Die Dortmunder Naziszene tut sich seit Jahren mit besonders aggressiven Kampfmethoden hervor. Mit ihren Aufmärschen gehen die Rechtsextremisten gezielt in Wohngebiete und lassen dabei nicht einmal den Heiligen Abend aus. Sie hetzen im Internet mit Slogans wie „Jagd eröffnet jetzt“ und ziehen vor die Privatwohnungen von Journalisten, Pfarrern und Politikern, denen diese „Jagd“ gilt. Fingierte Todesanzeigen, die sich gegen namentlich genannte Einzelpersonen richten, haben Justiz und Staatsschutz auf den Plan gerufen. Die Staatsanwaltschaft prüft Ermittlungen wegen des Verdachts der Ehrverletzung; die Opfer selbst werten die im Internet verbreiteten Anzeigen als Morddrohungen.
„Die Nazis gehen mit diesen Morddrohungen tief unter die Gürtellinie“, schreibt der freie Journalist Felix Huesmann in dem Magazin „Vice“. Er werde sich davon „auf keinen Fall einschüchtern lassen“. In „seiner“ Todesanzeige hieß es: „in unseren Herzen lebst du auf keinen Fall weiter. Bald ist es Zeit zu gehen.“ In der gegen den Journalisten Sebastian Weiermann gerichteten Anzeige stand: „In Liebe und Dankbarkeit nehmen wir fröhlich bald Abschied“ und: „Endlich einer weniger“. In weiteren Machwerken lasen die Opfer Zeilen wie „Nach langem schweren Kampf gegen die Nationalen Aktivisten wird demnächst ganz elendig verrecken“ und „Brenne JUDE brenne“.
Die Ermittlungen richten sich gegen Unbekannt, als Drahtzieher wird Michael Brück vermutet. Der Dortmunder Neonazi-Kader studiert Jura an der Ruhr-Universität in Bochum und betreibt einen einschlägigen Online-Shop, für den in den Todesanzeigen geworben wurde. Brück, der jede Verbindung zu der Kampagne zurückweist, ist stellvertretender Landesvorsitzender der vor zwei Jahren vom Hamburger Neonazi Christian Worch gegründeten Partei „Die Rechte“. Bei der Kommunalwahl im Mai zog einer von ihnen, der als „SS-Siggi“ bekannte Siegfried Borchardt, in den Dortmunder Rat ein. Gleich nach der ersten Sitzung legte er sein Mandat nieder. Für ihn rückte Dennis Giemsch nach. Dessen Anfrage nach der Anzahl und den Wohnorten der in Dortmund lebenden Juden löste im Oktober breite, auch internationale Empörung aus. Dies zeige, sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, „dass Rechtsextreme nichts in unseren Parlamenten zu suchen haben. Sie gehören verachtet und verboten.“
Der Dortmunder Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) beantwortete die provokante Anfrage lediglich mit einem Hinweis auf den Internetauftritt der jüdischen Gemeinde und betonte, die Stadt Dortmund sei „stolz auf ihre aufblühende jüdische Gemeinde“. Die Nazi-Anfrage wertete Sierau als Versuch, ein Klima der „Diskriminierung und Bedrohung“ zu erzeugen, und bekräftigte seine Forderung nach einem Verbot der extrem rechten Partei. Die war in Dortmund 2012 gegründet worden und nahm nach dem Verbot der dortigen Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund – NWDO“ große Teile dessen Führungspersonals auf. Die aktuellen Todesanzeigen sind mit „Nationaler Widerstand“ unterzeichnet.
Die äußerst militante rechte Szene in Dortmund hat eine breite Gegenbewegung in Gang gesetzt, die den Nazi-Kundgebungen stets zahlenmäßig weit überlegene Proteste entgegenstellt. Auch zur Eröffnungssitzung des neuen Rates stellte ein Bündnis getragen von kirchlichen, politischen, gewerkschaftlichen Akteuren eine eindrucksvolle Demonstration auf die Beine. Auf die obszöne Juden-Anfrage reagierten Protestanten mit der Aufforderung an den Oberbürgermeister, in eine solche Zählung alle evangelischen Einwohner einzubeziehen. „Unser Glaube“, hieß es in der Begründung, sei „unter keinen Umständen von dem unserer jüdischen Glaubensgeschwister zu trennen“. Auf diese Weise sei „dem Ungeist menschenverachtender Separierung schon im Keim zu widerstehen“. „Zorn und Abscheu“ gegen die Rechte-Anfrage bekundeten gemeinsam Sozialdemokraten, Grüne, Christdemokraten und Piraten, Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Minister und Bürgermeister.
Die Nazi-Gegner, die etwa im Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus zusammenwirken, sind schon jetzt gefasst auf den 28. März. An dem Tag jährt sich der Tod von Thorsten Schulz genannt „Schmuddel“ zum zehnten Mal. Der Punk wurde von einem Neonazi erstochen, und für die rechte Szene in Dortmund ist das ein Anlass zu feiern. „Das ist eine neue Qualität. Ohne Scheu und Schamgrenze“, sagt Robert Rutkowski der Süddeutschen Zeitung. Er ist Mitarbeiter zweier Landtagsabgeordneter der Piraten, auch gegen ihn gibt es fingierte Todesanzeigen, sein Haus wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, es gab Drohungen am Telefon. „Gemeint sind wir alle“, sagt Rutkowski.