Abwärts! Die Richtung des Ampel-Autos, das zudem aus der Kurve getragen wird, am Steuer Olaf Scholz, dahinter Christian Lindner und Robert Habeck, die Co-Piloten der Berliner Koalition, die ja längst Geschichte ist, da der Bundeskanzler seinen Finanzminister vor die Tür gesetzt hat, wegen Illoyalität, Untreue, Blockade, Intrigen-Stil, ganz, wie Sie wollen. So das Cover des Büchleins mit den Cartoons des Jahres 2024 von Heiko Sakurai. Und wer das Buch umdreht, sieht den jubelnden Friedrich Merz, auf den Händen getragen oder in die Luft geworfen von der Jungen Union, die den CDU-Chef und Kanzlerkandidaten der Union als ihren „Rockstar“ feiert und Merz per Sprechblase die Worte sagen lässt: „Mein Alter ist auch kein Problem. Dieser Dings, äh, Mick Jagger ist sogar über 80!!!“ Der Katholik aus dem Sauerland hätte auch den Papst zum Vorbild nehmen können: Franziskus ist seit dem 17. Dezember 88, Friedrich Merz seit dem 11. November schlappe 69. Konrad Adenauer, geboren am 5. Januar 1876, war bei Amtsantritt 1949 schon 73 Jahre alt, und als er 1963 ausschied, immerhin 87.
Heiko Sakurai, geboren 1971 in Recklinghausen, wohnhaft in Köln, zählt zu den besten Karikaturisten in Deutschland. Ich lernte ihn in den 90er Jahren kennen, als ich stellvertretender Chefredakteur der WAZ war und als solcher auch zuständig für die tägliche Karikatur, die damals noch auf der Seite 2 rangierte, direkt neben dem Leitartikel. Was etwas aussagte, denn nicht nur ich empfand die Karikatur als zweiten „Leiter“ der Zeitung, meinungsstark, zugespitzt, den jeweiligen Kanzler oder Parteichef auf die Hörner nehmend. Karikaturisten dürfen das, ja müssen das, so scharf ist das Messer eines Schreibers so gut wie nie. Auf den Punkt gezeichnet oder besser auf den Strich. Und das kann Heiko Sakurai, der viele Preise gewonnen hat, in bewundernswerter Art, wobei die Kunst des Künstlers darin besteht, bei aller Zuspitzung das „Opfer“ lebend davon kommen zu lassen.
Der Karikaturist muss, wenn er gut sein will, nicht nur sein Handwerk beherrschen, also die Kunst des Zeichnens, er muss gut informiert sein über die große und die kleine Politik, den Sport, die Kultur, die Unterhaltung, über alles, was in der jeweiligen Region gerade so los ist. Bei der WAZ, für die Sakurai immer noch zeichnet, war und ist es das Ruhrgebiet, damals vor allem die Kohle, als es sie noch gab in Bottrop, Gelsenkirchen, Recklinghausen und Co. Oder die Stahl-Industrie. Oder die Fußballklubs Schalke und der BVB. Der Zeichner muss das alles im Kopf haben, die Nachrichten aus Berlin wie Moskau und Washington verfolgen. Denn daraus ergeben sich die Themen der täglichen Karikatur. Übrigens muss ich aufräumen mit einem Vorurteil manchen Lesers: Die Arbeit der Sakurais dieser Welt fällt nicht vom Himmel, das muss erarbeitet werden im Kopf und mit der Hand. Und dem Redakteur am Telefon muss es gefallen. Das war zu meiner Zeit oft ein hartes Ringen, manchmal musste ich Sakurai bis in den späteren Nachmittag vertrösten, ehe wir uns auf ein Thema geeinigt hatten. Der Künstler möge mir verzeihen.
Abstieg und Jubel, das liegt oft nebeneinander. Das Jahr 2024 war voll davon wie die Jahre zuvor auch. Beim Durchblättern wird man an all die Themen erinnert, die das Jahr ausgemacht haben. Klar die Ampel
und der Niedergang, die Schuldenbremse, das Wetter mit Schnee, Eis, Verkehrschaos, weil es Winter war. Was sonst. Sakurai bringt es auf den Punkt. Herrlich. Zum Schmunzeln. Merkel und Merz, die Rekord-Kanzlerin, die einst dem jungen CDU-Fraktionschef aus Brilon die Karriere-Träume verdarb. Selensky, der Präsident der Ukraine, die Milliarden-Hilfen aus den USA und US-Präsident Joe Biden. Der Tod von Wolfgang Schäuble, ein schwieriges Thema, sensibel, da muss der Karikaturist mit feiner Feder weich zeichnen. Schäuble, über 50 Jahre Parlamentarier, Minister, Bundestagspräsident, nie Kanzler, nach einem Attentat im Rollstuhl sitzend. Franz Beckenbauer, der einstige Fußball-Gott, wie ihn die Fans bewunderten und rühmten, stirbt mit 78 Jahren.
Aufgebrachte Landwirte protestieren gegen die Politik der Ampel, gegen Wirtschaftsminister Habeck, Sahra Wagenknecht gründet ihre Partei, die Ampel ist schuld auch an den Energie-Sorgen, der Arbeitskampf bei der Bahn, die Remigrations-Gedanken der AfD, die Massen-Proteste gegen Rassismus und für die Demokratie.
Der Karneval darf nicht fehlen, die dauernden Umfragen, das Come-Back von Donald Trump, die Sorgen der deutschen Wirtschaft. Tausende nehmen in Moskau an der Beisetzung von Alexey Nawalny teil, trotz eines großen Polizeiaufgebots. Putin hat den Gegner umbringen lassen, so einfach ist das in Diktaturen. Der Streit um die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine, Scholz sagt: Nein. Die Ampel beschließt ein Gesetz zur Legalisierung von Cannabis. Ein Fortschritt oder eher eine Lachnummer? Deutschland den Deutschen, Ausländer raus pöbeln Partygänger auf der Insel der Reichen Sylt. 75 Jahre Grundgesetz. Die Union fordert Neuwahlen, Sakurai lässt den Kanzler dazu sagen: Ich bin doch nicht wahnsinnig. Zoff um den Haushalt, das übliche Bild der Ampel: SPD gegen FDP gegen Grüne. Jeder kämpft für sich. „Von wegen gespaltene Gesellschaft- auf Eins können sich Rechtsextreme, Linksextreme und Islamisten immer einigen: Antisemitismus.“ Netanjahu und sein Krieg in Gaza und Libanon. Quo vadis, Amerika? Diese Zeichnung ist sehr aktuell, Trumps Amtseinführung steht uns noch bevor und niemand weiß, wohin der mächtigste Mann der Welt die mächtigste Nation steuert. Dazwischen die OIympischen Spiele in Paris und der sich in der Krise befindende Präsident Macron. Der König der Unions-Löwen Söder und Merz, der eine ist der nominierte Kanzlerkandidat, der andere hält sich für den besseren. Willkommen in der Werkstatt für die Autoindustrie, VW, der Weltkonzern in der Krise, die Landtagswahlen im Osten, der Sieger in Brandenburg mit Woidke und einem neben ihm stehenden Scholz mit dem Satz: Na also, wir können noch Wahlen gewinnen, was die alte SPD-Tante zum Konter verleitet: Jedenfalls, wenn Du nicht unser Kandidat bist… Derselbe Olaf Scholz wird vom US-Wahlverlierer Biden gefragt: „Und: Hast Du auch schon Pläne für deinen Ruhestand demnächst, Olaf? Antwort Scholz: „Ich weiß nicht, was Du meinst, Joe.“
Eine Karikatur könnte man grundsätzlich für die gesamte Politik nehmen. Gedanken zum Rücktritt des SPD-Generalsekretärs Kevin Kühnert: Der Wähler urteilt: Politiker? Können alle nichts und haben längst den Kontakt zu den normalen Leuten verloren. Frage an den Wähler: Warum machen Sie den Job dann nicht? Antwort des Wählers: Bin doch nicht wahnsinnig. Viel zu anstrengend, und jeder Depp meckert über einen.
Es ist ein Buch, das Spaß macht zum Blättern, zum Lesen und zum Schauen. Und das jeden fesselt. Wenn Sie es in die Hand nehmen, werden Sie es erst wieder weglegen, wenn sie es gelesen haben.
Ich glaube nicht an eine Qualitätsgewinn mit Merz. Dazu ist die Oppositionsarbeit zu schwach. Auch im Bundesrat wusste die CDU nicht zu glänzen. Aber wie es auch sei, Entscheider sind nicht die Regierungsmitglieder , sondern der Bundesrat. Und wenn sich die Abgeordneten wirklich als Vertreter der Bürger präsentieren, wie es im Grundgesetz verankert ist und nicht als längerer Arm der Parteien ,kann mit der Qualitätsverbesserung was werden.