Es ist wenig überraschend, was da im Thüringer Landtag passiert ist. Ein „Spektakel“ nannte es der Jurist und Journalist, der Chefredakteur des Verfassungsblogs, Maximilian Steinbeis. Er hatte es vorausgesehen, dass die AfD die Arbeit des Landesparlaments in Erfurt blockieren und/oder boykottieren, alles daran setzen würde, um die parlamentarische Arbeit von Demokratinnen und Demokraten zu diskreditieren. Das passierte schon in der ersten, konstituierenden Sitzung des Landtags in Erfurt. Der sogenannte Alterspräsident, ein Mann der AfD mit Namen Jürgen Treutler(73), überzog seine Kompetenzen, er ließ keine Wortmeldungen zu, keine Debatte, es wurde kein Landtagspräsident gewählt, man ging im Streit auseinander, nun muss der Verfassungsgericht des Landes entscheiden. Am Samstag soll es weitergehen.
So ist das, wenn die in weiten Teilen rechtsextreme AfD stärkste Fraktion in einem Parlament wird. Sie hält sich an keine Regeln, sondern macht, was sie will. Das sogenannte Hohe Haus soll zu einer politischen Bruchbude, die parlamentarische Demokratie lächerlich gemacht werden. Das war das Ziel einer Sitzung, die in normalen Parlamenten reine Routine ist. Aber bei der AfD ist nichts Routine, man nutzt jede Chance gegen die Demokratie. Alle Warnungen hatte vor allem die Landes-CDU ausgeschlagen, nun hat sie die Quittung bekommen.
Man muss das Ernst nehmen, was gestern geschah. Da ist ein Alterspräsident, der eigentlich nichts zu sagen hat und der dann doch das Wort führt. Der nur einen Vorschlag der AfD für einen Kandidaten für den Präsidenten des Landtags zulässt, aber Kandidaten anderer Parteien nicht. Treutler weiß natürlich, dass der Kandidat der AfD keine Mehrheit bekommt, so haben es CDU, SPD, die Linke und das BSW schon vorher betont. Aber er versucht die Machtprobe, lässt eine Debatte über diese Verfahrensweise gar nicht erst zu, was zwar nicht seine Sache ist, aber er entscheidet. Wut und Zorn in den Reihen der demokratischen Parteien, Machtergreifung sei das, ereifert sich ein CDU-Mann, ein unwürdiges Gezerre entsteht, ganz im Sinne der AfD und der Taktik ihres Vorsitzenden, des Faschisten Björn Höcke.
Nein, dieser Tag in Erfurt ist keine Feierstunde, wie man das sonst kennt von Parlamentseröffnungssitzungen nach einer Wahl, bei der sich frisch gewählte und gestandene Abgeordnete begrüßen und sich auf die gemeinsame Arbeit in den nächsten fünf Jahren vorbereiten. Um das zu tun, was sie im Wahlkampf versprochen haben, sich um die Sorgen der Wählerinnen und Wähler zu kümmern, das zu tun, was für das Land wichtig und nötig ist. Nichts davon spürt man von der Sitzung in Thüringen. Ein von der AfD gesteuerter Alterspräsident blockierte demokratische Beschlüsse von gewählten Parlamentariern. Die antidemokratische Haltung der AfD wurde von Anfang an sichtbar. Sie demonstrierte, dass sie an einer sauberen parlamentarischen Arbeit überhaupt nicht interessiert ist, sondern daran, die politischen Institutionen und Traditionen von vornherein zu desavouieren, andere Parteien lächerlich zu machen und sich selber als Opfer darzustellen.
Es interessiert die AfD nicht, dass sie nicht das Recht hat, einen der ihren zum Präsidenten des Landtags zu machen, das Recht besagt vielmehr, dass sie einen Kandidaten aus ihren Reihen vorschlagen kann, ein Vorschlagsrecht, das aber auch die anderen Parteien haben. Gewählt ist, wer die Mehrheit im Parlament bekommt.
Leider muss man hinzufügen, dass die demokratischen Parteien selber schuld sind an dieser misslichen, peinlichen Lage. Vor allem die Landes-CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Mario Voigt war darauf hingewiesen worden, dass es eine Lücke in der Geschäftsordnung gibt, die man schließen müsse. Die Grünen hatten das getan, aber sie wurden abgewiesen, ignoriert wurde, was der Verfassungsjurist Maximilian Steinbeiss Monate vor der Wahl gesagt und exakt vor dieser Situation gewarnt hatte. Auch andere hatten gefordert, man müsse die Demokratie wetterfest machen, Dämme gegen Verfassungsfeinde bauen. Geschäftsordnungen für die Parlamente zählen dazu, die Wahl von Verfassungsrichtern, der politische Betrieb braucht schließlich eine Ordnung, die sich das Plenum eines Parlaments selber gibt und an das sich alle halten. Wenn sie Demokraten sind. Und das ist der Unterschied: die Abgeordneten der AfD sind demokratisch gewählt, aber die AfD ist keine demokratische Partei. Sie will unser parlamentarisches und demokratische System zerstören, sie will ein autoritäres System, indem sie entscheidet und dafür sorgt, dass zum Beispiel Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund remigriert, also rausgeschmissen werden. Sie will dem öffentlich-rechtlichen -Rundfunk ein Ende bereiten, was eine schwere Veränderung der Medien-Landschaft bedeuten würde. Ja, ein Eingriff in die Meinungs- und Pressefreiheit wäre. Sie will den Verfassungsschutz abschaffen.
Die AfD will die Arbeitsfähigkeit der Parlamente stören. Der Thüringer Landtag ist für sie die „Bühne ihrer autoritär-populistischen Strategie“, so hat es Steinbeis formuliert. Das merken seit längerer Zeit die Abgeordneten des Bundestages, Störungsversuche aus den Reihen der AfD sind an der Tagesordnung. Das setzt sich jetzt fort in Erfurt und wir werden es erleben in Dresden und in Potsdam, überall da, wo sie die Chance für Chaos sehen, für Spektakel, um den politischen Betrieb unmöglich zu machen. Um zu zeigen, all dies geschieht, weil die anderen Parteien, die Union, die SPD, die Grünen, die FDP, die Linke uns an unserer Arbeit hindern, uns isolieren. So wächst das Narrativ ihrer Opferrolle, wird der Unmut über die anderen gezüchtet. Soll die Demokratie ausgehöhlt werden. Dabei ist die AfD Täter, nicht Opfer.
Der geschäftsführende Innenminister von Thüringen, Georg Maier(SPD), forderte als Lehre dieses unschönen Spektakels ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten. Zur Begründung nannte er das aggressive-kämpferische Vorgehen der AfD gegen den Parlamentarismus. Auch der frühere Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz(CDU), äußerte sich in dieser Hinsicht. Der Ablauf der Parlaments-Eröffnungssitzung in Erfurt sei „ein Drehbuch für die Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen.“ In Thüringen wie auch in Sachsen ist die AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Ein mögliches Verbotsverfahren ist im Grundgesetz, Artikel 21 geregelt. Demnach sind Parteien verfassungswidrig, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.“ Man kann hier auch den Sozialdemokraten und einen der Verfassungsväter , Carlo Schmid, zitieren: Er forderte 1948/49 „Intoleranz denen gegenüber, die die Demokratie missbrauchen um sie umzubringen.“ „Es sind Verfassungsfeinde“, so hat es Gerhard Rudolf Baum, Ex-Bundesinnenminister, festgestellt.
Eine wehrhafte Demokratie muss sich wehren gegen ihre Feinde.
Bildquelle: Stéphane Magnenat, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons