Bevor sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum ersten Mal der Regierungsbefragung durch den Bundestag gestellt hat, übertrug der TV-Sender Phoenix eine gute Stunde live aus dem Schloss Bellevue. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte an seinem Amtssitz zu einer Diskussion über das Für und Wider einer Impfpflicht eingeladen.
An sich eine gute Initiative, denn Demokratie braucht Debatte, wie Steinmeier wenige Wochen vor seiner Wiederwahl durch die Bundesversammlung am 13. Februar bekräftigte. Diese Debatte zu führen, anzustoßen und nach vorn zu bringen, gehört zweifelsohne zu den Aufgaben des Bundespräsidenten. In der Ausführung geriet das Ganze dennoch zu einem Ärgernis; denn die eklatante Schieflage, mit der die aktuelle Debatte derzeit in der medialen Öffentlichkeit präsentiert wird, zeichnete auch in dieser Runde ein Zerrbild.
Nicht nur, dass die Skeptiker und Gegner einer Impfpflicht überproportional viel Raum für ihre Argumente erhielten; es fehlten auch Teilnehmer, die Gegenpositionen zu einzelnen Aspekten hätten vortragen können. Wildeste Behauptungen, die minutenlang aus einem vorgefertigten Text abgelesen wurden, blieben ungeprüft und unwidersprochen.
Der Vorsatz, zu einer Versachlichung und zur persönlichen Meinungsbildung beizutragen, schlug fehl. Stattdessen bot sich den abstrusesten Standpunkten eine Bühne, wie sie die krawallverliebten und quotenfixierten Talkshows bereitstellen. Das verzerrt die Wahrnehmung ebenso wie die publizistische Vermarktung und Ausbreitung der so genannten Spaziergänge.
Um das Zerrbild zu korrigieren, treten zunehmend Gegendemonstration auf. Breite Bündnisse wenden sich gegen die Spaltungsversuche, gegen die bereitwillige Vereinnahmung durch Rechtsextremisten und gegen den vermittelten Eindruck, dass es sich bei den so genannten Querdenkern um eine massive Bewegung handelte.
Das sind wichtige Beiträge für das demokratische Miteinander; natürlich braucht die Demokratie Demokraten, die sie verteidigen, und natürlich sind Solidarität und Verantwortung entscheidende Merkmale der Freiheit im Sinne des Grundgesetzes. Gleichwohl ist so kurz nach den Parlamentswahlen und der Regierungsbildung auch politische Haltung anzumahnen, die Orientierung gibt.
Die zu Beginn der Corona-Pandemie hier geäußerte Erwartung, dass die Politik den Verschwörungsideologien entschiedener entgegentreten werde, war offensichtlich naiv. Doch es wird höchste Zeit, die Spirale von Desinformation, Misstrauen und Verunsicherung zu stoppen.
Ein Blick nach Schweden zeigt, als wie ernsthaft die Bedrohung anderswo inzwischen angesehen wird. Dort hat zu Beginn dieses Jahres eine staatliche Agentur zur psychologischen Verteidigung ihre Arbeit aufgenommen. Ziel ist es, falsche Informationen und Gerüchte aufzuspüren und ihnen öffentlich entgegenzuwirken. Dahinter steht die Auffassung, dass der Bürger ein Recht darauf hat, vor Irreführung und Manipulation beschützt zu werden.
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