Das Amt des Oberbürgermeisters in Köln ist ein wichtiger Seismograph für die Machtverhältnisse in NRW. Nicht selten haben parteipolitische Wechsel auf dem OB-Sessel in Nordrhein-Westfalens größter Stadt Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen vorweggenommen. Zuletzt 2009, als Kölns CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma abgewählt und Jürgen Roters, der gemeinsame Kandidat von SPD und Grünen, Stadtoberhaupt wurde. Ein Jahr später hatte auch CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers keine Mehrheit mehr. 2015 zeichnet sich in Köln bei der OB-Wahl im September erneut ein Wechsel ab; die SPD dort hat sich an die Wand gespielt. Oder: Grandios verzockt.
Zwei SPD-Großstrategen wollten unter sich ausmachen, wer im September neuer OB der Rhein-Metropole wird und haben der Partei ein Desaster beschert. Während die beiden Polit-Kumpel, der SPD-Ratsfraktionsvorsitzende Martin Börschel und der Unterbezirksvorsitzende Jochen Ott, in Allmachtsphantasien glaubten, sich die Stadt im Zweigang untertan machen zu können, einigten sich die Findungskommissionen von CDU, Grünen und FDP darauf, die Sozialdezernentin der Stadt, Henriette Reker, gemeinsam als Kandidatin zu unterstützen. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass der nächste Kölner OB kein Sozialdemokrat ist.
Börschel und Ott, die die Partei einerseits keinen Widerspruch erlaubend – also „stalinistisch mit menschlichem Antlitz“, wie Genossen stöhnen – führen, andererseits so tun, als könnten sie die Suche nach dem Chef der größten Stadtverwaltung NRWs unter sich ausmachen wie eine Klassensprecherwahl, waren sich sicher, dass das Amt auf einen von ihnen beiden zulaufen müsste. Die Partei schalteten sie aus und versprachen als „Zweierfindungskommission“ zur gegebenen Zeit bekannt zu geben, wer von ihnen antreten werde.
Die Partei, das sind in Köln Martin Börschel, ein Typ, der immer so verklemmt wirkt, als habe er Angst, sich selbst im Traum die Wahrheit zu sagen, und Jochen Ott, ein Dröhnkopf, der nach der Parteispendenaffäre der Kölner SPD als vermeintlicher Saubermann hochgespült wurde und dieses Ereignis als tragendes Fundament für ein politisches Lebenswerk hält.
Während die beiden selbst ernannten Kandidaten die eigene Partei sedierten (und die sich sedieren ließ), waren alle anderen Parteien hellwach, um den „Männerfreunden“ aus dem nördlichen Stadtteil Nippes, die dort Haus an Haus mit gemeinsamen Grill wohnen und dort ihre Entscheidungen treffen, mit einem gemeinsamen Kandidaten die Schau zu stehlen.
Dass dieses Kunststück in den Führungsgremien von CDU, Grünen und FDP gelang, haben sich Börschel und Ott selbst zuzuschreiben. Es ist ein Lehrstück über Arroganz, Fehleinschätzung und Missachtung der Wählerstimmung. Äußerer Anlass war eine kaum zu übersehende Stimmauffälligkeit bei den Kommunalwahlen im letzten Mai. Im Briefwahlbezirk 20 874 im betulich bürgerlichen Rodenkirchen hatten die Sozialdemokraten fast doppelt so viel Stimmen wie die CDU bekommen. Das war insofern merkwürdig, da die CDU am Wahltag selbst in den Wahllokalen eine klare Stimmenmehrheit in dem Bezirk hatte. Aber die Briefwahlstimmen retteten den UB-Vorsitzenden vor einer Blamage. Nur so konnte er knapp in den Rat einziehen und SPD und Grünen immerhin ein Patt im Rat besorgen, dass durch die Stimme von Oberbürgermeister Roters zur hauchdünnen Mehrheit werden konnte.
Kein Wunder, dass CDU und FDP verlangten, die Stimmen in diesem alles entscheidendem Wahlbezirk neu auszuzählen. Die SPD tat das mit dem bemerkenswerten Argument ab, durch eine erneute Auszählung diskriminiere man die ehrenamtlichen Wahlhelfer, weil man sie der Unredlichkeit bezichtige. Auch die Grünen hatten zunächst kein Interesse, die knappe rot-grüne Mehrheit im Rat zu gefährden. Dann allerdings registrierten sie die Stimmung der Bevölkerung und drehten gemeinsam mit CDU und FDP das ganz große Rad: Erneute Stimmenauszählung nicht nur im kleinen Rodenkirchener Wahlbezirk, sondern in der ganzen Stadt. Über deren Rechtmäßigkeit streiten nun Rat, Bezirksregierung, NRW-Innenministerium und Gerichte. Ein juristisches Urteil steht noch aus.
Politisch allerdings steht die SPD, stehen vor allem die beiden Spitzenleute vor einem Scherbenhaufen. Von Börschel, den verdiente Repräsentanten der Stadt gern auch mal „Putin von Köln“ nennen, berichten Journalisten, dass für ihn das OB-Amt ein finanzielles Minusgeschäft wäre: viele seiner mehr als ein Dutzend lukrativer Aufsichtsrats- und Verwaltungsjobs hätte er aufgeben müssen. Und über Jochen Ott lästern die eigenen Parteigenossen: es sei ohnehin sehr schleierhaft, wie es sich ein Mann mit der korrekten beruflichen Bezeichnung „Lehramtsanwärter“ überhaupt hätte zutrauen können, eine (seit Jahren miserabel regierte) Millionenstadt zu führen, die dringend neue Ideen und einen klugen Kopf benötigt. Für (oder gegen) sein politisches Standing spricht, dass er selbst auf Landesebene mit dem schlechtesten Ergebnis aller Kollegen als stellvertretender SPD-Vorsitzender wiedergewählt wurde.
Im Angesicht eines drohenden Desasters schwört das einzelkämpferische Duo, das die SPD-Chancen an die Wand gefahren hat, die Genossen auf Solidarität ein. „Lasst uns zusammen stehen, nicht in Hektik verfallen und gemeinsam kämpfen. Solidarität ist, war und bleibt eines unserer höchsten Werte“, ließen sie in ihrem wöchentlichen Rundbrief an die Stadtpartei wissen.
Und wenn es mit der Solidarität, die für die beiden Egomanen bislang keinen großen Wert hatte, nicht klappt: ratlos sind sie dann offenbar auf Kosten der Kölner nicht.
Ein Ausweg: Der amtierende SPD-OB, Jürgen Roters, könnte es noch einmal richten. Der hatte 2014 bei den Kommunalwahlen darauf bestanden, sein letztes Amtsjahr auszuüben, ein Schelm, der da nicht an einen Börschel-Ott-Plan denkt… Die OB-Wahl 2015 kostet die Bürger der Stadt – eine Stichwahl im September eingerechnet – 2,8 Millionen Euro. Ein kapitaler Witz, wenn der Mann, Wachs in den Händen der beiden SPD-Führungsleute, jetzt sagen würde: Ich hab mich geirrt, ich möchte mich in Köln noch einmal selbst verwirklichen. Bei der Bilanz seiner OB-Jahre fast eine Drohung. Denn auch Roters hat offenbar nicht kapiert, dass der Job des Oberbürgermeisters in Deutschlands viertgrößter Stadt zu wichtig ist, als dass er Egomanen, Klassensprechern oder lust- und kraftlosen Amtskettenträgern überlassen werden dürfte.
Ein anderes Gerücht kreist um eine völlig verwaltungsunerfahrene stellvertretende Bürgermeisterin, die die beiden Großstrategen schon 2013 in den Bundestag abschieben wollten, um ihre eigenen Personalvorstellungen im Kölner Rat zu verwirklichen. Auch damals haben die Wähler nicht mitgemacht….
Und Karrierist Börschel und Leichtmatrose Ott haben natürlich nichts daraus gelernt.
Bildquelle: © Stadt Köln/CoellnColoer