Eine Forderung hat abgehoben wie ein vollbesetzter Airbus vom Flughafen. Drinnen sitzen Anhänger und –innen der Forderung „…muss raus aus den Köpfen“. Das ist wahlweise der Beton, der raus soll, der Rollstuhl, Ungerechtigkeit, Pegida, Nationalismus, Rassismus, die Mauer, Religion und so weiter.
Ist das nicht komisch? Das Wörtchen raus wird genutzt, um einen unerbetenen Gast los zu werden: Raus! Oder um einen Ausverkauf anzukündigen: Alles muss raus! Oder weil es brennt: Schnell raus hier! Mal bin ich Subjekt beim Gebrauch von raus, mal Objekt. Und nun stellt sich jemand hin, um zu fordern: Das muss raus aus deinen Kopf.
Ich glaubte, mein Kopf sei mein ureigenes Territorium, mein Sanktuarium, das nur ich betreten darf. Woher wissen Leute, was ich im Kopf habe? Hat Nationalismus eine bestimmte Kopfform? Ich schätze, es ist Zeit für eine Klarstellung: Was ich im Kopf habe, geht dich oder sie nichts an.
Ob ich meine, Betonbauten statt Holzbauten seien akzeptabel, ob sich beim Wort behinderter Mensch in meinem Bewusstsein das Bild eines Rollstuhls bildet, ob ich die Umbenennung der Mohrenstraße für falsch oder richtig halte, an einen Gott glaube oder nicht, geht niemanden außer mir etwas an. Basta. Das wird Passagiere dieses Airbusses aber nicht daran hindern, weiterhin komische und abstruse Forderungen zu erheben. Daher habe ich nachgeguckt, was hinter solchen Forderungen steckt.
Aminata Toure, die tüchtige Vizepräsidentin des Schleswig – holsteinischen Landtags, sagte dem Norddeutschen Rundfunk, Rassismus müsse raus aus den Köpfen. Gegen Rassismus in Köpfen müsse politisch und zivilgesellschaftlich vorgegangen werden.
Was hat die Zivilgesellschaft in meinem Kopf zu suchen? Oder Politik? Was ich da reinlasse und rauswerfe, das ist meine Sache. Aber vielleicht meint die Vizepräsidentin etwas anderes, nämlich, dass sich Vorstellungen im Kopf wie ein falsch geschriebenes Wort an der Schultafel wegwischen ließen. So funktioniert das aber nicht.
Eine kleine Überlegung führt zu folgender Einsicht: Entscheidungen für oder gegen etwas in mir müssen durch eine mir eigene Instanz. Die ist mal mehr Mal weniger aktiv. Mal sagt sie mir: Die oder der hat Recht. Mal schweigt sie auch. Mal führt sie mich in meine Vergangenheit zurück, zu den Zeitpunkten, an denen ich mit einem Wort zu tun bekam: Nationalismus zum Beispiel. Meine linksrheinische Familie – „Landkölner“ – hatte mit Nationalismus nichts am Hut. Nationalismus war der fremd. Aber über „Zigeuner“ wurde geredet, wie ich erinnere. Nicht freundlich – eher mit Distanz. Man meinte: Denen sei nicht zu trauen. Man kannte die nicht richtig, es war eine Vorstellung durch Hörensagen. Und die sind ja stets mit Vorsicht zu betrachten. Ich lernte im Laufe meines Lebens, den Anspruch auf eine Eigen- statt eine Fremdbezeichnung zu respektieren.
Meine mir eigene Instanz fragte mich aber nicht: Wie hätte Oma sich verhalten, sondern sie förderte automatisch Erinnerung in mein Jetzt. Das passiert ohne eigenes Wollen. Einfach so. Das ist manchmal schwierig und schmerzlich Wir haben hierfür in unserer deutschen Sprache spezielle Ausdrücke: Man fragt sein Gewissen; Mensch ringt mit seinem Gewissen, er steht vor einer Gewissensentscheidung etc. Diese Ausdrücke sind nicht zufällig entstanden.
Wie der virtuelle Inhalt meines Kopfes so sind auch solche Vorgänge völlig „privat“. Völlig mir gehörend. Und wir tun gut daran, die privat zu halten – es sei denn wir wollen über einen solchen Vorgang Rechenschaft ablegen und glauben, das sei für andere wichtig, orientierend, hilfreich, spannend. Wie auch immer.
Ich möchte hier nicht das Wort „Würde“ bemühen, sondern den Hinweis geben, dass dieses Private im Menschenbild des Grundgesetzes angelegt ist. Das ist keine Mode.
Worte stecken in uns und sie existieren außer uns. Passagiere jenes Airbusses sind überzeugt, dass Schmerz durch gesprochenes Wort und aufgeschriebene Worte verhindert werden muss. Das ist ein großer Irrtum. Unsere Sprache ist nichts Totes. Sie wird gesprochen und aufgeschrieben, gesungen. Wer sie nutzt, der müsste, wie Heinrich Böll einmal schrieb, eine Vorstellung entwickeln, „wo diese Sprache eine geschichtliche und politische Heimat hat.“ So verwies der Nobelpreisträger von 1972 auf Kindheit und Jugend, auf Eltern und Nachbarn und Freunde, Zerstörung und Bauen, auf daheim wie fremd sein; auf Brüche und Enttäuschungen, Freude und Wohlergehen. Schmerz gehört dazu. Durch Worte erzeugter Schmerz ist in unserer Sprache unvermeidlich. Schmerz, muss in Kauf genommen werden wie schmähende Kritik. Ein „Pursuit of Hapiness“, ein Glücksversprechen wie in der US-Unabhängigkeitserklärung gibt es im Grundgesetz für die Bundesrepublik nicht.
Schmerz: Unsere Sprache unterdrückt solchen Schmerz nicht. Aber das Auslöschen von Worten unterdrückt sehr wohl Sprache. So wird Sprache ärmer. Wollen wir das?
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