Tino Chrupalla scheint es schlecht zu gehen. Der innerparteilich nur „der Malermeister“ genannte Görlitzer kommt offensichtlich nicht gut mit der Kanzlerkandidatur von Alice Weidel zurecht. Natürlich betont er in der Öffentlichkeit, dass er voll und ganz hinter ihr stehe, aber er registriert auch, dass sich die mediale Aufmerksamkeit nun auf seine Konkurrentin konzentriert und er am Rande steht. Vielleicht ist das einer der Gründe für seine abstrusen Äußerungen, wenn er denn mal gefragt wird – wie in einem Interview mit der Welt, in dem er Deutschlands Bündniszugehörigkeit infrage stellte.
Eine Verteidigungsgemeinschaft müsse „die Interessen aller europäischen Länder akzeptieren und respektieren, also auch die Interessen Russlands“, sagte er. Und weiter: „Wenn die NATO das nicht sicherstellen kann, muss sich Deutschland überlegen, inwieweit dieses Bündnis für uns noch nutzbringend ist.“
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Europa war in den vergangenen Jahrzehnten – auch dank der NATO – ein halbwegs friedlicher Kontinent. Deutschland und andere westeuropäische Nationen haben an eine friedliche Koexistenz mit Russland geglaubt und dafür gearbeitet. Die NATO-Mitglieder haben dem russischen Treiben in Georgien, der Annexion der Krim und den Aktivitäten angeblicher Separatisten in der Ostukraine fast tatenlos zugeschaut. Mehr als diplomatische Noten und ein paar harmlose Sanktionen gab es nicht.
Dann aber überfällt Russland den souveränen Staat Ukraine – ein Tabubruch, ein Bruch des Völkerrechts. Russland führt Krieg gegen das ukrainische Volk, immer wieder werden auch zivile Ziele bombardiert. Hunderttausende Menschen sind inzwischen auf beiden Seiten gestorben. Die UNO-Vollversammlung verurteilt den russischen Krieg mit großer Mehrheit. Und der Vorsitzende einer deutschen Partei fordert von dem Verteidigungsbündnis, das Deutschland vor dem russischen Aggressor schützt, es müsse die Interessen Russlands akzeptieren und respektieren? Nicht wenige Kommentatoren in Berlin sehen darin Landesverrat. Doch Chrupalla ist damit nicht allein. Höcke unterstützt ihn in seinem Antiamerikanismus und seiner Putin-Hörigkeit.
Dazu passt Chrupallas Forderung, dass die Bundesregierung anerkennen solle, dass Russland den Krieg gewonnen habe – das behauptet bisher nicht einmal Putin selbst. Deutlich wird in allem, was Chrupalla sagt, dass ein von der AfD geführtes Deutschland eine komplette Änderung der Sicherheitsarchitektur in Europa bedeuten würde. Er postuliert ein europäisches Verteidigungsbündnis ohne die transatlantischen Partner, dafür aber mit der Einbeziehung Russlands. Konsequent zu Ende gedacht ist das allerdings nicht. Denn gegen wen soll sich Europa dann noch verteidigen müssen, wenn man mit Putin kooperiert?
Mit dem Austritt aus der NATO kündigen Chrupalla und seine Unterstützer gleich die zweite wesentliche Grundlage der deutschen Existenz auf. Parallel dazu will die Partei aus der EU austreten und diese durch ein anderes Bündnis ersetzen. Im Programmentwurf steht zwar noch etwas anderes – dort wird beschrieben, dass man kurzfristig in der NATO und der OSZE bleiben wolle. Doch auch das soll fallen. Die Anträge, diesen Passus zu streichen und nur auf ein eigenes europäisches Verteidigungsbündnis zu setzen, sind bereits geschrieben. Eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wie sie die EU gerade plant, lehnt die AfD kategorisch ab. Man könnte fast meinen, der ganze Abschnitt zur äußeren Sicherheit sei im Kreml formuliert worden.
Doch wie man auf eine derart riskante Position kommen kann, erklären die Kenner der braun-blauen Partei mit dem Wahlkampf und der Rivalität mit Sahra Wagenknecht. Offensichtlich will Chrupalla sich als „wahrer“ Putin-Versteher etablieren, um dem BSW die Rolle streitig zu machen. Denn laut Umfragen ist die Skepsis gegenüber der Unterstützung der Ukraine im Osten Deutschlands deutlich größer als im Westen. Beide Parteien kämpfen genau um diese Gruppen. Liest man Chrupallas Aussagen vor diesem Hintergrund, machen sie vielleicht Sinn. Dass die Forderungen und Ideen dem Landesverrat nahekommen, scheint für ihn kein Problem zu sein.