1. Problemstellung
Nach Schätzungen des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation WHO von 2015 haben aktuell 663 Mio. Menschen weltweit keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und über 2,4 Mrd. Menschen, d.h. ein Drittel der Weltbevölkerung, verfügen über keinen Zugang zu angemessener Sanitärversorgung, die Hälfte davon müssen sogar ihre Notdurft im Freien verrichten. An den daraus wegen mangelnder Hygiene resultierenden Krankheiten sterben nach derselben Quelle weltweit mehr Menschen als an Tuberkulose, Malaria und AIDS zusammen (UNICEF 2015, Winkler 2011). Insbesondere Kinder in Entwicklungsländern leiden unter diesen Missständen; dort stirbt alle 3 ½ Sekunden ein Kind an einer Krankheit, die durch verunreinigtes Wasser übertragen wird.[1]
Wasserentnahme aus einem See in Indien
(UNICEF/NYHQ2014-3287/Noorani aus: www.unicef.de/28.7.2015)
Schaut man sich die hydrologische Situation auf unserem Planeten wertfrei an, so ist fachlich unumstritten, dass theoretisch betrachtet die Summe aller heute bekannten Wasservorkommen (Grundwasser und Oberflächengewässer) in allen Regionen der Welt ausreicht, um alle Menschen mit ausreichend Trinkwasser zu versorgen. Tatsächlich gibt es jedoch, wie in nachfolgender Weltkarte gut zu erkennen, große regionale Unterschiede. Neben großen Gebieten mit Wasserüberschuss (z.B. Nordeuropa und Russland) gibt es Regionen mit Wassermangel und das nicht nur in Wüstengebieten. Zunehmender Mangel trifft auch nicht nur die Dritte Welt (z.B. Ostafrika südlich der Sahelzone), sondern auch Industrieländer (z.B. die USA und China). Gründe für diese ungleiche Verteilung werden in Kap. 6 ausführlich erörtert.
(aus: Wasser u. Umwelt 11, 1-6 (216), Copyright GWW, ISSN 1864-2014)
Ein Blick auf die aktuellen Zahlen des Wassergebrauchs zeigt, dass es auch darin weltweit große räumliche Unterschiede gibt. So beträgt der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch an Trinkwasser in Nordamerika und Japan durchschnittlich 350 l/Einwohner u. Tag, in der Bundesrepublik Deutschland 120 l/Einwohner u. Tag, jedoch in der Region südlich der Sahara nur 10 – 20 l/Einwohner u. Tag. Die Wasseraktivistin M. Barlow (2014) spricht in diesem Zusammenhang von „Wasserungerechtigkeit“ und sagt sehr pointiert: „Der fehlende Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen ist das vielleicht größte Menschenrechtsproblem unserer Zeit, jedenfalls wenn man nach der Zahl der Betroffenen geht“. Dies gelte es zu überwinden!
Der Politikwissenschaftler B. Ladwig (2007, 2009) stellt angesichts der starken Ungleichverteilung des globalen Wasserangebots und -gebrauchs die grundsätzliche Frage, ob dies nur ein „bedauernswerter Missstand“ oder ein „Unrecht“ ist.
Ordnen wir beides lediglich als einen bedauernswerten Missstand ein, dann wäre es unser freiwilliges Engagement (vergleichbar mit Drittweltaktionen), uns für sauberes Trinkwasser und hygienische Abwasserbeseitigung weltweit einzusetzen.
Wenn es dagegen als Unrecht eingestuft wird, dann resultiert daraus eine Pflicht, die wir anderen Menschen, wo auch immer in der Welt, schulden. Oder anders ausgedrückt: Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser und die hygienische Beseitigung des Abwassers ist dann folgerichtig ein allgemeingültiges Menschenrecht.
Dies sind sehr unterschiedliche Positionen. Daher widmen wir uns der Frage, ob und wie ein Menschenrecht auf Wasser begründbar ist.
2. Gründe, die für ein Menschenrecht auf Wasser sprechen
Nach Ladwig (2007, 2009) lässt sich der Anspruch auf Zugang zu Trinkwasser und Abwasserentsorgung als ein Menschenrecht in 3 Kontexten begründen:
2.1 Politische Ebene:
Für die politische Begründung eines Menschenrechts sind, wie Ladwig ausführt, i.A. „Antworten auf Erfahrungen mit Unrecht und auf Gefährdungen eines menschlichen Lebens in Würde“ im täglichen Leben. Die dann formulierten Menschenrechte richten sich vor allem an die politischen, aber auch privatwirtschaftlichen Akteure, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht zu werden. Beim Thema Wasser bedeutet dies vor allem, dass eine Regulierung und Kontrolle des Wassermarktes eingeführt wird, unabhängig davon, ob die Wasserver- und –entsorgung in staatlichen oder privatwirtschaftlichen Händen liegen. Ziel der politisch Verantwortlichen muss es sein, zu gewährleisten, dass alle, auch die sozial Schwachen und Ärmsten, Zugang zu sauberem Trinkwasser und hygienischer Abwasserentsorgung haben; d.h. „Wasser ist ein öffentliches Gut, auf das jeder einen Anspruch hat“ (Ladwig 2009). Wenn dieser Standard gewährleistet wird, ist es menschenrechtlich gesehen nicht vorrangig, ob die Wasserversorgung in staatlichen oder privaten Händen liegt.
2.2 Juristische Ebene:
Die Juristen leiten den Anspruch auf das Menschenrecht auf Wasser aus dem Internationalen Pakt für wirtschaftliches, soziales und kulturelles Recht (UN-Sozialpakt von 1966), der seit 1976 in Kraft ist, ab; die Rechte auf Wasser- und Sanitärversorgung werden im Text nicht explizit genannt, sie gelten jedoch danach allgemein als völkerrechtlich anerkannt.
2002 wurden im „Allgemeinen Kommentar Nr. 15“ (CESCR 2002) die Rechte auf Wasser- und Sanitärversorgung bestätigt und als Voraussetzung zur Verwirklichung aller anderen Menschenrechte deklariert; daraus wird abgeleitet, dass ein „angemessener Lebensstandard“ (Art. 11) und „Gesundheit“ (Art. 12) nur durch das Recht auf Wasser- und Sanitärversorgung zu erreichen ist.
2010 haben schließlich die UN-Vollversammlung (UN 2010a) und wenig später der UN-Menschenrechtsrat (UN 2010b) Resolutionen verabschiedet, in denen die Rechte auf Wasser- und Sanitärversorgung ausdrücklich als Menschenrechte ausgewiesen werden. Ein Zusatzprotokoll aus dem Jahre 2013 ermöglicht zudem individuelle Beschwerden im Zusammenhang mit diesen beiden Menschenrechten (Details s. www.menschenrecht.org.de).
2.3 Moralische Ebene:
Ausschlaggebend für die Existenz von Menschenrechten sind jedoch generell moralische Argumente. Dies ist insbesondere zutreffend für die Begründung eines Menschenrechts auf Wasser, da Menschen ohne Wasser weder überleben noch ihre persönlichen Fähigkeiten entfalten können.
Zum Schluss seiner grundlegenden Überlegungen zum Thema Menschenrecht auf Wasser schließt B. Ladwig schon 2007 mit der Aussage: „Die Zeit ist reif für ein Wasserrecht auf Wasser, da Umweltzerstörung, Kriege und gewollte Verknappung einen erschwinglichen Zugang zu sauberem Wasser verhindern“.
Kurz darauf wurde im September 2008 im Rahmen der Diskussion über diese Fragestellung in einem 1. Schritt die Stelle eines „Unabhängigen Experten für die Umsetzung des Rechts auf sicheres Trinkwasser und sanitäre Anlagen“ eingerichtet und die Portugiesin Catarina de Albuquerque mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe betraut; sie vertritt diese Aufgabe seitdem durchaus erfolgreich.
In der internationalen fachlichen Diskussion wurden auch eine Reihe von Einwänden gegen die allgemeine Einführung eines Menschenrechts auf Wasser vorgebracht wie
– ausreichende regionale Wasserressourcen stehen nicht jedem Staat zur Verfügung,
– die Kriterien für die Pflichterfüllung seien nicht klar formuliert und/oder
– es sei nicht klar festgelegt, wer für die Pflichterfüllung verantwortlich ist.
3. Einführung des Menschenrechts auf Wasser.
Nach Meinung der Befürworter werden all diese Punkte im o.a. Allgemeinen Kommentar Nr. 15 (CESCR 2002) eindeutig beantwortet. Daher wurde am 28. Juli 2010 von der UN-Vollversammlung die Resolution 64/292 mit der Aussage: „Die Vollversammlung erkennt das Recht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung als Menschenrecht an, das unverzichtbar für den vollen Lebensgenuss und sämtliche Menschenrechte ist“ verabschiedet und alle Mitgliedsstaaten und internationalen Organisationen dazu aufgefordert, den Entwicklungsländern dabei zu helfen, dass „unverseuchtes, sauberes, zugängliches und bezahlbares Trinkwasser und Sanitärversorgung für alle“ zur Verfügung stehen (UN 2010a).
120 Länder, darunter auch Deutschland, ratifizierten die Resolution. Die Befürworter der Resolution repräsentierten nach Brent Patterson zitiert in M. Barlow (2014) 5,4 Mrd. Erdenbürger, jene, die sie ablehnten 1,1 Mrd. Menschen.
Zusätzlich nahmen am 30. September 2010 die 47 Mitglieder des UN-Menschenrechtsrates eine 2. Resolution an, die das Recht auf Wasser- und Sanitärversorgung bestätigte; diese Resolution war weitergehend als die der Vollversammlung, da das Menschenrecht auf Wasser als „Teil des Völkerrechts“ deklariert wurde und damit auch individuelle rechtliche Schritte bei Verletzungen des Menschenrechts auf Wasser möglich geworden sind (UN 2010b).
Als letztes Glied in dieser Kette muss die Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahre 2012 angeführt werden. Dort wurde das Recht auf Wasser und Sanitärversorgung in das Abschlussdokument „The Future We Want“ aufgenommen. Dies war nach Meinung von M. Barlow (2014) ein großer Durchbruch im internationalen Kampf für das Menschenrecht auf Wasser und ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Wassergerechtigkeit.
Die einzelnen Schritte des langwierigen Entwicklungsprozesses hin zu der Einführung des Menschenrechts auf Wasser können im Detail bei Inga Winkler im Essay Nr. 11, der im Februar 2011 vom Deutschen Institut für Menschenrechte herausgegeben wurde, eingesehen werden.
4. Was beinhaltet das Menschenrecht auf Wasser und welche Pflichten ergeben sich daraus?
Nardmann vom Nürnberger Menschenrechtszentrum (NMRZ) hat 2016 in einem Fact Sheet die Inhalte des Menschenrechts auf Wasser und Sanitärversorgung systematisch anhand von 5 Kriterien konkretisiert (Nardmann, 2016; ergänzt nach Winkler, 2011 ). Die sich daraus bei der Umsetzung ergebenden Pflichten für die Staaten als Hauptverantwortliche sowie für die privatwirtschaftlichen Akteure sind hinzugefügt (Rosemann 2004, Winkler 2011):
1. Verfügbarkeit:
Trinkwasser und sanitäre Versorgung muss jedem Menschen für den persönlichen und häuslichen Gebrauch ständig und ausreichend zur Verfügung stehen. Die Regierungen der Staaten sind verpflichtet, alle dafür notwendigen Maßnahmen zu ergreifen; im juristischen Fachjargon spricht man von der „Vollzugspflicht“ oder synonym „Erfüllungspflicht“. M. Barlow (2014) schreibt dazu ganz pragmatisch: „Das bedeutet, dass die Regierungen den Zugang zu Wasser erleichtern müssen, indem sie Wasserdienstleistungen zur Verfügung stellen, wo diese bislang fehlen, und sie haben für angemessene Standards und Regelungen für die Errichtung und den Unterhalt von Toiletten zu sorgen“ (weitergehende Lit. s. COHRE 2008, C. de Albuquerque 2014).
Welche Menge hierzu täglich erforderlich ist, ist schwierig zu bestimmen, da diese von den jeweiligen geographischen, klimatischen und persönlichen Verhältnissen stark geprägt wird. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt als grundsätzlichen Wert 100 l/Person u. Tag für den persönlichen und häuslichen Bedarf. Geringere Mengen können für eine Minimalversorgung ausreichen, bergen jedoch gesundheitliche Risiken (Winkler 2011).
2. Qualität:
Trinkwasser und sanitäre Einrichtungen müssen hygienisch und technisch so sicher sein, dass ihr Gebrauch nicht bedrohlich für die Gesundheit ist.
Hieraus leitet sich u.a. auch die „Schutzpflicht“ des Staates ab, der das Menschenrecht auf Wasser vor Eingriffen Dritter schützen und die Qualität der Dienstleistungen in diesem Bereich, insbesondere wenn nicht-staatliche Akteure beteiligt sind, kontrollieren muss (Winkler 2011).
3. Erreichbarkeit:
Trinkwasser- und Sanitärversorgung müssen von allen Menschen jederzeit gefahrlos und in angemessener Entfernung physisch erreichbar sein. Diese sehr vage Forderung muss nach Gawel u. Bretschneider (2014) konkreter gefasst werden (s. Ausblick in Kap. 8).
4. Erschwinglichkeit oder Bezahlbarkeit:
Trinkwasser- und Sanitärversorgung müssen für alle Menschen wirtschaftlich erschwinglich sein, so dass sie tatsächlich Zugang dazu haben. Dies bedeutet, dass Menschen ohne oder fast ohne Einkommen der Zugang zu Trinkwasser- und Sanitärversorgung im Extremfall kostenlos zur Verfügung gestellt werden muss. Pflicht des Staates als politisch Hauptverantwortlichem ist es also, sicherzustellen, dass alle Menschen zumindest ein Minimum an Versorgung erhalten (Winkler (2011). Menschenrechtlich wird dies auch als „Achtungspflicht“ bezeichnet.
5. Annehmbarkeit:
Die Trinkwasser- und Sanitärversorgung müssen sozial und insbesondere kulturell für alle Menschen akzeptabel sein.
Diese 5 Kriterien und die daraus abgeleiteten Pflichten werden als entscheidend erachtet, um konkret den Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung zu gewährleisten. Das reine Vorhandensein von Einrichtungen reicht nicht, wenn z.B. Frauen gefährdet sind, auf dem Weg dorthin oder bei ihrer Nutzung der Gefahr der Vergewaltigung ausgesetzt zu sein (weitergehende Literatur s. Rosemann 2004, Winkler 2011, Nardmann 2016).
I. Winkler verweist noch zusätzlich auf die Nichtdiskriminierung hin. Denn nach Art. 2(2) des Sozialpakts von 1966 haben Staaten zu gewährleisten, dass die Rechte auf Trinkwasser- und Sanitärversorgung ohne Diskriminierung hinsichtlich Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt, Behinderung, Gesundheitszustand oder sonstigen Status ausgeübt werden können (Winkler, 2011). Dieser Punkt könnte m.E. auch z.T. unter 3. Erreichbarkeit eingeordnet werden.
Für die Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser tragen, wie eingangs erwähnt, die Staaten die Hauptverantwortung. Dies gilt nicht nur für das eigene Hoheitsgebiet. Nach J. Nardmann (2016) „stehen Staaten als handelnde Akteure in einer globalisierten Welt auch gegenüber Menschen außerhalb ihrer Grenzen menschenrechtlich in der Pflicht…..“. Das heißt mit anderen Worten, ein Staat darf weder direkt noch indirekt das Menschenrecht auf Wasser verletzen! Dies gilt aber auch für Privatunternehmen und jede Privatperson. Denn, wenn man z.B. Nahrungsmittel aus Ländern mit Wassermangel, für deren Produktion vor Ort erhebliche Wassermengen eingesetzt wurden (s. Graphik), importiert oder kauft, trägt man grundsätzlich eine Mitverantwortung an der Wasserknappheit in diesen Ländern. So wird indirekt das Menschenrecht auf Wasser für die Menschen in diesen Ländern „verletzt“ (Gendries 2015).
Wieviel Wasser wird weltweit für die Produktion eines Kilogramms unserer täglichen Lebensmittel verbraucht?
(Datenquelle: Mekonnen u. Hoekstra 2010, 2011 u. www.waterfootprint.org)
Das in den Produkten „versteckte“ Wasser (s. Graphik) wird fachlich als „virtuelles Wasser“ bezeichnet. Die Zahlen im Diagramm, die aus einem in ThemenSpezial dieses Blogs erschienenen Artikel, der dieses Thema ausführlich behandelt, entnommen wurden (Morgenschweis 2014), belegen ganz konkret, wieviel Wasser z.B. für die Produktion von einem kg unserer täglichen Lebensmittel, z.B. 15.415 Liter für 1 kg Rindfleisch oder 287 l für 1 kg Kartoffeln, eingesetzt wurde. In der kleinen Graphik sind, aufbauend auf den gleichen Zahlen, die erforderlichen Wassermengen z.B. für 1 Glas Bier oder 1 Tasse Kaffee, der Anschaulichkeit halber dargestellt. Das Diagramm gibt eine kleine Vorstellung von der Größenordnung des für die Ernährung eingesetzten Wasservolumens (Details s. Morgenschweis 2014).
Die Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser wird durch den UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte überwacht und seit 2008 zudem durch die oben erwähnte unabhängige UN-Sonderberichterstatterin Cat. de Albuquerque aktiv gefördert.
5. Wie kann die Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser finanziert werden?
Rd. 7 Jahre nachdem das Menschenrecht auf Wasser durch die Resolution der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit großer Mehrheit verabschiedet und durch den UN-Menschenrechtsrat bestätigt wurde (s. Kap. 3), wird es in vielen Ländern bis heute nicht oder nur unzureichend umgesetzt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist sicherlich, dass für die Verbesserung der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung erhebliche finanzielle Mittel erforderlich sind, die insbesondere in Ländern der Dritten Welt häufig aktuell fehlen. Schon für das Erreichen der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, in denen u.a. die Forderung stand, weltweit die Zahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser zu halbieren, wurden rd. 10 Mrd. US-Dollar pro Jahr als notwendig erachtet (das ist im Übrigen weniger als die Hälfte des Geldes, welches in den Industrieländern für Wasser in Flaschen ausgegeben wird (www.right2water.eu/de). Aus wirtschaftlicher Sicht wird der Nutzen einer intakten Versorgung mit sauberem Trinkwasser als enorm hoch angesetzt. Das Auswärtige Amt zitiert auf seiner Homepage zum Thema Menschenrecht auf Wasser- und Sanitärversorgung: “Ein investierter Dollar in sauberes Wasser – acht Dollar Ertrag“ (Auswärtiges Amt 2017).
Durch angemessenen Zugang zu sanitären Einrichtungen rechnet die Weltgesundheitsorganisation WHO mit einer Zeitersparnis von rd. 30 Minuten pro Tag. Hochgerechnet auf die Weltbevölkerung summiert sich danach der wirtschaftliche Gewinn auf rd. 100 Mrd. US-Dollar jährlich dadurch, dass die Zeitersparnis für mehr Arbeit, Ausbildung und Kinderbetreuung genutzt werden kann (Wikipedia 2017). Danach spricht alles dafür, das Menschenrecht auf Wasser global umzusetzen!
Voraussetzung dafür ist, dass der politische Wille des jeweiligen Staates dazu vorhanden ist, eine flächendeckende und intakte Wasserversorgungs- und Abwasserinfrastruktur zu schaffen. Die Beteiligung der Privatwirtschaft in Form von Public Private Partnerships (PPP), Joint Venture oder ausländischen Direktinvestitionen (foreign direct investment) ist bei ausreichend festgelegten Regularien und wirksamen Kontrollinstitutionen nicht grundsätzlich auszuschließen (s. auch Kap. 4 u. Rosemann 2004). Geldgeber wie die Weltbank, der Internationale Währungsfond und die Welthandelsorganisation bestehen i.d.R. auf der Einbeziehung dieser privatwirtschaftlichen Organisationsformen.
Die aufgeführten je nach lokalen Gegebenheit unterschiedlichen Optionen der Finanzierung des Menschenrechts auf Wasser sind eine gute Überleitung zum nächsten Kapitel, in dem die Frage erörtert wird, inwieweit dieses Menschenrecht heute in der Praxis schon umgesetzt ist.
6. Wie sieht es mit der Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser in der Realität aus?
Die Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser ist nur der erste Schritt, entscheidend ist jedoch seine Umsetzung in der Praxis. Erst dann können, wie Inga Winkler (2011) richtig anmerkt, die Menschen, welche bisher keinen Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung haben, eine effektive Verbesserung ihrer Lebenssituation spüren.
5 Jahre nach der Einführung des Menschenrechts auf Wasser (s. Kap. 3) haben das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF und die Weltgesundheitsbehörde WHO bilanziert wie es mit der Umsetzung dieses Menschenrechts heute bestellt ist (UNICEF 2015). Das Ergebnis ist ernüchternd: 663 Mio. Menschen haben danach keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und über 2,4 Mrd. Menschen keinen angemessenen Zugang zu einer sanitären Grundversorgung. Diese Zahlen, die schon im einleitenden Kap. 1 zitiert wurden, legen auf den 1. Blick nahe, dass das Ganze ohne nennenswerte Wirkung war.
Dies entspricht nicht ganz der Wirklichkeit. In den letzten 25 Jahren haben weltweit zusätzlich rd. 2,6 Mrd. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser erhalten. Welchen Anteil dabei die im gleichen Zeitraum stattfindende starke Industrialisierung und die damit verbundene Urbanisierung und Landflucht mit Anschluss an urbane Ver- und Entsorgungssysteme oder das erst seit 2010 in Kraft getretene Menschenrecht auf Wasser hatten, ist zahlenmäßig kaum zu differenzieren. Wesentlich ist, dass man aktuell davon ausgeht, dass heute weltweit 91% aller Menschen eine Versorgung mit sauberem Trinkwasser haben. Das Thema Trinkwasser wird daher in diesem Bericht insgesamt als Erfolgsgeschichte deklariert. Es wird aber sogleich festgehalten, dass die guten Durchschnittszahlen die großen regionalen und sozialen Unterschiede verdecken: „Acht von zehn Menschen ohne sauberes Trinkwasser leben auf dem Land“ und „zwei Drittel davon in Afrika“ (UNICEF 2015, Eid 2011) bestätigt aus Erfahrungen im UN Water Board diese Entwicklung, weist aber darauf hin, dass durch starkes Bevölkerungswachstum die Zuwachszahlen in einigen Regionen niedriger ausfallen (z.B. Region südlich der Sahara).
Der Ausbau der Sanitärversorgung ist mühsamer und geht insgesamt langsamer voran; so haben heute weltweit 68% der Menschen Zugang zu angemessener Sanitärversorgung, 14% mehr als 1990 (UNICEF 2015).
Insgesamt wird weltweit noch großer Handlungsbedarf gesehen. Bürgerinitiativen und Gewerkschaften arbeiten weiter an der verbesserten Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser. So starteten 275 europäische Gewerkschaften 2012 eine Kampagne mit dem Titel und Logo „Wasser ist ein Menschenrecht“ (www.right2water.eu/de), die europaweit unter dem Mantel des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den öffentlichen Dienst (in Deutschland vertreten durch Verdi) aktiv sind (www.verdi.de/themen/internationales/Wasser-ist-menschenrecht). Das einprägsame Logo ist beigefügt. Hilfreich sind auch politische Initiativen, wie die, die z.B. die Vorsitzende des Subkomitees on Human Rights, Frau Lochbihler, insbesondere ins Europaparlament einbringt.
7. Zusammenfassende Wertung und Ausblick
Die im Titel dieser Abhandlung gestellte Frage, ob Wasser ein Menschenrecht ist, kann am Ende dieses Textes eindeutig mit Ja beantwortet werden. Denn die UN-Vollversammlung hat als Abschluss eines mehr als ein Jahrzehnt dauernden Entwicklungsprozesses am 28. Juli 2010 in der Resolution 64/292 das Recht auf sauberes Trinkwasser und funktionierende Sanitärversorgung ausdrücklich als Menschenrecht erklärt.
Am 30. Sept. 2010 wurde dieses Recht vom UN-Menschenrechtsrat einstimmig bestätigt und als Teil des Völkerrechts deklariert und damit rechtsverbindlich.
Aus menschenrechtlicher Sicht hat sich, wie Inga Winkler vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin in ihrem Essay ausführt (Winkler 2011), in den letzten Jahren enorm viel entwickelt.
Dass es bei der praktischen Umsetzung jedoch noch große Defizite gibt und Milliarden Menschen auch heute noch dieses Menschenrecht vorenthalten wird, ist nicht akzeptabel.
Bei der Diskussion über ein Menschenrecht auf Wasser stand und steht grundsätzlich außer Zweifel, dass Wasser für den Menschen überlebensnotwendig ist. Durch unzureichende technische Infrastruktur, starkes Bevölkerungswachstum, Klimawandel, globale Handelsströme, kriegerische Auseinandersetzungen, Verunreinigung der Gewässer etc. droht diese Wasserknappheit in naher Zukunft zu einer veritablen Wasserkrise auszuarten und unvorstellbare Hungersnöte auslösen. Millionen von Menschen werden ihr ausgetrocknetes Land verlassen und sich in nie endenden Flüchtlingswellen auf der Suche nach Wasser und Nahrung in andere Regionen aufmachen. Ansätze dieser Entwicklung können schon heute bei den Flüchtlingsströmen aus Afrika südlich der Sahara beobachtet werden. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen und ihren Unterorganisationen könnten bis 2025 ca. 3 Mrd. der dann rd. 8,5 Mrd. Menschen auf diesem Planeten davon betroffen sein, wenn nicht im globalen Maßstab entscheidend gegengesteuert wird.
Dieses „Gegensteuern“ kann auf 2 grundsätzlich sehr unterschiedlichen Ebenen vollzogen werden:
1. Mit Hilfe internationaler Wasserpolitik, die bestimmte Handlungsziele und Handlungsoptionen festschreibt. Als Beispiel sind hier die Sustainable Development Goals (SDGs), die im Sept. 2015 im Rahmen der Festlegung neuer globaler Nachhaltigkeitsziele von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden, zu nennen, die bis zum Jahre 2030 erreicht werden sollen. Der Themenbereich Wasser in diesem Regelwerk soll in einem weiteren Artikel in diesem Blog ausführlich und kritisch behandelt werden.
2. Konsumentenverantwortung für globale Wasserfragen, die durch das Einkaufen von Produkten des täglichen Lebens entsteht. Das Problem wurde in 4 angerissen und anhand von Beispielen dokumentiert. Durch den Export des „virtuellen Wassers“ dieser Produkte, also des Wassers das vor Ort für die Produktion der in der Grafik genannten Lebensmittel eingesetzt wird, geht der einheimischen Bevölkerung dringend benötigtes Wasser verloren (mehr Details s. Gendries im Blog „LebensraumWasser vom 8.9.2015; zum Themenkomplex „virtuelles Wasser“ wird auf die Artikelserie im ThemenSpezial dieses Blogs verwiesen (Morgenschweis 2014, 2015).
Das Thema „Konsumentenverantwortung“ soll ebenfalls in einem eigenen Artikel in ThemenSpezial des Blog der Republik umfassend behandelt werden.
Abschließend muss festgehalten werden, dass sich aus menschenrechtlicher Sicht, so I. Winkler vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin, in den letzten Jahren enorm viel entwickelt hat. Und es bleibt die Hoffnung, dass Wasser letztendlich als Friedensstifter in dieser Welt fungieren kann, indem es wieder seiner überlebensnotwendigen Bedeutung gerecht werdend ins Zentrum des menschlichen Lebens gestellt wird, so wie es eigentlich die UN-Resolution vom 28. Juli 2010 unmissverständlich fordert.
Weiterführende Literatur und Links
Albuquerque, Catarina de (2014): Realizing the human rights to water and sanitaion. A Handbook of the UN Special Rapporteur on the human right to safe drinking water and sanitation. Portugal, 2014
Auswärtiges Amt (2017: WASH: Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung. (www.auswaertiges-amt.de)
Barlow, Maude (2014): Blaue Zukunft. Das Recht auf Wasser und wie wir es schützen können. München, 2014 (engl. Original 2013)
CESCR (2002): General Comment No. 15: The Right to Water. UN Document E/C. 12/2002/11. Deutsche Übersetzung in: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.): Die „General Comments“ zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Baden-Baden 2005, S. 324-336.
COHRE (2008): Sanitation: A Human Rights Imperative. Water Aid, Schweizer Agentur für Entwicklung u. Zusammenarbeit und UN-HABITAT, Genf 2008
Eid, U. (2011): Wasser für alle: Best Practice Modelle – Erfahrungen aus dem UN Water Board und der deutschen EZ, 2011. (www.webcitation.org/5zmtJCJ2W)
Gawel, E. u. W. Bretschneider (2012): Gehalt und Grenzen eines Rechts auf Wasser – ein Zwischenruf. In: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR), 137. Jg. (2012), H. 3, S. 321-359.
Gawel, E. u. W. Bretschneider (2015): Die Sustainable Development Goals und das Menschenrecht auf Wasser. Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ. Standpunkt 14. Sept. 2015. (www.ufz.de/index.php?de=36801)
Geiger, Horst (2016): Wasser ist ein Menschenrecht. In: Wasser und Umwelt 2016, H. 11, S. 1-6.
Gendries, S. (2015): Verantwortung für globale Wasserressourcen – Brauchen wir eine Wasserpolitik? In: LebensraumWasser v. 9.8.2015 (www.lebensraumwasser.com/?p=3932)
Herbst, S. u. Th. Kistemann (2007): Wasser und Gesundheit. In. Beate Rudolf (Hrsg.): Menschenrecht Wasser?, Frankfurt a.M. 2007, S. 69-82 .
Hoering, U. (2005): Wasser für Nahrungsmittel – Wasser für Profit. Hintergrund-Materialien Nr. 15. Hrsg. „Brot für die Welt“, Stuttgart 2005
Ladwig, B. (2007): Kann es ein Menschenrecht auf Wasser geben? In: Beate Rudolf (Hrsg.): Menschenrecht Wasser?, Frankfurt a.M. 2007, S. 45-58.
Ladwig, B. (2009): Zur Begründung eines Menschenrechts auf Wasser. Kurzfassung: Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (www.bpb.de/internationales/weltweit/menschenrechte/38745/menschenrecht-wasser?p=all)
Morgenschweis, G. (2014): Teil 1: Zum virtuellen Wasser und Wasserfußabdruck. Blog der Republik ThemenSpezial vom 4.12.2014, S. 1-9 (www.blog-der-republik.de).
Morgenschweis, G. (2015): Teil 4: Deutschland – weltweit drittgrößter Importeur von virtuellem Wasser. Blog der Republik ThemenSpezial vom 22.1.2015, S. 1-10 (www.blog-der-republik.de).
Nardmann, J. (2016): Fact Sheet zu den Menschenrechten auf Wasser und Sanitärversorgung. NMRZ (Nürnberger Menschenrechtszentrum) vom 22.3.2016 ()
Rosemann, N. (2004): Das Menschenrecht auf Wasser unter den Bedingungen der Handelsliberalisierung und Privatisierung – Zusammenfassung einer Untersuchung der Privatisierung der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Manila (Philippinen) für die Friedrich-Ebert-Stiftung. In: HW 48, 2004, H. 3, S. 130-132.
UN (2010a): The Right to Water and Sanitation. Resolution, UN Doc. A/RES/HRC/64/292 vom 3.8.2010.
UN (2010b): Human Rights and access to safe drinking water and sanitation. Resolution, UN Doc. A/RES/HRC/15/9 vom 30.9.2010.
UNICEF (2015): Pressemitteilung von UNICEF Deutschland vom 28.7.2015: Häufige Menschenrechtsverletzung: Dreckiges Wasser. (www.unicef.de/informieren/aktuelles/presse/2015/menschenrecht-wasser/81908)
Wikipedia (2017): Recht auf Zugang zu sauberem Wasser. Internetrecherche vom 1.6.2017 (https://de.wikipedia.org/wiki/Recht_auf_Zugang_zu_sauberem_Wasser)
Winkler, Inga (2011): Lebenselexier und letztes Tabu. Die Menschenrechte auf Wasser und Sanitärversorgung. Deutsches Institut für Menschenrechte, Essay Nr. 11, Berlin 2011.
–
[1] S. Herbst u. Th. Kistemann (2007) sprechen sogar von 5.000 Kindern pro Tag und 1,8 Mio. Menschen pro Jahr. M. Barlow (2014) nennt die Zahl von 3,6 Mio. Menschen, die pro Jahr an Krankheiten, die durch schmutziges Wasser übertragen werden (Durchfall, Typhus, Cholera, Ruhr), sterben.
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Sehr wichtiges Thema.
Vielen Dank für den Beitrag.
MfG