Es ist Winterwahlkampf, nur auf ein paar Wochen begrenzt, weil die Bundestagswahl von September auf Ende Februar vorgezogen wurde. Die übliche Auseinandersetzung, wie wir sie seit gut drei Jahren gehabt haben. Opposition gegen Regierung, nach dem Ende der Ampel heißt die Paarung CSU und CDU gegen Rot-Grün, mehr gegen Grün und Habeck, aber weiter auch gegen Scholz, den angeblich schlechtesten Kanzler, den die Republik je hatte. Im Grunde ist es „Business as usual“, als gäbe es nicht die rechtsradikale AfD, die NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst(CDU) eine „Nazi-Partei“ nennt. In weiten Teilen vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft, als verfassungsfeindlich bezeichnet, als eine Partei, die zwar demokratische gewählt wurde, die aber keine demokratische Partei ist. So das Urteil des renommierten Journalisten und Juristen, Heribert Prantl, früher Mitglied der Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“, als Rentner deren Kolumnist. Folgt man Umfragen hat sich die AfD an den Grünen und der SPD vorbeigeschlichen und liegt klar auf Platz zwei hinter der Union, deren Spitzenkandidat Friedrich Merz nicht mal die eigenen Anhänger überzeugt. Erstmals seit Monaten ist diese Union unter die 30 Prozent gerutscht, die AfD dagegen hat inzwischen die 20-Prozent-Linie überschritten. Auf dem Weg nach oben? Der Rechtsruck in der Welt, in Europa, ja sogar in Amerika mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump scheint auch Deutschland anzustecken. Gefahr im Verzug?
Die AfD rüttelt an den Fundamenten der Demokratie. Seit Monaten warnt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Demokratie in Deutschland sei kein Selbstläufer und nicht selbstverständlich. Sie brauche Demokraten, die sie im Notfall verteidigen. Blickt man auf die politische Debatte im Land, scheint das nicht viele aufzuregen. Man erntet oft ein Schulterzucken, stellt man solche Fragen. Was kann ich schon dagegen tun, sagen sie einen. Andere kritisieren die SPD, die Union, die FDP, die Grünen, also das politische Establishment, die hätten mit ihrer Politik diese AfD groß gemacht. Was sie genau darunter verstehen, bleibt nebulös. Vielleicht meinen sie damit, die Ampel-Regierung, Rot-Grün, unionsgeführte Regierungen hätten mehr für sie tun müssen. Sie seien zu weit weg von den Bürgern, abgehoben. Eine andere Antwort lautet schlicht: Mir doch egal.
Dabei ist es ihr Staat, unser Staat, der aller Bürgerinnen und Bürger. Wenn dessen Fundamente wegbrechen, weil eine AfD sie zerstört, wackelt der ganze Laden. Es bleibt mir unverständlich, dass so viele Wählerinnen und Wähler dieser AfD ihre Stimme geben wollen. Nur aus Ärger über die SPD, die Union, die Grünen, die FDP? Die AfD hat jedenfalls auf keines der Fragen, die gelöst werden müssen, eine Antwort. Ihre Politik ist fremdenfeindlich, ja auch antisemitisch, völkisch, auf die Bio-Deutschen angelegt. Letzteres ist ein ziemlicher Unsinn. Millionen von Deutschen, die hier im Lande leben, arbeiten, ihre Kinder zur Schule schicken, haben längst die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie nehmen an deutschen Wahlen teil, ja sie werden gewählt, sie spielen hier Fußball, nicht nur in der Bundesliga, sie sind Ärzte, Krankenpfleger, Feuerwehr-Leute, Taxifahrer, Lehrer, Journalisten und so weiter. Ohne sie würde das Leben zusammenbrechen. Was also soll der Quatsch mit der Remigration?
Ein Straftäter als Präsident
Als vor Jahresfrist die Recherchen von Correctiv bekannt wurden, nach denen die Ultra-Rechten massive Abschiebungen von Ausländer und Migrations-Deutschen planten, war die Empörung groß. Hunderttausende von Menschen gingen auf die Straße und protestieren gegen die AfD und deren menschenunwürdige Politik. Das Aufstehen gegen den Rechtsextremismus hätte man sich früher gewünscht und vor allem wünschte ich mir ihn heute, wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Aber es ist ruhig in der Republik, viel zu ruhig, es herrscht Grabesruhe, weil niemand gestört werden möchte. „Demokratie“, hat der einstige CDU-Politiker, Ministerpräsident von Niedersachsen, Ex-Bundespräsident Christian Wulff gesagt, oder besser gemahnt, „Demokratie klingelt nicht, wenn sie geht. Auf einmal kann sie weg sein.“ Wollen wir das kampflos hinnehmen? Ist es nicht schlimm genug, wenn die Vereinigten Staaten einen Präsidenten haben, dem Demokratie ziemlich wurscht zu sein scheint, für den nur sein Vorteil gilt, rücksichtlos? Dessen Politik einem Angst machen muss, weil er auf andere keine Rücksicht nimmt. Ein Straftäter als Präsident des mächtigsten Staates der Welt, ein Frauen-Belästiger, notorischer Lügner, einer, der seine Niederlage nicht anerkannte und deshalb seine Anhänger zum Sturm aufs Kapitol hetzte, es gab Tote und Verletzte. Es ist schockierend, dass dieser Mann dennoch zur Wahl antreten durfte und nicht im Gefängnis landete, dass die meisten Amerikaner ihn wählten. Ich fass es nicht. Es ist ehrenhaft, wenn führende demokratische deutsche Politiker nicht eingeladen wurden nach Washington, um zu Ehren dieses Mannes sich zu verneigen. Nein, niemand von uns muss sich vor dem verbeugen oder gar in die Knie gehen. Wir müssen uns unterhaken, wir Europäer gegen Trump. Seine Verächtlichmachung der Demokratie und ihrer Werte darf uns nicht anstecken. Dass AfD-Politiker an der Zeremonie teilnehmen, spricht gegen sie.
Am heutigen Montag ist die Amtseinführung von Donald Trump. Dieser 20. Januar ist zugleich ein historisch schwer beladener Tag. Genau vor 83 Jahren fand am 20. Januar 1942 die sogenannte Wannsee-Konferenz statt, mit Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und des SD, Adolf Eichmann, Roland Freisler und anderen hochrangigen NS-Funktionären. Sie diskutierten in einer ehemaligen Industriellen-Villa die Endlösung der Judenfrage. Die von ihnen an diesem Tage hergestellte Tabelle zeigte, dass es in ganze Europa rund 11,2 Millionen Jüdinnen und Juden gab, die sie vernichten wollten. Die Tabelle führte genau auf, wie viele es in Polen gab, in Ungarn, in der Sowjetunion, in Deutschland, Österreich etc. 90 Minuten dauerte dieses Gespräch, das laut einem Protokoll einvernehmlich und bei bester Laune und einem Glas französischen Cognac stattfand. Es gab Mitglieder dieser Runde, darunter ein gewisser Dr. Gerhard Klopfer, der nach dem Krieg als Jurist Karriere machte. Verurteilt wurde er nicht. Erst nach seinem Tod wurde seine Rolle bei der Wannseekonferenz öffentlich gemacht. Die Erinnerung an die Schrecken der Nazi-Zeit ist der AfD ein Gräuel, Höcke und Co wollen diese Erinnerungskultur um 180 Grad drehen, das Holocaust-Mahnmal in der Nähe des Brandenburger Tores, das an die Vernichtung von sechs Millionen Juden durch die Nazis erinnert, hat Höcke eine Schande genannt.
Der Parteitag der AfD in Riesa(Sachsen) hat gezeigt, dass die Zeit der Tarnung, der verdeckten Arbeit der AfD gegen die Werte dieser Bundesrepublik, vorbei ist. Es gibt, wie der Deutschlandfunk das in einem Kommentar beurteilte, „nichts mehr zum entlarven. Wer die Partei wählt, will Rassismus, Sexismus, Abwertung, Neid, den Bruch mit dem verhassten System. Doch viele, die nicht AfD wählen, hören nur schulterzuckend zu.“ Ja, wo bleibt der Aufschrei gegen diese Nazis, warum zögert der Bundestag, warum gibt es keinen Verbots-Antrag der demokratischen Parteien gegen die AfD, über den dann später das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu entscheiden hätte? Mit einem Beschluss des Parlaments, der Voraussetzung für einen solchen Antrag ist, auch der Bundesrat oder eine Landesregierung könnten einen solchen Antrag beschließen, hätte man etwas Handfestes für den Wahlkampf. Wer weiß, ob nicht mancher Jungwähler seine Meinung ändern würde, läge ein Beschluss vor, der die AfD als verfassungsfeindlich beurteilt und dies auch belegt. Beweise dafür gibt es zuhauf.
Re-Migration als neues Volkslied
Nehmen wir das mit der Remigration. Alice Weidel, die Kanzlerkandidatin der AfD, legte in Riese bei ihrer Rede alle Zurückhaltung beiseite. Sie rief der AfD-Parteitagsmeute laut zu: „Re Migration“, dabei wirkte sie fast wie eine Chorleiterin, die zum „Und jetzt alle“-Sound anhebt, wie DLF-Autorin Christiane Florin das beschrieb. Re-Migration als das neue Volkslied. Ich erschrak am Fernseher, als ich das hörte. Sind wir so weit, dass das alles schon wieder normal ist wie damals? Für die AfD ist das so, das mit dem völkischen Volkslied. Alles geplant, gut durchkomponiert(DLF). Die Neue Rechte, die AfD, will den Diskurs drehen, Begriffe prägen, dass Unerhörte soll sagbar werden, normal. Die erwähnte Erinnerungskultur ist für sie eine Art „Umerziehung“, Faktenchecks werden zur Zensur, „illegale Migration“ ein geflügeltes Wort, als sei Migration schon kriminell. Und die anderen Parteien fallen darauf herein, überbieten sich in einem Wettbewerb, wer schiebt schneller ab, härter, besser.
Dass und wie Alice Weidel auftrat, das war entlarvend. Die Windräder will sie „niederreißen“ lassen. Das klang so, als sei das der selbstverständliche nächste Schritt, wenn man erstmal am Ruder ist, wie sie das nannte. „Die AfD“, so der Deutschlandfunk weiter, „strebt vor aller Augen in Parlamente, um demokratische Strukturen zu sabotieren. Als der Parteitag jubelte: Alice für Deutschland, war das eine Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaates.“ Und wir schauen einfach zu, lassen sie gewähren, bis sie am Ruder sind? Warum macht die SPD nichts dagegen, die älteste Partei Deutschlands, die damals Front gegen die Nazis bezog, Widerstand leistete und dafür ins Gefängnis ging, verprügelt und ermordet wurde? Die SPD müsste sich an die Spitze des Bundestages setzen und den Verbots-Antrag mit der Mehrheit der Demokraten beschließen. Das Papier liegt doch seit Wochen vor. Wovor hat die SPD Angst? Dass sie die Klage in Karlsruhe verliert? Diese Entscheidung fällt viel später, zunächst mal hätte man ein Votum auf dem Tisch, einen Verbots-Antrag, weil diese AfD verfassungsfeindlich ist.
Heribert Prantl zitiert aus einer Rede von Frank-Walter Steinmeier, gehalten am 9. November 2018.( Am 9. November1938 steckten die Nazis die Synagogen in Brand) „So wenig der Demokratie am 9. November 1918 das Scheitern vorherbestimmt war, so wenig ist ihr hundert Jahre später ihr Gelingen garantiert.“ Steinmeier selber hat in seiner Antrittsrede 2017 erklärt: „Wenn das Fundament anderswo wackelt, dann müssen wir umso fester zu diesem Fundament stehen.“ Recht hatte er, die Worte hallen bis heute nach. Gerade heute. Denn das Fundament wackelt, hier bei uns, die Demokratie ist bedroht, „völkische Entrechtungs- und Vertreibungsszenarien haben Konjunktur“. (Prantl) Sie haben Konjunktur, weil demokratische Politiker sich daran beteiligen, um die AfD zu überbieten. Sie müssten doch wissen, dass die Leute dann immer eher das Original wählen und nicht die Kopie. Konsequente Abschiebung abgelehnter Flüchtlinge, die CSU zeigt zu diesem Wahlplakat ein großes Flugzeug, um ihre Pläne zu illustrieren. Da ist kaum ein Unterschied zwischen Abschiebung und Remigration. Auch der Kanzler will da nicht zurückstehen, er forderte schon 2023 in einem Interview Abschiebung von Flüchtlingen „in großem Stil“ und warb dabei für eine „gewisse Härte“ gegen jene, die zu Unrecht hier seien. Die demokratischen Wahlkämpfer verlieren dabei das Grundgesetz aus den Augen, die Würde des Menschen, die für alle gilt, auch für Geflüchtete. Oder besser noch, Menschenwürde sei „nicht das Recht des Stärkeren, sondern das Recht der Schwächeren“. Ein Zitat des Bonner Verfassungsrechtlers Klaus Ferdinand Gärditz, zu finden in der SZ-Kolumne von Prantl. Gärditz habe intensiv für ein Parteiverbotsverfahren geworben.
Erinnerung an Martin Niemöller
Rassismus, Hass, Neid, Abwertung des anderen- wollen wir das? Nein, natürlich nicht. Diese schrillen Töne auch von diesem neuen, alten Mann im Weißen Haus in Washington erschrecken manche Amerikaner, auch uns. Dieser Trump hat nur das Recht des Stärkeren im Sinn, nicht die Stärke des Rechts, nicht die Schwachen, nicht die Minderheiten, ihn interessieren nur die Macht, seine Macht, die Seite der Milliardäre, mit denen er sich umgibt. Im schon zitierten Kommentar des Deutschlandfunks zur AfD nach dem Parteitag in Riesa erinnert die Autorin am Ende an das Schicksal des evangelischen Pastors Martin Niemöller, der fand die Nazis -wie viele andere auch- am Anfang gut, nach 1933 wurde er zunehmend zum NS-Gegner, weil er die Unmenschlichkeit des mörderischen Systems kennenlernte. Er sagte: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, denn ich war kein Kommunist. Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, denn ich war kein Jude. Als die Nazis mich holten, war niemand mehr da, um zu protestieren.“
Die Mehrheit wählt noch nicht die AfD, sie könnte gegen die Nazis protestieren. Sie hat es in der Hand, wenn sie sich endlich zusammenschließt und erkennt: Der Feind steht rechts.