Franz-Josef Strauß kritisierte Gerhart Rudolf Baum und seinen partei-politischen Zwilling Burghard Hirsch als „notorische Koalitionsstörer“. Baum und Hirsch, wie sie oft in einem Zusammenhang genannt wurden, werden das eher als Würdigung aufgefasst haben. Sie waren nie so gefällig wie andere Politiker, die um des Aufstiegs willen in eine Partei wie die FDP eintraten, weil sie etwas werden wollten. Gerhart Baum wollte etwas verändern in diesem Staat, in dieser Gesellschaft. Er kämpfte für die Freiheit, gegen Rechtsradikalismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen die AfD, für die Demokratie, die Würde des Menschen und die Menschenrechte, nicht für den höheren Kurs von Aktien. „Meine Wut ist jung“, heißt der Titel eines Buches, das der Alt-Liberale verfasste. Im Alter von 92 Jahren ist einer der letzten aufrechten Liberalen in Köln gestorben.
Ja, der Baum war das, was man mit der FDP damals verband: eine Partei mit Ecken und Kanten, schwierig gewiss, aber niemals opportunistisch. Zu dieser Gruppe von Liberalen gehörten neben Baum und Hirsch Hildegard Hamm-Brücher, Ralf Dahrendorf, Karl-Hermann Flach, der Verfasser der Freiburger Thesen und einiger Bücher(Noch eine Chance für die Liberalen oder : Die Zukunft der Freiheit. Eine Streitschrift), Ingrid Matthäus-Maier, Helga Schuchardt, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Werner Maihofer. Neben ihnen darf man die anderen führenden Liberalen dieser Zeit nicht vergessen, wie Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher, die sie ja ihre linksliberalen Thesen öffentlich vertreten ließen. Denn, auch das stimmte, wenn auch nur kurz, diese FDP stand für Menschenwürde durch Selbstbestimmung, für Fortschritt durch Vernunft, Demokratisierung der Gesellschaft, für eine Reform des Kapitalismus. Eigentum war für die FDP von Karl-Hermann Flach wie Werner Maihofer kein Selbstzweck, ohne persönliches Eigentum keine persönliche Freiheit. Und Baum war gewiss eine ihrer Stimmen, später die Stimme der links-, oder besser der sozialliberalen Politiker.
Wenn er über Dresden sprach
Ich habe ihn erlebt, als er Bundesinnenminister im letzten Kabinett von Helmut Schmidt war von 1978 bis 1982. Es war eine harte Zeit für einen Liberalen, die RAF, der deutsche Herbst hatte die Stimmung im Lande angeheizt, führende Persönlichkeiten wie Erich Ponto und Hans-Martin Schleyer wurden ermordet. Der Ruf nach immer schärferen Gesetzen, nach Einschränkungen von Freiheiten wurden lauter, der Überwachungsstaat drohte. Diese Anti-Terrorgesetze und das Kontaktsperre-Gesetz während der Entführung von Schleyer waren für den Liberalen Baum sehr bedenklich. Dagegen stemmte sich einer wie Baum. Dazu kam das Bildungs-Thema als Schwerpunkt, Bildung für alle klingt zunächst nach dem SPD-Programm, doch die Liberalen schrieben sich das damals auf ihre Fahne.
Wer Baum in diesen Jahren erlebte in Hintergrund-Gesprächen, erfuhr von ihm, wenn man ihn fragte, seine Erlebnisse in Dresden, wie er am 13. Februar 1945 die Bomben auf diese schöne Stadt erlebt und überlebt hatte mit seiner Mutter, der Vater war im Krieg und kehrte aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft nicht mehr zurück. Diese Bombennacht mit dem Feuersturm, in dem Zugtausende Menschen umkamen, vergaß er nicht. Dresden war damals 1945 überfüllt von Flüchtlingen. Die Menschen fühlten sich in Dresden sicher, der Krieg war ja fast zu Ende, die Front im Osten wie im Westen rückte immer näher zusammen. Man glaubte, es passierte nichts mehr und dann das. „Wir waren dann Flüchtlinge mit drei Koffern.“ Der Rest war verbrannt, verkohlt. Der damals 12jährige wurde zum Zeitzeugen dieses Wahnsinns. Die Bilder von damals blieben in seinem Kopf, vor allem, wenn er später mal in seine Heimatstadt zurückkehrte, sah er das brennende Dresden wie in einem Film vor seinen Augen. Es hat ihn später mehr als aufgebracht, wenn Rechtsextremisten und neue Nazis über einen Bomben-Holocaust schwadronierten und dabei bewusst den Zusammenhang zwischen der Zerstörung der Stadt und der deutschen Kriegsschuld ignorierten. Plötzlich kamen die Bomben zurück, wenn man so will, die man jahrelang über ganz Europa abgeworfen und vieles zerstört hatte. Man denke an Rotterdam, an Coventry, an den Vernichtungskrieg der Nazis gegen die Sowjetunion. Baum wusste das als Kind, seine Mutter war eine Russin, verheiratet mit einem Deutschen. Geschätzt 60 Millionen kostete der 2. Weltkrieg, mindestens 25 Millionen Tote allein auf sowjetischer Seite, zu dem damals die Ukraine gehörte. Eine Relativierung, die zuerst die Kommunisten in der ehemaligen DDR vornahmen, später und heute tun es die neuen Nazis in Demonstrationen in Dresden.
Als Jungliberaler gegen braune Netzwerke
Baum wurde Mitglied einer FDP, die in den ersten Jahren der Nachkriegszeit schwer mit alten Nazis zu tun hatte. Die Jungliberalen hatten zu kämpfen gegen braune Netzwerke, es war ja so damals, dass viele, nicht nur Freidemokraten, von der Nazi-Zeit nichts wissen wollten, Schwamm-drüber hieß die Parole, gegen die Baum und Co angingen, kein Schlussstrich, den selbst der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte, der kein Nazi war, sondern selbst Verfolgter, der aber einen wie Globke(Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze) als seinen Chef im Kanzleramt beschäftigte. Es war für die damalige FDP beinahe normal, wenn man auf Parteitagen die erste Strophe des Deutschlandliedes sang(Deutschland über alles). Das Projekt Demokratie der Jungliberalen stieß auf das Misstrauen der Alten.
1969, die Bildung der ersten sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt und Walter Scheel war für einen wie Gerhart Baum wie ein Feiertag. Brandts Satz „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, seine Ostpolitik mit dem Willen zur Aussöhnung mit dem Osten, war ganz im Sinne der Jungliberalen, auch wenn dieser Politik-Ansatz zunächst Hass und Anfeindungen in Teilen der Gesellschaft auslöste. Vor allem die Union bekämpfte Brandts Ostpolitik, FDP-Abgeordnete wechselten die Seiten hin zu den Schwarzen, sie wollten Brandt stürzen, doch Barzel scheiterte im Misstrauensvotum gegen den sozialdemokratischen Kanzler und Friedensnobelpreisträger. Dass Genscher und Scheel mit ihrer Politik die Existenz der FDP aufs Spiel setzten, war den Jungen bewusst, doch diese historische Zäsur musste so sein, wie Baum später gern erläuterte. Es lag viel Mief über der deutschen Gesellschaft, nicht nur über den Hochschulen, in denen gegen den „Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“ protestiert wurde.
Der Reformflügel der FDP stand dem Wirtschaftsflügel unter Leitung von Otto Graf Lambsdorff gegenüber. Auf FDP-Parteitagen konnte man den Riss spüren, der durch die Liberalen ging. So wurde zum Beispiel das Thema Atom-Energie zum Streitpunkt der Partei. Andere kamen hinzu wie das Erbrecht, das Bodenrecht, die Reform der Unternehmensmitbestimmung. Und nicht zu vergessen die Steuerpolitik, dagegen wollten die FDP-Freunde um Lambsdorff die Sozialpolitik kürzen, weniger Staat hieß ihre Parole, mehr Privat.
Traumatische Erfahrung
Die Bonner Wende war für Baum eine fast traumatische Erfahrung. Zwar hatte er gespürt, dass ihn der Kanzler Helmut Schmidt nur als dritte Wahl ansah, wenn man so will, ihn, Baum, nicht so ganz voll nahm, was bei einem Welt-Kanzler wie dem Hamburger schon mal passierte. Aber Baum schätzte Schmidt und die sozialliberale Koalition. Doch gegen Lambsdorffs und Genschers Kurswechsel hin zur CDU mit Helmut Kohl hatte er keine Chance. 34 FDP-Fraktionsmitglieder stimmten für den Wechsel, 18 dagegen. Kohl gewann das konstruktive Misstrauensvotum. Anders als Matthäus-Maier, Günther Verheugen, Andreas Schöler blieb Baum in der FDP, schweren Herzens. Den Mut, es in einem Zweikampf mit FDP-Chef Genscher aufzunehmen, brachte er nicht auf. Der arme Uwe Ronneburger aus dem hohen Norden musste diese Karte spielen und verlor. „Die Wende ist für mich immer noch ein Stachel im Fleisch, auch ganz persönlich.“ So Baum später.
Baum erlebte dann sehr schnell, was dieser Wechsel auch bedeutete. Sein Amtsnachfolger wurde der CSU-Mann Friedrich Zimmermann(Old Schwurhand sein Spitzname) ließ die Förderung des Bundesfilmpreises an den Regisseur Herbert Achternbusch in Höhe von 75000 DM stoppen, weil er dessen Film „Das Gespenst“- Hauptperson Jesus Christus- als „widerwärtig, blasphemisch und geschmacklos“ empfand. Baum blieb dann noch bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages. Danach arbeitete er als Rechtsanwalt, als solcher vertrat er die Opfer des Ramstein-Unglücks, die Angehörigen der Concorde-Katastrophe, er war Anwalt für sowjetische Zwangsarbeiter in einem Verfahren gegen die Bundesregierung und vertrat die Mehrzahl der Betroffenen des Loveparade-Unglücks von Duisburg. Im Sommer 2022 übernahm er das Mandat zur Vertretung der Hinterbliebenen der Opfer des Münchner Olympia-Attentats. Gemeinsam mit Burghard Hirsch klagte Baum erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht.
In den letzten Jahren machte sich Gerhart Baum stark im Kampf gegen den Rechtsruck in Europa. Immer wieder warnte er vor den Verfassungsfeinden der AfD. In einem Gastbeitrag für die SZ nannte er diese Entwicklung „ungeheuerlich“ und mahnte: „Wer AfD wählt, gibt Menschen ein Mandat, welche die Demokratie abschaffen wollen und Deportationen planen.“ Die Lage sei ernst. „Ich kann mich an keine Situation seit 1945 erinnern, die für die Demokratie so herausfordernd war wie die heutige.“ Er kritisierte auch die Politiker und forderte, es müsse besser regiert werden, viele Menschen fühlten sich nicht verstanden, andere sich alleingelassen. „So kann Demokratie nicht funktionieren.“ Anlässlich der Feiern zum 75jährigen Bestehen des Grundgesetzes würdigte Baum im Berliner Reichstag das Grundgesetz als deutsche Verfassung. Er erinnerte daran, wie die Deutschen nach dem Ende der Nazi-Zeit die Demokratie lernen mussten und heute müssten „wir lernen, sie zu verteidigen“. Diese Frage beschäftigte ihn bis zu seinem Tod. Er war ein unbeugsamer Verteidiger der Bürger- und Menschenrechte, die Stimme der Vernunft gegen die AfD, das sozialliberale Gewissen einer FDP, mit dessen heutigem Vorsitzenden Christian Lindner er nicht viel anfangen konnte.
Bildquelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F055881-0013 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de
schön respektvoll geschrieben, dass steht dem blog der republik gut zu Gesicht!
Danke für das Erinnern an einen denkwürdigen historischen Meilenstein für deutschsprachige …
Ich kannte Gerhart Baum in meinen Kölner Südstadtjahren ein bisschen, da war so seine besondere Aura; selten aber gehaltvoller Gedankenaustausch per Mail. Außerdem habe ich wie er die wundervolle NGO , die GRÜNHELME gerne großzügig unterstützt. Günter Wallraff war ihm sehr nah ihm und sie kämpften gemeinsam erfolgreich für die Freiheit von Julian Assange.