Man reibt sich die Augen ob mancher Debatte in deutschen Medien. Die früher mal eher linksliberal verortete „Süddeutsche Zeitung“, die aber längst auf dem Weg zur eher konservativen FAZ zu sein scheint, titelte kürzlich: „Pazifismus mit der Keule“. Der so zuschlug, war kein Geringerer als der Ressortchef Außenpolitik des Münchner Blattes, Stefan Kornelius. Im Streit um bewaffnete Drohnen sah er die SPD „im Zentrum dieser so groben wie unsachlichen Auseinandersetzung“. Und der Autor attestierte der Partei, die sich halt mit Waffen jeder Art schon immer schwer tut, sie verfalle „traditionell in Angststarre“. Und obgleich dieses Land zur Zeit von niemandem bedroht wird- zumindest ist das mein Eindruck, aber ich lebe ja auch im fernen und eher dörflichen Bonn und nicht am Puls der Zeit in Bayerns Metropole- lautet das Fazit der SZ: „Hier geht es nicht um ein theoretisches Problem, sondern um ein Fundament des Staates, das nicht alle vier Jahre neu verhandelt werden darf- auch nicht in einer taktischen Spielerei mit den Wählern.“
Es mag ja sein, dass man am Ende der Debatte zum Schluß kommen wird, dass an bewaffneten Drohnen kein Weg vorbeiführt. Die Produktion dieser Waffen wird ja auch weltweit längst vorangetrieben. Und es kann sein, dass derartige Waffen dem Schutz der Soldaten im Einsatz als defensive Waffen dienen, sie schützen können. Aber es ist auch bekannt, wie wir aus dem jüngsten Krieg um Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbeidschan wissen, dass bewaffnete Drohnen als Angriffswalzen genutzt werden- und damit auch Zivilisten töten können. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Oder stimmt es etwa nicht, dass die USA bewaffnete Drohen einsetzen, „um in fernen Ländern angebliche Terroristen zu töten“. (Spiegel) Dass das nach deutschem Recht verboten ist, sei hinzugefügt, und richtig ist auch, dass der Bundestag so etwas nie genehmigen würde. Die „Bundeswehr als Armee des Grundgesetzes“ habe „Anspruch auf unser Vertrauen“, so der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu im „Vorwärts“. Und deshalb dürfe man der Truppe im gefährlichen Auslandseinsatz den Schutz durch bewaffnete Aufklärungsdrohen nicht vorenthalten.
Wer bedroht uns eigentlich?
So weit Felgentreu, dem ich keine unlauteren Absichten unterstellen will. Aber wieso ist es eigentlich verwerflich, wenn eine Partei wie die SPD, die ja auch Friedenspartei sein will, sich weitere Gedanken macht über den Sinn und Unsinn neuer Waffensysteme? Oder darf nicht länger gefackelt werden? Wenn ja, noch einmal die Frage: Wer bedroht uns? Der Russe wieder mal wie einst im Kalten Krieg? Oder der Chinese? Die Islamisten? Es wird behauptet, die SPD gefährde mit ihrem Zögern das Leben von Soldaten. Aus der Union kommen Stimmen, die SPD versündige sich an der Bundeswehr. Geht es eigentlich noch schlimmer?Es geht, wie das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ demonstriert. Die einstige Volkspartei SPD leiste den „Offenbarungseid“, ist dort zu lesen. Und weiter: „Vielleicht ist es unfair, eine Partei im Niedergang an vergangene Größe zu erinnern. An Männer wie den Hamburger Großstrategen Helmut Schmidt, den ersten sozialdemokratischen Verteidigungsminister der Nachkriegszeit, und seinen SPD-Nachfolger Georg Leber, der in der Truppe als Soldatenvater verehrt wurde. Oder an ein Schwergewicht wie Peter Struck, der 2002 für drei Jahre ins Verteidigungsministerium wechselte, um danach wieder die SPD-Bundestagsfraktion zu führen.“
Warum, fragt das Magazin aus Hamburg weiter, „schickte die SPD damals ihre besten Leute ins Verteidigungsministerium?“ Und natürlich schieben die allwissenden Kollegen des mächtigen Blattes die Antwort gleich hinterher: „Weil sie als Volkspartei Verantwortung für die Männer und Frauen in Uniform übernehmen wollte, die geschworen hatten, notfalls mit ihrem Leben Freiheit und Demokratie zu verteidigen.“ Wumms, könnte man frei nach Scholz hinzufügen. Als wenn der heutige Fraktionschef Rolf Mützenich keine Verantwortung für die Bürger in Uniform übernehmen wolle. Und will man etwa dem gewiss umstrittenen Parteichef Norbert Walter-Borjans das unterstellen? Die SPD habe sich als Partei der Bundeswehr verstanden, betont der „Spiegel“ noch. Tut das die SPD heute nicht mehr? Sind es lauter Hasenfüße, die vor der Verantwortung davon laufen? Und weiter der „Spiegel“: Die drei SPD-Kanzler Brandt, Schmidt und Schröder hätten für Entspannung, internationalen Dialog und Abrüstung gekämpft? Ist Mützenich ein Aufrüster, etwa gegen Entspannung, wenn er den breiten Dialog über bewaffnete Drohnen fordert? Dann wird noch der schon erwähnte verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu gegen den Fraktionschef in Frontstellung gebracht, weil der seinen Rücktritt vom Amt erklärt hatte, nachdem die SPD -Fraktion eine Entscheidung in der Causa bewaffnete Drohnen vertagt hatte. Darf ich ergänzen, ohne Felgentreu zu nahe zu treten, dass der Mann ohnehin nicht mehr für den nächsten Bundestag kandidiert, er also aufhören will? Ein Experte stellte mir die Frage: Hätte der Einsatz von Drohnen einen der toten deutschen Soldaten in Afghanistan verhindern können? Skepsis ist doch wohl angebracht.
Aber werfen wir einen Blick auf den Koalitionsvertrag. Dort heißt es zu bewaffneten Drohnen: „Über die Beschaffung von Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher, völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden.“ Diese Debatte sollte nicht nur in Fachkreisen geführt werden, sondern breit in der interessierten Öffentlichkeit. So die Meinung damals. Und es sollte demnach nicht nur Klarheit über Vor- und Nachteile bewaffneter Drohnen herbeigeführt werden, sondern man wollte auch die unterschiedlichen Meinungen dazu versöhnen. Diese breite Erörterung habe es bisher in der gewünschen Form nicht gegeben, ist aus SPD-Kreisen zu hören. Und eine Versöhnung der verschiedenen Positionen habe es auch nicht gegeben. Was in Umfragen deutlich wird: Die Hälfte der Befragten ist gegen, die andere Hälfte für den Einsatz von bewaffneten Drohnen. Und auch das Parlament ist in der Frage gespalten. Anders die veröffentliche Meinung, wie ich in den Beispielen SZ und Spiegel belegt habe. Man könnte auch die FAZ hinzufügen.Lediglich die linke TAZ hat die Entscheidung der SPD-Fraktion begrüßt.
Hemmschwelle militärischer Gewalt
Die ausführliche breite Debatte habe es nicht gegeben, so SPD-Kreise. Was ist daran so schlimm? Das Verteidigungsministerium habe sie im Laufe der Legislaturperiode verzögert. Und die Pandemie hat ohnehin den Schwerpunkt der Debatte für sich beansprucht. Keine Frage. Auch SPD-Kreise verschließen sich Argumenten nicht, wonach Drohnen, bewaffnete wie unbewaffnete, Soldaten im Einsatz Schutz bieten können. Von der Hand zu weisen seien aber auch Hinweise nicht, wonach bewaffnete Drohnen die Hemmschwelle militärischer Gewalt senken könnten. Klare Regeln und politische Kontrolle des Einsatzes könnten solche Fehl-Entwicklungen zwar eingrenzen, sie aber nicht ganz ausschließen Zurück zum Koalitionsvertrag: Es braucht eine Gewährleistung klarer völkerrechtlicher und militärischer Maßnahmen. Und überhaupt muss eine Beschaffungsentscheidung durch einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens getragen werden.
Zieht man die Konsequenz aus dem Krieg um Bergkarabach, wird die Diskussion auch darüber zu führen sein, ob bewaffnete Drohnen, wie die SPD das bisher gesehen hat, eher der Verteidigung dienen oder als Offensivwaffen zum Einsatz kommen. So geschehen im Krieg zwischen Armenein und Aserbeidschan.
Die Eile, mit der die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer diese Frage vorantreibt, ist wohl dem kommenden Wahlkampf geschuldet. Die Union sucht Angriffsflächen gegen die SPD, die wiederum gut beraten wäre, diese breite Debatte anzustoßen, sich aber vorher dabei im Klaren zu werden, was man genau will. Zur Zeit fehlt es der SPD auch in dieser Frage an einer gemeinsamen Haltung, der eine äußert sich pro, der andere contra. Besser wäre es, die führenden Sozialdemokraten würden über dieses Problem zunächst miteinander reden, ehe sie ein Meinungsdurcheinander veranstalten.Die Grünen halten sich ziemlich bedeckt und sich damit manches offen für die Zeit danach. Der SPD Halbherzigkeit vorzuwerfen, grenzt an Verlogenheit. Weil sie selber das Thema aus den Füßen haben möchten, hoffen sie auf eine Zustimmung der SPD noch in dieser Legislaturperiode. Und wenn sie dann nach der Bundestagswahl eine schwarz-grüne Koalition ansteuern, könnten sie beim Thema bewaffnete Drohnen darauf verweisen, sie hätten vollendete Tatsachen vorgefunden. Sie könnten sich in den Finger schneiden, wenn die Debatte über bewaffnete Drohnen erst in der nächsten Legislaturperiode entschieden wird.
Zum Schluß noch einmal ein großes Wort vom „Spiegel“. Im mehrfach zitierten Beitrag heißt es am Ende: „Weil die SPD in ihrem Niedergang vergessen hat, was sie damals groß machte. Als sie noch Volkspartei war und sich für die Bundeswehr verantwortlich fühlte“. Eine kleine Ergänzung, um nicht von Korrektur zu reden, darf hier sein: Ist es nicht auch möglich, dass die Drohnendebatte ablenken soll von den vorhandenen Mängeln der Bundeswehr? Hat nicht der Generalinspekteur Zorn vor kurzem betont, die Einsatzfähigkeit sei in vielen Bereichen unzureichend, andere sagen mangalhaft?Sollte man nicht zunächst dafür sorgen, dass Panzer wieder fahren, Hubschrauber wieder fliegen und Gewehre wieder schießen können, ehe man sich modernen Waffensystemen zuwendet? Ende offen.
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