Unter der Ziffer 3.4 findet man im Grundsatzprogramm der AfD folgende Sätze: „Nicht therapierbare alkohol- und drogenabhängige sowie psychisch kranke Täter, von denen erhebliche Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen, sind nicht in psychiatrischen Krankenhäusern, sondern in der Sicherungsverwahrung unterzubringen.“ Die AfD grenzt mit diesen Worten nicht einmal ansatzweise klar umrissene, definierte Gruppen aus dem Kanon der Freiheitsrechte des Grundgesetzes aus. Was an therapeutischem Bemühen einer Feststellung von Nicht-Therapierbarkeit vorauszugehen hat, wird nicht geklärt. Ob es Nicht-Therapierbarkeit überhaupt gibt, wird nicht geklärt. Welche erheblichen Gefahren gemeint sind, ob darunter bereits Eigentumsdelikte zu sehen sind, wird offen gelassen. Wer entscheidet, wann und weshalb Sozialversicherung und deren Leistungserbringer ihre Zuständigkeit für die Behandlung und Finanzierung bestimmter chronischer Krankheiten verlieren – man weiß es nicht. Ob der Sicherungsverwahrung Gefängnisaufenthalte vorausgehen müssen, nicht klar. Der Hinweis auf psychiatrische Krankenhäuser legt die Vermutung nahe, dass in den von der AfD gemeinten Leben regelmäßig an die Stelle des Krankenhausaufenthalts die Sicherungsverwahrung treten soll.
Nach meiner Auffassung liegen die diesen Sätzen zugrunde liegenden „Ideen“ der Praxis der Nationalsozialisten im Umgang mit sogenannten „Asozialen“ näher als dem Menschenbild des Grundgesetzes und dem demokratischen Rechtsstaat unserer heutigen Prägung. Ab 1938 haben die Rassenwahn-Nazis Alkoholkranke unter dem Motto – die sind asozial, Ballastexistenzen, festgesetzt und auch in die KZ verbringen lassen. Wo sie einen schwarzen Winkel erhielten. Und sage bitte niemand, der der AfD beitritt oder ihr applaudiert, er habe das nicht gewusst. Ein Recht auf Nichtwissen gibt es nicht. In früheren, nicht mal allzu lange zurück liegenden Zeiten galten ältere und alte alkoholabhängige Menschen als nicht therapierbar. Heute wissen wir, dass diese Auffassung falsch war. Früher war man sich einig, dass Alkoholkranke, Drogenabhängige nach einer längeren Abhängigkeit unrettbar verloren seien: auch deswegen weil ihre Gene in die Abhängigkeit führten. Auch diese Auffassungen sind falsch. Es gibt Hunderttausende Abhängige, die früher als unrettbar galten, die aber dank der Anonymen Alkoholiker und ihrer eigenen Disziplin ihrer Abhängigkeit gewachsen sind. So wie es Liam Neeson als trocken gewordener
„Bulle“ im Thriller „Ruhet in Frieden“ beschrieb: Ich bin seit acht Jahren trocken. Aber so lustig wie früher ist mein Leben nicht mehr.Der Sinn solcher Sätze, wie sie die AfD beschlossen hat,liegt in der Ausgrenzung von als Zumutung angenagelter Menschengruppen. Ausgrenzung dieser Art zielt auf die Existenz. Und wer ein wenig länger studiert, was die AfD bietet, der findet das System darin. Es geht immer um die Schwachen, um Menschen mit anderen Lebensentwürfen, um Menschen die Hilfe benötigen. Es geht um sogenannte Defizite, um Dumpfheit und Neid und Frustration auf der Seite derer,die sich als die „Gesunden“ wähnen. Diese „Gesunden“ reklamieren für sich Abwehrrechte, Reinheitsgebote. Der eine definiert, was der andere zu sein hat, und was er darf.
Folgen wir einen Augenblick den Worten des saarländischen Landtagsabgeordneten der AfD Josef Dörr: „Wir spüren eine tiefe Glut in uns, an ihr werden wir das Feuer entfachen, die Missstände in unserem Lande sind der Wind, der diese Glut entfacht. Eine Flamme kommt zur anderen Flamme, die Flammen wachsen zu einem Flammenmeer und schließlich zu einem Feuersturm, dieser Feuersturm wird alles hinwegfegen und vernichten, was schlecht ist …“. So munterte Dörr, saarländischer Chef der AfD laut
Deutschlandfunk die Delegierten seiner Landespartei auf. Das war 2016. Dörr ist ehemaliger Schulleiter, er war 23 Jahre lang Mitglied der CDU, dann war er 28 Jahre lang Mitglied in der Partei die Grünen, um schließlich in der AfD zu landen. Auch eine Art deutscher Karriere. Nachdem ihm der Stern bemerkenswerte Kontakte in rechtsradikale Milieu des Saarlandes zugeschrieben hatte (DLF: „Dörr leugnet nicht, dass man sich hin und wieder über den Weg läuft“), wurde er von den Gauländern in der AfD vom Chefposten im Saarland suspendiert. Und dann war er doch wieder obenauf, der Ex-Lehrer, der alles, was nach seiner Auffassung schlecht ist, im Feuersturm vernichten möchte. Das Verbrennen und Vernichten ist ein Aspekt der Ausgrenzung. Klar und unmissverständlich. Ein anderer ist der Vergleich durch Bilder, der schleichend und scheinbar harmlos daher kommt, der aber tatsächlich abgrundtief böse ist. Am 20 April 2018 sagte Dörr während einer Debatte über einen AfD- Antrag im Landtag zu Saarbrücken folgendes: In keinem Krankenhaus und in keiner Krankenhausabteilung würden Menschen mit übertragbaren Krankheiten behandelt, „die dann die anderen Kranken anstecken.“ Das Vergleichs-Bild folgt auf dem Fuße, unmittelbar danach: „In der Schule haben wir die gleiche Situation.“Seine Kernaussage: „Wir haben ….die Situation, dass Kinder beispielsweise mit Down-Syndrom mit anderen Kindern unterrichtet werden, die ganz normal, gesund sind.“ Menschen mit Down Syndrom sind demnach Kranke. Schulleiter Dörr hat nicht verstanden, dass die Natur uns unterschiedlich schafft. Vielleicht will er das auch nicht begreifen. Zusammengerafft heißt das: So wie der an Tuberkulose Erkrankte zu separieren ist, so ist das Kind mit Down Syndrom von denen zu separieren, die nach Dörrs Meinung „ganz normal, gesund“ sind. Das ist keine einzelne Meinung. Wer im Grundsatzprogramm der Partei die Suchfunktion mit dem Wort Behindertenrecht einsetzt, findet den Satz, dass behinderte Kinder eine umfassende und erfolgreiche „Teilhabe am Bildungssystem genössen“. Inklusion hemme behinderte wie nicht behinderte Kinder. Das ist dieselbe Melodie wie bei der Sicherungsverwahrung – nur mit anderen Instrumenten gespielt. Und wer sagt: Ist doch nur eine einzelne Meinung, sind nicht alle so, sollte sich die AfD in Sachsen angucken. Da arbeitete sich der vormalige stellvertretende Landesvorsitzende Thomas Hartung am Thema ab. Er zog über einen jungen Mann mit Down Syndrom her, weil der den Beruf des Lehrers anstrebte: „Was sagt uns das: Sei nur blöd genug, reise in der Welt herum, die Dummen wenden sich schon ganz allein dir zu.“ Damit nicht genug, textete er im Gefühl von Überlegenheit: „Ich spreche einem Menschen mit Trisomie 21 die Befähigung ab, in Deutschland den Hochschulberuf eines Lehrers zu ergreifen, und gebe kund, dass ich als Nichtbehinderter von einem solchen nicht unterrichtet werden möchte.“
Einem größeren Kreis bekannt ist die Kleine Anfrage der AfD aus dem April 2018 zur Schwerbehinderung in Deutschland (BT-Drs. 19/1444). Darin fragt die AfD nach einem Zusammenhang von Schwerbehinderung, Inzucht in Familien und Herkunft – also Migration. Das soll heißen: Behinderung komme wohl öfter dort vor, wo innerhalb der Familie geheiratet wird und das wiederum geschieht in Familien mit der Migration hinter sich öfter als in volksdeutschen. Deutlicher geht es nicht.
Die großen Wohlfahrtsverbände – darunter die Arbeiterwohlfahrt, die Lebenshilfe, die Caritas und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland forderten: „Wir sagen Nein zu jeder Abwertung von Menschen mit Behinderung und zu jeglicher Form des Rassismus. Ideologien der Ungleichwertigkeit menschlichen Lebens dürfen innerhalb und außerhalb der Parlamente keinen Platz haben.“
Bildquelle: Wikipedia, RimbobSchwammkopf
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