Jürgen Treutler war mit sich zufrieden. Gut gelaunt verkündete er vor dem Mikrofon des AfD nahen Internetkanals Deutschlandkurier, dass er geliefert hat. Die 4½-stündige Farce der Landtagseröffnung war genau choreografiert und der 73-jährige Hinterbänkler hat geliefert. Das Ziel war eindeutig, dass die CDU und die anderen demokratischen Parteien zum Landesverfassungsgericht in Weimar gezwungen werden, um ihre legitimen Rechte als Abgeordneten gegen den Alterspräsidenten durchzusetzen.
Das Ganze war also Teil einer Inszenierung, die sofort unterfüttert wurde. In den einschlägigen Tiktok- und Telegram-Kanälen tauchten unmittelbar Bilder auf, die auf ein angeblich empörendes Verhalten von CDU und Co. hinweisen.
Als die AfD bemerkt, dass das Interview die Kommunikationsstrategie gefährdet, wird das Video schnell wieder gelöscht.
Diese Panne hält aber nicht davon ab, die Inszenierung fortzusetzen. Bernd Höcke persönlich kritisiert das Verfassungsgericht, weil einer der neun Richter als Vater eines CDU-Landtagsabgeordneten sich nicht befangen erklärt hat. Die gewünschte Empörung entsteht, die Kommentarspalten bei Tiktok, Youtube und Co. platzen voll Hass auf die sogenannten „Altparteien“ oder wie BH gerne formuliert: „die Kartellparteien“.
Und das AfD Fußvolk saugt dieses angeblich undemokratische Verhalten des Restparlaments und des Verfassungsgerichts auf, verbreitet es weiter, und wieder ist es geschafft, die AfD als einzige Opposition hinzustellen, denen man legitime Rechte verweigert. Ganz nebenbei werden alle demokratischen Institutionen beschädigt, das Parlament, der freie Abgeordnete und das Verfassungsgericht.
Dies ist nur ein Beispiel, dass es der AfD vor allem um eins geht, die Institutionen des Staates in Frage zu stellen, ständig wird betont, dass die Justiz nicht unabhängig ist, sondern parteipolitisch beeinflusst. Der Verfassungsschutz wird als verlängerter Arm der Innenministerin bezeichnet. Und in den Parlamenten wird die gesetzgeberische Arbeit obstruiert.
Dass die AfD auch daran interessiert ist, dass es Deutschland angeblich schlecht geht, wissen wir seit dem abgehörten Gespräch des damaligen Sprechers der Bundestagsfraktion, Christian Lüth. Und die AfD baut ihre komplette Kommunikation darauf auf, alles negativ zu sehen, was gerade auf der politischen Tagesordnung steht. Die Regierung macht nie genug oder alles falsch. Einzelne Förderprojekte, zum Beispiel aus der Entwicklungshilfe, werden aus dem Zusammenhang gerissen dargestellt und als angebliche Geldverschwendung angeprangert.
Die AfD schreibt nicht von Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft auf internationalen Märkten, für sie steht die deutsche Wirtschaft an der Wand, „das Land geht den Bach runter“ ist ein gern genutzter Ausspruch von Weidel und Co. Und natürlich ist die Ampel an allem schuld, ersatzweise noch das Merkelregime. Und in der Ampel, wie könnte es anders sein, die Grünen. Dass in diversen Kreml-Papieren genau dieses Vorgehen beschrieben ist, ficht die Parteiführung nicht an. (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-06/russische-propaganda-rt-de-russland-afd-deutsche-parteien)
Und passenderweise werden sie auch gar nicht mehr drauf angesprochen. Die eigene Klientel ist derart in Wallung, dass Belege über Absichten der Hintermänner keine Relevanz mehr haben.
Die Partei hat damit Erfolg, wie sich in den vergangenen vier Wahlen erkennen ließ. Und lockt merkwürdigerweise damit auch demokratische Parteien an, ins gleiche Horn zu stoßen. CDU und CSU haben in manchen Fragen wie Migration und Kritik an der Regierung erkennbar Mühe, einen Unterschied zur AfD darzustellen. Dass sie in den Umfragen damit nicht punkten, scheint im Adenauer Haus niemanden zu stören.
Nein, die AfD hat diese Strategie nicht erfunden. Dafür sind andere verantwortlich. Die Trump-Kampagne nach den Obama Jahren, die Brexit-Betreiber in Großbritannien sind historische Vorbilder, die mit ähnlichen Kommunikationsstrategien bis hin zu Fakenews ihre Erfolge erzielt haben.
Geholfen hat den Strategen ein Medienmarkt, der ums Überleben kämpft. Wir sehen jeden Tag reißerische Schlagzeilen, die den Online Leser locken sollen, um mehr Werbung zu schauen. Journalismus oder journalistische Sorgfaltspflicht bleiben oft auf der Strecke. Verkaufen ist die oberste Priorität, Inhalt ist nebensächlich. Mit dem Ergebnis, dass ein normaler Diskurs kaum noch möglich ist. Wer sich die Chatverläufe auf Tiktok ansieht, erkennt alle Kommunikationsstrategien des Populismus wieder. Verächtlichmachung, Whataboutism, Framing, Fakenews, alle Register werden gezogen, um den Anhängern immer neuen Erregungsstoff zu liefern und die Kluft zu normal Argumentierenden zu vergrößern. Und der politische Gegner wird diffamiert, es wird mit Verfolgung und Bestrafungen gedroht.
Sollte sich Bundestag und Bundesrat demnächst mit dem interfraktionellen Verbotsantrag zur AfD beschäftigen, sollte diese Kommunikationsstrategie berücksichtigt werden. Denn es wird sehr schwer sein, die derart manipulierten AfD-Anhänger zurück ins demokratische Spektrum zu holen.