Der Berg der Union kreisste und gebar eine Migrationsmaus. Was die Spitzen von CDU und CSU unter der Führung von Merkel und Seehofer im sonntäglichen Berliner Seminar zustande brachten, ist bestenfalls eine Verlegenheitslösung, um den Streit der Schwesterparteien zunächst einmal zu beenden. Ob das mühsam erreichte Kompromissergebnis für die CSU ausreicht, um in Bayern damit Furore zu machen und verlorene Wähler bei der Landtagswahl im Herbst 2018 zurückzugewinnen, ist mehr als zweifelhaft. Auch in der CDU wird diese Beruhigungspille nicht Jubelstürme entfachen. Doch die, die sich als unerschütterliche Mitglieder des Kanzlerwahlvereins durch nichts beeindrucken lassen und nur Angela Merkel wiedergewählt wissen wollen, werden es hinnehmen und schweigen.
Brüchiges Regelwerk zur Migration
Bereits in den bevorstehenden Sondierungsgesprächen, die Angela Merkel mit der FDP und den Grünen Mitte nächster Woche führen will, um die Chancen einer Jamaika-Koalition auszuloten, könnte das Regelwerk der Union zur Migration mehr oder weniger zerrupft werden. Die Liberalen sehen zwar in dem Unionskompromiss eine Basis für die anstehenden Verhandlungen, eine 1:1 Umsetzung wird es nicht geben.
Die Grünen entdecken bereits einige Kröten, die nur schwer zu schlucken sein werden, wenn auch Czem Özdemir und einige seiner Parteifreunde für Regierungspositionen zu Zugeständnissen bereit sein werden.
Keine Obergrenze, doch Zielmarke
Horst Seehofer muss nun seinen Scharfmachern in der CSU klarmachen, warum er so lange auf der Obergrenze beharrt und sie letztlich nicht erreicht hat. Gewiss, die Zahl von 200.000 Menschen, die in einem Jahr als Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge, subsidiär geschützte oder Familiennachzügler nach Deutschland einreisen dürfen, soll quasi als atmender Deckel gelten. Denn wiederausreisende Flüchtlinge und abgeschobene Asylbewerber werden bei dieser Rechnung wieder subtrahiert, sodass sich dadurch bis zur Wunschgrenze wieder ein Spielraum ergeben könnte.
Garantieren kann dies indessen niemand: Die von der Union geplanten Maßnahmen sind nämlich zunächst fromme Wünsche. Sie zu realisieren, wird zweifellos ein schwieriger politischer Hindernislauf für die neue Koalition unter Führung der Union. Denn die Bekämpfung der Fluchtursachen ist eine Langfristaufgabe mit ungewissem Erfolg. Die Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens dürfte nicht einfach und nicht mit allen erfolgreich, auf jeden Fall jedoch teuer werden. Die Rückführungen und Abschiebungen von Kriegsflüchtlingen und abgelehnten Asylbewerbern werden weiterhin große Probleme bereiten und nur in geringem Umfang gelingen. Dagegen könnten Fortschritte beim Schutz der EU-Außengrenzen sowie eine EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen und gemeinsame Rückführungen von dort erreicht werden; doch müssen dafür die anderen europäischen Partnerländer überzeugt und gewonnen werden.
Konkrete Schritte gegen Migranten
Auch die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer wird höchste diplomatische Anstrengungen und wohl auch finanzielle Zugeständnisse erfordern. Das gilt jedenfalls auch für die nordafrikanischen Staaten wie Marokko, Algerien und Tunesien.
Die Erfolgsaussichten sind indessen recht unsicher. Schließlich sieht das Regelwerk zur Migration Entscheidungs- und Rückführungszentren für Asylverfahren vor, wie es sie bislang bereits in Manching und Bamberg sowie in Heidelberg gibt. In diesen Zentren sollen Asylbewerber bis zur Entscheidung über ihren Antrag bleiben. Doch schnellstmögliche Entscheidungen sind im deutschen Rechtsstaat zumeist nicht die Regel; manche Asylverfahren dauern ein Jahr und mehr.
Das Kompromisspapier, das Merkel und Seehofer nun als Regelwerk zur Migration öffentlich präsentiert haben, enthält gewiss einige gute Zieldefinitionen. Ob die möglichen Koalitionspartner diese mittragen, muss mit diesen sondiert und verhandelt werden.
Die Grünen signalisieren zum Beispiel beim weiteren Aussetzen des Familiennachzugs zu subsidiär geschützten Flüchtlingen keine zustimmende Begeisterung. Dagegen werden FDP und Grüne bereit sein, einer gesteuerten Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt zuzustimmen und mit der Union ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz zu erarbeiten.
Bremsen FDP und Grüne die Union aus?
Die Zahl von 200.000 ist auf jeden Fall nicht in Stein gemeißelt. CDU und CSU haben hier für alle Fälle einen Notausgang vorgesehen. Die Bundesregierung und der Bundestag sollen Anpassungen des Ziels nach oben oder unten beschließen, wenn die 200.000 wider Erwarten nicht einzuhalten sind. Angela Merkel hat mehrfach betont, dass sich der Herbst 2015 mit dem unkontrollierten Flüchtlingszustrom nicht wiederholen soll. Doch niemand kann bereits in diesem Herbst die internationalen und nationalen Entwicklungen der nächsten Jahre exakt voraussagen. Zum Jubel besteht auch nach dieser Einigung, die nun nach einem viel zu langen internen Streit von CDU und CSU über die Obergrenze gefunden wurde, nur wenig Anlass. Sicher ist jedoch, dass es in den anstehenden Sondierungs- und danach stattfindenden Koalitionsgesprächen noch einige Auseinandersetzungen über die zukünftige Migrationspolitik geben wird. Den kleinsten gemeinsamen Nenner von Union, FDP und Grünen zu finden, das bleibt die vielleicht größte Herausforderung der nächsten Wochen.
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