idee, der aber schon am 27. Juli 1945 gehen musste, weil der britische Premierminister abgewählt war, sein Nachfolger war Clement Attlee. Bis zum 2.August konferierten die Chefs und ihre Außenminister in 13 Sitzungen über die Aufteilung Deutschlands und Europas. Während sie konferierten, dauerte der Krieg im Pazifik und in Asien noch an und gipfelte in den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945. Während der Konferenz war Truman übrigens über den erfolgreichen Atombombentest in New Mexiko unterrichtet worden. Noch in Potsdam gab er den Befehl zum Abwurf dieser schlimmsten aller Waffen, die zwei japanische Städte verwüstete. Das japanische Kaiserreich kapitulierte danach am 2. September 1945.
Das Elend in Deutschland blieb weder den Amerikanern, noch den Briten und den Russen verborgen. Truman wollte deshalb Stalin von allzu harten Reparationsforderungen abhalten und zeigte sich im Gegenzug offen für Stalins Vorstellungen zur neuen deutschen Ostgrenze, der Oder-Neiße-Linie, der heutigen polnischen Westgrenze. Was die Vertreibung Millionen Deutscher zur Folge hatte. Dabei sollte es eigentlich menschlich und geordnet zugehen, aber es kommt zu einer brutalen Vertreibung von über 12 Millionen Menschen, von denen viele die sogenannte Überführung nicht überlebten.
Man wollte Deutschland entnazifizieren und demokratisieren: „Es ist nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven.“ Die Alliierten wollten dem deutschen Volk die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wiederaufzubauen. Wenn das gelänge, werde das deutsche Volk zu „gegebener Zeit seinen Platz unter den freien und friedlichen Völkern der Welt einnehmen.“ Das Abkommen erklärt das Verbot der NSDAP und ihrer Einrichtungen, setzt Verfahren gegen die nazistischen Kriegsverbrecher fest und fordert die Umerziehung der Deutschen. Beschlossen wird in Potsdam u.a. die Auflösung kriegswichtiger Industrie in Deutschland und die zu leistenden Reparationen. Im Prinzip heißt es: die Alliierten können ihre Forderungen durch Einnahmen aus den jeweils eigenen Besatzungszonen befriedigen, ohne das Land wirtschaftlich auf längere Sicht zu ruinieren. In der Realität fallen die Reparationen der sowjetischen Zone wesentlich höher aus als die aus dem Westen. Schätzungsweise fließen 14 Milliarden Dollar aus dem Osten in die Sowjetunion. Auch die Zukunft von Königsberg, was heute Kaliningrad heißt, wird hier geregelt.
Potsdam stellt einen Wendepunkt in der internationalen Geschichte dar. Das deutsche Reich gab es nicht mehr, aus der Koalition der Alliierten wurden Gegner, ja Feinde. Truman erkannte die strategische Bedeutung Westdeutschlands gerade mit Blick auf die Sowetjunion. „Wir werden tun“, wird er zitiert, „was wir können, damit Deutschland wieder eine anständige Nation wird. Damit es schlussendlich seinen Weg aus dem wirtschaftlichen Chaos, in das es sich selbst gebracht hat, zurück zu seinem Platz in der zivilisierten Welt findet.“
Churchill befürchtete eine Tragödie
Churchill, der am 16. August 1945 im britischen Unterhaus erstmals als Oppositionsführer redete, bewertete die Ergebnisse von Potsdam skeptisch. Es werde viele Jahre dauern, bis irgendein staatlicher Aufbau möglich sei. Voller Sorge erwähnte Churchill den zwangsweisen Exodus der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei. Er befürchtete eine „Tragödie ungeheuren Ausmaßes hinter dem Eisernen Vorhang, der Europa gegenwärtig entzweischneidet.“ Der Begriff war neu, später war der Eiserne Vorhang das, was den Osten Europas vom Westen trennte. Erst mit dem Fall der Mauer, der Einheit Deutschlands und dem Ende des Warschauer Paktes landete dieser Eiserne Vorhang auf der Müllhalde der Weltgeschichte.
Die sachliche Darstellung der Geschichte und der Beschlüsse wird in der Ausstellung eingebunden in emotional berührende Stimmen Betroffener, es kommen Atombombenopfer zu Wort wie Vertriebene und Kollaborateure. Leihgaben aus der ganzen Welt ergänzen diese wirklich runde und sehr informative Ausstellung über eine Konferenz, die die Welt vielleicht nicht neu ordnete, aber veränderte. Potsdam brachte keinen Frieden, sondern bildete den Auftakt zum Kalten Krieg und zur Teilung der Welt. Zu einem Thema schwieg die Konferenz, zu den jüdischen Opfern des Naziterrors.
Die Ausstellung „Potsdamer Konferenz“ ist bis 31. Dezember 2020 im Schloss Cecilienhof zu sehen. Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17.30 Uhr. Eintrittspreis: 14 Euro, ermäßigt 10 Euro. Zu erreichen mit S- und Straßenbahn.